Ärztin über den Streit um Paragraf 219a: „Wir fühlen uns verarscht“

Die Ärztin Nora Szász fordert eine Lösung für Paragraf 219a. In die SPD setzt sie noch Hoffnung, Vorschläge der Union hält sie für Augenwischerei.

Eine Frau demonstriert, ihren Mund hat sie mit Tape verklebt

Seit fast einem Jahr protestieren nicht nur Ärztinnen gegen den Paragraf 219a Foto: Imago/Ipon

taz: Frau Szász, eine Einigung im Streit um den Paragrafen 219a in diesem Jahr scheint vom Tisch. Sind Sie enttäuscht?

Nora Szász: Klar bin ich, sind wir enttäuscht, aber nicht erst seit heute. Das Ganze kommt mir vor wie eine schlechte Politsatire. Da wird seit März verhandelt in einer Koalition, in der ein Teil eigentlich gar keine Veränderung will. Die Regierungsparteien entziehen sich der Verantwortung. Die SPD hat schon mehrere Ultimaten verkündet. Wir fühlen uns ziemlich verarscht und im Stich gelassen. Anders als für die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenabauer geht es für SPD-Chefin Andrea Nahles jetzt auch darum, ihr Gesicht zu wahren gegenüber der Bevölkerung, aber auch ihrer eigenen Partei.

Was erwarten Sie von der SPD?

Ich habe noch Hoffnung. Es gibt in der SPD, denke ich, eine Mehrheit, die endlich eine politische Entscheidung herbeiführen will, das sieht man am Engage­ment an der Basis, bei den Jusos oder den SPD-Frauen, aber auch in der Fraktion. Ich würde sagen: Es geht auch ohne die CDU.

Die SPD hofft nach wie vor auf einen Kompromiss. Könnten Sie damit leben?

Für mich ist wichtig, dass es Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte gibt und dass Frauen sich im Netz auf ärztlichen Websites darüber informieren können, wer Schwangerschaftsabbrüche durchführt – so wie in vielen europäischen Nachbarländern auch. Dass ein Kompromiss, der das leistet, mit der Union möglich ist, kann ich mir nach den Worten von Kramp-Karrenbauer auf dem CDU-Parteitag nicht vorstellen.

Die Union hat wiederholt vorgeschlagen, Listen mit den Adressen von Ärzt*innen ins Netz zu stellen. Wäre das eine Möglichkeit?

56, ist Gynäkologin in Kassel. Sie und ihre Kollegin Natascha Nicklaus informieren im Netz darüber, dass in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche möglich sind. Sie stehen deswegen vor Gericht. Am 28. Januar 2019 steht ihr nächster Gerichtstermin an.

Das ist doch Augenwischerei. Die Union hofft, so um eine Änderung des Paragrafen herumzukommen. Solche Listen kann man immer diskutieren – das kann aber nur ein zusätzlicher Schritt sein. Paragraf 219a kriminalisiert uns Ärztinnen und Ärzte. Abtreibungsgegner bezeichnen uns öffentlich als Mörderinnen, und der Paragraf hilft ihnen, uns mit Anzeigen zu überziehen. Dieser Hebel muss ihnen genommen werden.

Die Union begründet ihre ablehnende Haltung gegenüber einer Reform mit dem Schutz des ungeborenen Lebens. Ist das ein berechtigtes Argument?

Auf keinen Fall. Es geht nicht um Abtreibungen, es geht auch nicht um ein „Werbeverbot“ – dieses Wort fühlt sich für mich immer ein bisschen an wie ein Tritt in den Magen. Es geht um ein Informationsverbot. FDP-Chef Christian Lindner hat es gesagt: „Beim Paragrafen 219a geht es nicht um Abtreibungen selbst, sondern darum, Mediziner zu entkriminalisieren.“ Das ist eine hilfreiche Aussage. Und wir dürfen die Frauen nicht aus dem Blick verlieren. Eine ungewollte Schwangerschaft ist keine geplante Situation. Die Frau hat ein enges Zeitfenster, in dem sie eine wichtige Entscheidung treffen muss. Die darf ihr nicht unnötig erschwert werden.

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