„League of Legends“-Weltmeisterschaft: Mehr als nur ein Spiel

Südkorea ist das Paradies für E-Sport. Professionelle Computerspieler verdienen hier wie Fußballstars – und trainieren ebenso hart für ihren Erfolg.

In einem Stadion sitzen tausende Zuschauer, auf riesigen Bildschirmen werden Computerspiele übertragen

Über 26.000 Fans verfolgten das Finale im Stadion. Die Tickets waren früh ausverkauft Foto: Fabian Kretschmer

INCHEON taz | Song Eui-jin inspiziert fachmännisch seine Maus, streckt seine Finger mehrmals durch, renkt kreisförmig seinen Hals. Ein letztes Vorbereiten vor dem großen Match. In der schalldichten Spielerkabine hört der 21-jährige Koreaner nicht die 26.000 Fans auf den Tribünen, die ihn mit martialischen Schlachtrufen und roten Leuchtstäben anfeuern. An diesem Samstagabend im Munhak-Fußballstadion von Incheon wird der schüchtern wirkende Junge mit der fahlen Haut zum Shootingstar „Rookie“ – dem besten „League of Legends“ (LoL)-Spieler seiner Generation.

„Heute tritt nicht David gegen Go­liath an, es stehen viel mehr zwei Goliaths auf dem Feld“, ruft der Sportkommentator überschwänglich in sein Headset. Auf der Bühne knallt ein letztes Feuerwerk in den Himmel, bevor auf den absurd riesigen Bildschirmen ein Countdown heruntergezählt wird: Das Spiel beginnt.

Das Finale der LoL-Weltmeisterschaft ist die wichtigste E-Sport-Veranstaltung, und sie steht einer herkömmlichen Sportveranstaltung in nichts nach: Wenn das chinesische Team Invictus Gaming gegen die europäischen Spieler von Fnatic antritt, geht es schließlich um ein Preisgeld von 2,13 Millionen US-Dollar. Die Computerspieler haben sich zunächst aus vierzehn verschiedenen Regionalligen qualifiziert, später in einer einmonatigen K.-o.-Runde in Südkorea gegen Teams aus allen Kontinenten durchgesetzt.

Als „Kampf zweier Welten“ wird das Match von den Veranstaltern beworben – schließlich hat zum ersten Mal ein europäisches Team die Chance, die ostasiatische E-Sport-Dominanz zu durchbrechen. „Wir waren extrem enttäuscht, dass die koreanischen Teams bereits im Viertelfinale ausgeschieden sind“, sagt Yoon Young-hak vom Veranstalter Riot Games Korea: „In den letzten Jahren hat Südkorea schließlich jede Weltmeisterschaft dominiert“. Sorgen über schleppende Ticketverkäufe erwiesen sich jedoch als unbegründet: Früh waren die Tickets ausverkauft, bis zu 50 Euro haben die Fans dafür gezahlt.

Von Turnier zu Turnier

Beim Fantasy-Strategiespiel „League of Legends“ treten zwei Teams aus jeweils fünf Spielern gegeneinander an. Wie im Fußball gibt es mehrere strategische Positionen, sie heißen etwa Top Laner oder Jungler. Taktisches Feingefühl und extreme Reaktionsschnelligkeit sind gefordert, die einzelnen Abläufe sind derart einstudiert, dass der Spielverlauf für Außenstehende nur mehr schwer nachzuvollziehen ist – eben Hochleistungssport mit Computertastatur und Maus.

„Je älter man wird, desto langsamer werden die Reflexe. Spätestens mit Ende 20 gehört man schon zum alten Eisen – das ist ähnlich wie beim Fußball“, sagt Timo Verdeil. Mit seinem riesigen Teleobjektiv im Schlepptau und dem Smartphone in der Hand, schreitet der 22-jährige E-Sport-Journalist mit riesigen Schritten vom Pressezentrum durch die Stadiongänge.

Taktisches Feingefühl und extreme Reaktionsschnelligkeit sind gefordert

Verdeil hat bereits während seiner Schulzeit in der südfranzösischen Provinz gewusst, dass er mit seiner Leidenschaft für die Computerspielszene auch eine berufliche Laufbahn aufbauen kann. Seither reist er als E-Sport Reporter für die Zeitung L’Équipe um die Welt, von Turnier zu Turnier.

„Meine Mutter kann das immer noch nicht verstehen, was ich überhaupt mache. Sie hätte es lieber gehabt, dass ich was ordentliches studiere“, sagt Verdeil: „Weil sie denkt, dass E-Sport ein Trend ist, der schon bald wieder vergeht.“ Seither ist die Industrie jedoch immer weiter angewachsen.

Staatliche Investitionen

Vor allem die Spieler haben sich zunehmend professionalisiert. Die meisten trainieren in eigenen Team-Wohnhäusern sieben Tage die Woche, mindestens zehn Stunden täglich. Sie werden von großen Firmen gesponsert, ihr Verdienst steht professionellen Leistungssportlern in nichts nach.

Südkorea gilt dabei zweifelsohne als Geburtsort für das professionelle Computerspielen. Hier ist E-Sport längst weit mehr als nur ein Hobby für Teenager in Kinderzimmern: Eine hochprofitable Industrie, die laut einer Studie des südkoreanischen Kulturministeriums einen Mehrwert von 76 Millionen Dollar generiert.

Der E-Sport-Boom hat vor allem auch mit den massiven staatlichen Investitionen zu tun: Bereits Mitte der Neunzigerjahre erkannte die südkoreanische Regierung das Potenzial des Online-Zeitalters. 1995 erarbeitete sie einen Zehn-Jahres-Plan zum Ausbau der Breitbandverbindungen. Heute verfügt das Land am Han-Fluss über die schnellsten Internetleitungen der Welt, flächendeckendes WiFi in urbanen Räumen und eine überaus technik­affine Bevölkerung.

Bei der Digitalisierung hatte Südkorea von Beginn an die besten Voraussetzungen: ein dicht besiedeltes Land auf kleiner Fläche und eine hochurbane Bevölkerung. Seit der Jahrtausendwende eröffneten Internetcafés zu Tausenden in der Hauptstadt Seoul. Dort wurde schon bald kompetitiv gegeneinander gezockt. Es war die Geburtsstunde des elektronischen Leistungssports. Es entstanden erste E-Sport-Stadien, Fernsehsender exklusiv für E-Sport und Trainingszentren für die besten Teams.

Wie Heiligtümer

Die Bedeutung der Branche für den südkoreanischen Staat zeigt sich bei der Eröffnung der ersten E-Sport-Hall of Fame: Das Kulturministerium hat ins E-Sport-Zentrum Sangam am westlichen Stadtrand von Seoul geladen, Regierungsbeamte in Anzug und Krawatte halten im Blitzlicht der über 100 Fotografen floskelhafte Reden.

Einem Museum gleich wird hier auf Wandtafeln die Historie des Computerspielens in Südkorea erklärt, in Vitrinen sind die Keyboards und Trikots der besten Spieler wie Heiligtümer aufgebahrt. Als Testimonial ist an diesem Spätsommertag ein ganz besonderer Gast gekommen: „Faker“ gilt als bester LoL-Spieler aller Zeiten.

Mit seiner runden Nickelbrille, Pilzfrisur und Collegejacke sieht Lee Sang-hyeok zwar wie ein ganz gewöhnlicher Unistudent aus. Unter seinem 600.000 Fans gilt der Südkoreaner jedoch als „Gott“, der bereits dreimal die Weltmeisterschaft des Fantasy-Spiels gewonnen hat. Gesponsert wird Faker von SKT, einem der großen Telekommunikationsanbieter Südkoreas. Geschätztes Jahreseinkommen: drei Millionen US-Dollar. Mit starrer Mine sagt er vor den anwesenden Journalisten: „Ich fühle die Verantwortung für mein Land, unsere Industrie auf die nächste Stufe zu heben“.

Nur wenige Wochen später sorgte Faker für die Überraschung des Jahres – indem sein Team die Qualifikation für die LoL-Meisterschaft verpasste. Seither liegt die Hoffnung auf Landsmann Rookie, das Erbe von Faker fortzuführen.

Star-Allüren

Dieser zeigt beim Finale im Munhak Fußballstadion von Incheon eine tadellose Leistung. Nach knapp zwei Stunden hat der Clan Invictus Gaming das Match mit einem triumphalen 3:0 für sich entschieden. In einer Abschlusszeremonie mit Konfettidusche und spektakulärer Lichtperformance huschen die Spieler jubelnd auf die Bühne, um die silberne Pokaltrophäe entgegenzunehmen – nur Rookie ist in Freudentränen aufgelöst, die der 21-jährige mit seinen Händen vor den Blicken der Kameras zu verstecken versucht.

Dass die europäischen Spieler so sang- und klanglos untergegangen sind, hat – so munkelt man im Pressezelt – vor allem mit den Ego-Problemen des Teams zu tun. Fnatics bester Spieler, der 24-jährige Franzose sOAZ, wurde an diesem denkwürdigen Abend erst in der dritten und damit letzten Partie eingewechselt. Er gilt als Diva, manche sagen ihm Star-Allüren nach. Im Sommer soll er nach einem missratenen Spiel seine Faust wutentbrannt gegen eine Wand geschlagen haben, so dass er mehrere Wochen pausieren musste.

In der koreanischen Novemberkälte wartet Timo Verdeil auf die Pressekonferenz mit dem chinesischen Siegerteam. Er spricht von einem Paradigmenwechsel der LoL-E-Sport-Szene, der sich an diesem Abend vollzogen hat: „In Sachen Spielergehälter und Investorengeldern ist China längst an Korea vorbeigezogen“, sagt er.

Auch die Statistiken am nächsten Morgen geben ihm recht: Über 205 Millionen Zuschauer haben das Finale im Internet aus verfolgt – davon 203 Millionen User aus China.

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