Anonymes Tinder-Date mit Todeswunsch

Kristen Roupenian wurde durch #MeToo zum Shootingstar. Nun erscheint „Cat Person“, Kurzgeschichten über machtgierige Männer und verkorkste Frauen – und andersherum

Zu spät, um Nein zu sagen: Kristen Roupenian Foto: Elisa Roupenian Toha/ap/picture alliance

Von Isabella Caldart

Perfektes Timing. Die Kurzgeschichte „Cat Person“ von Kristen Roupenian, im Dezember 2017 im New Yorker veröffentlicht, schlug ein wie eine Bombe und wurde innerhalb weniger Tage 2,6 Millionen Mal geteilt. Auf dem Höhepunkt der #MeToo-Bewegung hatte die bis dahin unbekannte Autorin einen Nerv getroffen.

Roupenian erzählt in dieser Geschichte von der Studentin Margot, die den 14 Jahre älteren Robert kennenlernt. Die Beziehung entwickelt sich über Textnachrichten, was ihr einen großen Spielraum zur Interpretation seiner Aussagen lässt und ihr erlaubt, ein Idealbild von ihm zu entwerfen. Als sie sich erneut treffen, ist Margot ernüchtert. Sie hat jedoch einen Punkt erreicht, an dem sie, so glaubt sie, nicht mehr Nein sagen kann, und schläft mit ihm – trotz ihres Unbehagens.

Während viele Leser*innen (gerade junge Frauen) Margots Gedanken und Handeln gut nachvollziehen konnten, warfen ihr andere, bedingt durch ihren wachsenden Ekel ob Roberts Figur, fat shaming vor. Hätte sie Robert von ihren Gefühlen erzählen sollen? Ist Margot Opfer oder Täterin in dieser Situation? Roupenians Kurzgeschichte lässt vielerlei Interpretationen zu und wurde online entsprechend diskutiert. Mit diesen Vorschusslorbeeren ist es kein Wunder, dass sich die Verlage darum schlugen, ihr Debüt, bestehend aus zwölf Kurzgeschichten, zu veröffentlichen. HBO wird zudem eine Fernsehserie produzieren. Doch hält Roupenians Literatur, was sie verspricht?

Dass Kristen Roupenian nicht vorhat, ihre Leser*innen mit Samthandschuhen anzufassen, macht sie mit der ersten Geschichte deutlich: „Böser Junge“, die drastischste ihres Erzählungsbandes. In ihr nimmt ein Paar einen Freund bei sich auf, der frisch getrennt ist. Zunächst erregt von der Tatsache, dass er sie beim Sex belauschen kann, involvieren sie ihn bald – allerdings mit klarem Machtgefälle: Der Freund muss ihren zunehmend sadistischen Befehlen gehorchen. Als dem gelangweilten Paar auch das nicht mehr reicht und der Freund zugleich versucht, aus seiner hörigen Rolle zu entfliehen, kommt es zur Katastrophe.

Kristen Roupenian: „Cat Person“. Aus dem Amerikanischen von Nella Beljan und Friederike Schilbach. Blumenbar, Berlin 2019. 288 Seiten, 20 Euro

Nicht alle Geschichten sind so brutal wie dieser Auftakt, doch alle einen die Motive: Macht, Hierarchien, Sex, Beziehungen, Gewalt, Schuld und menschliche Abgründe. „Ein netter Typ“, die längste Geschichte, kann als Gegenstück zur titelgebenden Story gelesen werden, dieses Mal geschildert aus der Perspektives eines Mannes. Sie handelt von Ted, der sich selbst als genau das sieht: als einen netten Typen, der sich zugleich beim Sex aber vorstellt, den Frauen Schmerzen zuzufügen.

So ähnlich die Motive, so unterschiedlich sind doch die Storys; auch übernatürliche Elemente kommen bei Roupenian vor. Da ist die Frau, die sich mit einem Spruch einen nackten Mann herbeizaubert, den sie in ihrem Keller gefangen hält und unermüdlich quält, weil sie für jeden weiteren Zauberspruch sein Blut und seine Tränen benötigt. Da ist der Junggesellinnenabschied, wozu ein arbeitsloser Schauspieler, in ihrer Kindheit einst ein Star, gebucht und erniedrigt wird. Und da ist der Mann, der sich auf ein ano­ny­mes Tinder-Date mit einer Frau mit Todeswunsch einlässt.

Natürlich, viele Kurzgeschichtensammlungen enthalten die ein oder andere Story, die den Verdacht aufkommen lassen, ihre einzige Funktion sei das Füllen der Seiten. Auch Roupenian ist da keine Ausnahme; die Geschichte „Nachtläufer“ über einen kenianischen Geist, der einen Lehrer tyrannisiert, fällt thematisch aus dem Band heraus und ist wohl in erster Linie auf den längeren Aufenthalt der Autorin in Kenia zurückzuführen. Ebenso merkwürdig mutet die Geschichte mit dem (herzlich unpoetischen) Titel „Der Spiegel, der Eimer und der alte Knochen“ an, in der sich eine Prinzessin aus genau diesen Gegenständen ihre große Liebe bastelt.

Von diesen Ausnahmen abgesehen, ist „Cat Person“ ein gelungenes Buch. Die Texte sind in nüchterner Sprache verfasst, reduziert und fast schmerzhaft ehrlich. Sie verraten wenig von den Biografien der Figuren und noch viel weniger von den geografischen Umgebungen. Dafür konzentrieren sie sich voll auf die Charaktereigenschaften ihrer Protagonisten. Dabei macht die Autorin keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen, auch ihre weiblichen Figuren sind verkorkst und machtgierig.

Nicht selten stellt sie die Vorstellungen von Stärke und Schwäche gekonnt auf den Kopf

Kristen Roupenian beweist einen scharfen Blick für zwischenmenschliche Beziehungen in ihren düstersten Formen, für unangenehme Wahrheiten, die unter der Oberfläche verborgen sind. In den stärkeren Geschichten verzichtet sie auf übernatürliche Elemente oder setzt diese nur punktuell ein. Denn gerade im Alltäglichen, im Banalen entblößt Roupenian gekonnt das Abgründige.

Nicht alle Storys haben die gleiche Ambivalenz wie „Cat Person“. Dennoch, trotz der Kürze sind die meisten Figuren komplex und auf vielerlei Weise interpretierbar; nicht selten stellt Roupenian die Vorstellungen von Stärke und Schwäche auf den Kopf. Handeln sie aus dem Wunsch nach Akzeptanz, aus der Suche nach Liebe heraus? Oder sind sie einfach nur kaltblütig, grausam und sadistisch?

Und hier ist noch eine Frage, die man beim Lesen hat: Hält Roupenian der Gesellschaft einen gnadenlosen Spiegel vor, in den keiner blicken möchte? Wenn man denn will, kann man „Cat Person“ zumindest einen bitteren Hinweis entnehmen: Egal wie harmonisch und freundlich ein Mensch im Grunde ist, er oder sie wird trotzdem andere unterdrücken und ihnen Schmerzen zufügen, um das eigene Verlangen zu stillen. Oder, um es mit der Icherzählerin der Geschichte „Vernarbt“ zu sagen: „Ich hatte alles, was man sich nur wünschen konnte. Ich erfand neue Bedürfnisse, nur um sie zu befriedigen.“