Brexit und Labour-Party: Verhalten und gespalten

So uneinig wie die Tories ist auch die britische Oppositionspartei. Im tiefen Wasser zwischen den Lagern schwimmt Parteichef Corbyn.

Jeremy Corbyn und andere im Parlament

Was will er dort? Was will er überhaupt? Jeremy Corbyn im Parlament Foto: ap

LONDON taz | Eigentlich war die Strategie der britischen Labour-Opposition nach dem Scheitern von Theresa Mays Brexit-Deal klar. Mithilfe eines Misstrauensvotums wollte die Partei von Jeremy Corbyn Neuwahlen erzwingen, um dann Labour an die Macht zu bringen – das war der Traum, manche sagen die Pflicht Labours, um den gordischen Knoten zu lösen. Doch May gewann das Votum und jetzt führt die Premierministerin Gespräche mit allen politischen Kräften über einen Brexit-Plan B – außer mit dem Labour-Schattenkabinett.

Denn Corbyn stellte für Gespräche eine Bedingung: ein möglicher „No Deal“ müsse zuerst vom Tisch. Das lehnte May ab, denn ohne die Option eines Austritts ohne Vereinbarung kann sie keinen Druck auf die EU ausüben, Neuverhandlungen zuzustimmen.

Inzwischen trafen sich alle möglichen Parlamentarier*innen mit May und ihrem Team. Sogar Labour-Parteirebellen wie Hilary Benn und John Mann machten sich gegen den ausdrücklichen Wunsch ihres Parteichefs auf in die Downing Street No. 10. David Blunkett, ehemaliger Minister in der Blair-Regierung, sagte der BBC, er verstehe nicht, weshalb Corbyn seine Position nicht dort darlegen könne. Auch Blair äußerte sich ähnlich. Die alte Spaltung zwischen Labour-neoliberal und Labour-sozialistisch lebt weiter.

Doch für viele auf der Linken ist dies keine Normalsituation. Was jetzt mit dem Brexit geschieht, prägt Großbritanniens Zukunft über Jahre hinweg.

Sechs Bedingungen für eine Zustimmung

„Die Partei hat sich verschanzt. Mit ihren derzeitigen politischen Selbstverpflichtungen kann sie nur ‚gegen‘ etwas und nicht ,für' Vorschläge die den Brexit lösen, stimmen“, moniert Andrew Harrop von der Fabian Society, Labours führendem parteiinternen Thinktank.

Zwar stellte die Partei bereits im März 2017 sechs Bedingungen für eine Zustimmung zu einem Brexit-Deal auf – sechs relativ flexibel zu interpretierende Forderungen unter anderem nach einer „fairen Migrationspolitik“, nach einer „starken Partnerschaft mit der EU“ und nach Beibehaltung der „genau gleichen Vorteile“ von Binnenmarkt und Zollunion auch nach einem Austritt –, aber das kommt für Harrop keinem konkreten Plan für die Zukunft gleich.

Neil Foster, Gewerkschaft GMB

„Niemand stimmte für den Brexit, um später wirtschaftlich schlechter dazustehen“

Labours Brexit-Hürden hätten es ermöglicht, sich gegen jeglichen „Tory-Brexit“ zu stellen, aber „sie erlaubten der Partei auch, Kompromissen aus den Weg zu gehen, welche die Partei hätte eingehen müssen, wäre sie an der Macht“.

Die Gräben auf der britischen Linken in Bezug auf den Brexit sind fast genauso tief wie bei den zerstrittenen Tories. Corbyn sagt herzlich wenig über Brexit-Pläne. Die ihn unterstützende Basisbewegung „Momentum“ antwortet auf eine taz-Anfrage nicht, als einziger Gesprächspartner.

Kein zweites Referendum

Nicht lange überlegen muss auf Anfrage Großbritanniens zweitgrößte Gewerkschaft „Unite“, mit 1,2 Millionen Mitgliedern, deren Chef Len McCluskey als einer der engsten und einflussreichsten Mitstreiter Corbyns gilt. „Unsere Position hat sich seit September 2017 nicht geändert“, sagt Gewerkschaftssprecher Barckley Sumner und verweist auf eine sechs Monate alte Erklärung McCluskeys.

Darin fordert dieser Neuwahlen, „um das Rad des 40-jährigen Neoliberalismus zurückzudrehen, den Brexit-Deal der imperialen Nostalgiker und Marktwirtschaftsfanatiker aus den 1950er Jahren zu stoppen und Arbeitsrechte und Arbeitsplätze, grenzenlosen Handel und die Rechte von EU-Bürger*Innen zu sichern“. Was heißt das konkret in der aktuellen Situation?

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

McCluskey ist gegen ein zweites Referendum, weil es schon eines gab. Diese Position der mächtigsten, mit Corbyn verbündeten Gewerkschaft ist eine erhebliche Hürde für Labour, sich als Partei hinter die „People’s Vote“-Kampagne für eine neue Volksabstimmung zu stellen.

Der Enthusiasmus für diese Forderung ist bei den Gewerkschaften insgesamt gering. Der kleinen Zugfahrergewerkschaft Aslef, einst dem Brexit zugeneigt, ist es vollkommen egal, wie ihr Sprecher der taz erklärt, ob es zu einem zweiten Referendum oder Neuwahlen kommt: Hauptsache, das Volk stimmt in der einen oder anderen Art ab. Aslef schlägt für die Zukunft „eine Art Zollunion“ vor.

Einflussreiche Pro-Brexit-Stimmen bei Labour

Auch der quer durch alle Branchen aktiven Gewerkschaft GMB – knapp die Hälfte ihrer 631.000 Mitglieder waren nach GMB-Angaben für den Brexit – ist sowohl eine Neuwahl als auch ein Referendum recht. „Niemand stimmte für den Brexit, um später wirtschaftlich schlechter dazustehen“, erklärt GMB-Berater Neil Foster. Auch hier fallen Forderungen wie Zollunion, Einhaltung von EU-Mindeststandards bei Arbeiterrechten.

Viele Labour-Aktivisten setzen derweil auf eine zweite Volksabstimmung – laut einer Umfrage im Dezember 78 Prozent aller Parteimitglieder – und erwarten, dass ihre Parteiführung ihnen endlich folgt. Inzwischen haben sich bis zu 88 der 256 Labour-Abgeordneten im Unterhaus hinter die „People’s Vote“ und ihr Begehren eines zweiten Referendums gestellt.

Aber sie beißen weiter auf Granit. Labours Brexit-Schattenminister Keir Starmer, der als ehemaliger Generalstaatsanwalt als eine der seriösesten Stimmen des Schattenkabinetts gilt, erneuerte am Freitag im labour-nahen Guardian sein Unbehagen über eine zweite Volksabstimmung. „Millionen unserer traditionellen Wähler*innen erwarten von uns, unser Versprechen einzuhalten, das erste Referendum zu respektieren“, schrieb er.

Es gibt nämlich auch einflussreiche Pro-Brexit-Stimmen bei Labour. Robert Griffiths von Left Leave, einem Pro-Brexit-Konsortium aus sozialistischen, kommunistischen und anderen Gruppen, ist vollkommen gegen ein zweites Referendum und versteht es überhaupt nicht als demokratische Erweiterung, sondern als deren Negation. Griffiths ist der Meinung, dass Großbritannien ohne die Anbindung an EU-Richtlinien besser dastünde – nur ein Bruch mit ihnen mache höhere staatliche Subventionen und Verstaatlichungen möglich.

Sollte Labour dem Druck für ein zweites Referendum nachgeben, prophezeit der Guardian daher eine Rücktrittswelle aus dem Schattenkabinett. Doch eine Spaltung könnte auch drohen, wenn Labour dem Druck nicht nachgibt. Michael Chessum von der links-progressiven Gruppe „Another Europe is Possible“, die sich 2016 für den Verbleib in der EU, aber auch für radikale Anti-Austeritäts-Reformen einsetzte, verlangt, dass die Labour-Spitze rasch auf die eigene Basis zugeht.

Meinungsumfragen für zweites Referendum

Er prognostiziert Verheerendes, wenn Corbyn das nicht tut. „Es wird die Basis demoralisieren, das Corbyn-Projekt schwerwiegend spalten und die Möglichkeit eines radikalen Regierungsprogramms versenken“, glaubt er. Andere Parteien aus dem linken Spektrum haben da weniger Probleme. Sowohl die schottische Nationalpartei SNP als auch die Liberaldemokraten und die Grünen fordern offen ein zweites Referendum. Sie haben, anders als die Labour-Führung, auch kein Problem damit gehabt, sich mit May zu treffen.

Eine Quelle bei den Liberaldemokraten unterstreicht gegenüber der taz, dass noch nie eine britische Regierung mit so vielen Stimmen eine Parlaments­abstimmung verloren habe wie Theresa May am Dienstag mit ihrem Brexit-Deal. Hinzu käme, dass die Option eines Verbleibs in der EU in der letzten YouGov-Meinungsumfrage mit 54 Prozent führe. Die Kampagne „People’s Vote“ versucht seit Monaten durch derartige Meinungsumfragen zu beweisen, dass ein zweites Referendum gerechtfertigt sei.

Die Kampagne für ein zweites Referendum mag stark sein, ihre Vertreter protestieren tagtäglich vor dem Parlament. Aber die Aussichten darauf, dass die Mehrheit des Parlaments dafür stimmen würde, bleiben bisher gering. Die Regierung betont, eine zweite Volksabstimmung sei ausgeschlossen, weil sie die Fronten im Land weiter verhärten und dem Volk signalisieren würde, dass die Politik versagt habe.

Laut der einzigen grünen Parlamentarierin Caroline Lucas sei das allerdings ohnehin der Fall. Sie äußerte sich nach ihrem Treffen mit Theresa May am Donnerstag pessimistisch. „Ich sah keine Anzeichen der Kompromissbereitschaft bei der Premierministerin“, erklärte sie. „Es kann sein, dass es für unsere Vorschläge zu spät ist.“

Andrew Harrop vom Thinktank Fabian Society sieht ein zweites Referendum als die allerletzte Option, nachdem alles andere versagt habe. Labour müsse pragmatisch handeln. „Wir haben den Punkt erreicht, wo Labour aufhören muss zu denken, die Partei könnte durchsetzen, was sie will.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.