Afrikanische Medienkünstler in Karlsruhe: Die offenen Adern Afrikas

Die Karlsruher Ausstellung räumt mit dem Klischeebild von Afrika als „informationstechnologisch dunkler Kontinent“ auf.

Ein Haufen mit Elektroschrott und vielen Kabeln

François Knoetze thematisiert mit „Core Dump“ die Wiedergewinnung edler Metalle auf Müllhalden in Nigeria Foto: ZKM

Die Ausstellung „Digital Imaginaries – Africas in Production“ im Medienkunstmuseum ZKM Karlsruhe entdeckt den afrikanischen Kontinent als IT-Hub. Inzwischen weltweit erfolgreiche Apps wie M-Pesa oder Usha­hido, die ursprünglich in Afrika entwickelt wurden, werden vorgestellt. Afrikanische Medienkünstler mit mal dystopischen, mal auch ironischen Werken sind eingeladen. Vor allem verabschiedet man sich mit der Ausstellung fulminant vom Klischeebild Afrikas als „informationstechnologisch dunklem Kontinent“.

Zentrales Thema sind aber auch die neokolonialen Ausbeutungsverhältnisse in der globalen IT-Ökonomie, unter denen Afrikas Bevölkerung extrem leidet. Den Beginn des Verwertungskreislaufes machen die Arbeitsbedingungen beim Schürfen seltener Metalle wie Coltan, das für Kondensatoren unabdinglich ist, dem Kongo aber einen Jahrzehnte langen Rohstoffkrieg bescherte.

Das Ende des Zyklus stellen die Halden aus Elektroschrott dar, auf denen – vor allem am Rande der Städte Nigerias – Kinder und Jugendliche die Plastikisolierungen abfackeln, um an die seltenen Metalle zu gelangen.

Diesen Aspekt verarbeitet der südafrikanische Künstler François Knoetze spektakulär in seiner Installation „Core Dump“. Lose Kabelenden hängen von der Decke herunter. Sie weisen von oben auf eine Pyramide aus ausgeschlachteten Computern, Smartphones und 3-D-Druckern. In diese Skulptur sind Monitore integriert, die frühere Videoarbeiten und Interviews Knoetzes zeigen. Auf den Leinwänden rechts und links der Schrottskulptur läuft ein Episodenfilm, den Knoetze in Kapstadt und Karlsruhe drehte.

„Digital Imaginaries – Africas in Production“; im Zentrum für Kunst und Medien (ZKM), im Lichthof 1+2, 1.OG, Lorenzstraße 19, Karlsruhe, bis 17. März 2019.

Die afrikanischen Protagonisten werden dabei zu Mutanten, genetisch verändert durch die Strahlung der Geräte. Zugleich sind sie selbst Rohstoffträger. In einem Ritual werden einem von ihnen die Hände abgehackt: Anstelle von Blut fallen Coltan-Brocken aus den Armstümpfen. Die Szene ist eine geradezu geniale Übertragung von Eduardo Galeanos Klassiker „Die offenen Adern Lateinamerikas“ auf den afrikanischen Kontinent.

Digitale Dreiklassengesellschaft

Eher ambivalent, zwischen Dystopie und Utopie schwankend, ist der Animationsfilm „Mad Horse City“. Der Künstler und Architekt Olalekan Jeyifous und der Schriftsteller und Verleger Wale Lawal präsentieren hier eine digitale Dreiklassengesellschaft, in der es für Bessergestellte als attraktiv gilt, offline zu sein, während einfache Fischer ihr Leben riskieren, wenn sie der Meeresüberwachung zu entkommen versuchen. Jeyifous entwirft dabei das Lagos des Jahres 2115 als eine vibrierende Mega-City, in der Informationsströme und organische Formen miteinander verschmelzen.

Ganz pragmatisch der Jetztzeit zugewandt ist das Projekt Agbogbloshie Makerspace Platform (AMP). Kernelement ist eine IT-Infrastruktur-Arbeitsplattform von circa 3 x 3 Meter Grundfläche und einem darauf befindlichen Gehäuse mit Hängevorrichtungen. Es wurde in Ghana hergestellt und dient Arbeitern auf den Elektroschrotthalden dazu, ihre Kenntnisse beim Bergen, aber auch Reparieren von Bauteilen sowie dem Neuzusammenfügen von Geräten auszutauschen und zu verfeinern.

Anstelle von Blut fallen Coltan-Brocken aus den Armstümpfen der Mutanten

AMP verdammt nicht die Ausbeutungspraktiken auf den Müllhalden, sondern will Wissen generieren. Prototypen der Plattform waren auch beim Afropixel Festival in Dakar, einer Partnerorganisation des ZKM im Rahmen der Ausstellung, im Einsatz. Das Exemplar in Karlsruhe soll demnächst mit einem Gerät zur Messung der Luftqualität versehen werden und dabei Daten mit anderen Standorten austauschen.

Des Weiteren werden zahlreiche Apps aus Afrika vorgestellt: Cardiopad, entwickelt von einem Ingenieur aus Kamerun, misst den Herzschlag und sendet die Daten zu einem Herzspezialisten. In einem Land, das zum Zeitpunkt der Entwicklung der App lediglich 50 Kardiologen bei einer Gesamtbevölkerung von 20 Millionen Menschen hatte, ein potenziell Leben rettendes Instrument. Die App wird mittlerweile auch in Indien und Nepal vertrieben.

M-Pesa, bereits 2007 in Kenia entwickelt, erlaubt Zahlungsverkehr über Mobiltelefone und ersetzt damit den – zumindest seinerzeit in ländlichen Regionen schwach ausgebildeten – Bankensektor. Die ebenfalls in Kenia entwickelte Ushahidi-Plattform verknüpft geografische Daten mit Informationen über Politik und Wirtschaft. Sie kam erfolgreich bei der Wahlbeobachtung und Aufdeckung von Wahlbetrug zum Einsatz, aber auch bei den Rettungs- und Bergungsaktivitäten unmittelbar nach den schweren Erdbeben in Haiti 2010 und Nepal 2015 sowie zur Abklärung der Umweltschäden anlässlich der Havarie der Bohrplattform Deepwater Horizon vor der US-Küste.

Projekte wie diese zeichnen ein anderes Bild von Afrika, jenseits der Klischees vom abgehängten und verwüsteten Kontinent. Dass die klassischen Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse durch ein paar erfolgreiche Apps nicht grundlegend geändert werden, ist allerdings auch klar. In die Ausstellung ist auch eine Arbeit integriert, die die Entdeckung des digital erfolgreichen Afrikas durch die Kunstkuratoren aus dem globalen Norden ironisch betrachtet.

Die Künstlergruppe The Nest Collective kreiert in dem Kurzfilm „This One Went to the Market“ eine afrofuturistische Performance-Ikone, ausgestattet mit Kabeln, VR-Brille und Attrappen von Empfangsgeräten. Die vermeintliche Cyber-Body-Art-Pionierin schwärzt zudem noch ihr Gesicht, um allen Anforderungen des globalen Kunstmarkts zu genügen.

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