Tiere bald nur
noch in Stall und Zoo?

Alarmierende Zahlen vom WWF: Die Anzahl der Wirbeltiere ist seit 1970 weltweit um rund 60 Prozent zurückgegangen, berichtet der Verband – und fordert entschlossene Gegenmaßnahmen

Wie viele Amphibienarten ist der Laubfrosch gefährdet. Durch landwirtschaftliche Umgestaltung verschwinden Kleingewässer immer mehr. Pestizide und die intensive Bodenbearbeitung sorgen dafür, dass die Tiere vergiftet werden oder Fressfeinden ausgesetzt sind

Von Andrew Müller

Der weltweite Bestand von Wirbeltieren ist seit 1970 um 60 Prozent geschrumpft. Das ist das Hauptergebnis des „Living Planet Reports 2018“, den der WWF am Dienstag in Berlin vorgestellt hat. In den zwei Jahren seit der letzten Studie war demnach ein weiterer Rückgang um 2 Prozent zu verzeichnen.

China will den umstrittenen Handel mit Waren aus Tigerknochen und Nashörnern „unter besonderen Bedingungen“ wieder erlauben. Einen Grund für die Abkehr von dem seit 1993 bestehenden Verbot nannte das Kabinett nicht. Zugleich betonte es, Umfang des Verkaufs und der Verwendung solcher Produkte würden „streng kontrolliert“. Tigerknochen sowie Hörner von Nashörnern könnten nur von Nutztieren genommen und für „medizinische Forschung oder zur Heilung“ eingesetzt werden. Die Körperteile der Tiere werden in der traditionellen chinesischen Medizin verwendet – trotz mangelnder Beweise für deren Effektivität bei der Behandlung von Krankheiten. Auch die Nachfrage nach Elfenbein in der Volksrepublik wird als treibende Kraft hinter der Abschlachtung afrikanischer Elefanten betrachtet. Ab diesem Jahr gilt ein von der Führung in Peking verfügtes Verbot des Handels mit El­fen­bein. Laut einer Studie der britischen Umweltschutzgruppe EIA lässt China trotz des vorangegangenen Handelsverbots seit Langem „Tigerfarmen“ zu, in denen Knochen toter Tiere gesammelt werden. Deren Verkauf für mutmaßliche medizinische Zwecke werde stillschweigend geduldet. Auch eine mögliche Züchtung von Nashörnern würde geprüft, obwohl diese nicht in China heimisch seien. (ap)

Der Living Planet Report, der zum zwölften Mal erstellt wurde, gilt als wichtiges Barometer für den weltweiten ökologischen Zustand der Welt. Er beruht auf einer großen Datenmenge von mehr als 16.000 untersuchten Beständen und über 4.000 Arten Säugetieren, Vögeln, Fischen, Reptilien und Amphibien. Die Daten wurden von 59 internationalen Experten zusammengestellt und ausgewertet, der WWF kooperiert hierfür mit vielen internationalen Forschungsinstitutionen und bezeichnet die Datengrundlage als „solide“.

Die jüngsten Ergebnisse zeigen einen neuen Tiefpunkt: „Unser Lebensstil ist wie Kettenrauchen und Komasaufen auf Kosten des Planeten“, kommentierte Jörg-Andreas Krüger, Geschäftsleiter Naturschutz beim WWF Deutschland. Die Gründe seien eindeutig: Die Menschheit verbrauche jährlich 70 Prozent mehr natürliche Ressourcen, als die Erde zeitgleich erneuern könne.

„Unser Lebensstil ist wie Kettenrauchen und Komasaufen auf Kosten des Planeten“

Jörg-Andreas Krüger, WWF

Als Folge davon seien die Böden überdüngt und die Meere versauert und für viele Arten als Lebensraum nicht mehr geeignet. Mit einem Minus von 89 Prozent besonders dramatisch ist der Rückgang von Tierbeständen in Süd- und Zentralamerika, wo der Regenwald gerodet und Flüsse verschmutzt werden. Das passiert auch aufgrund der großen Nachfrage nach Rohstoffen und Futtermitteln aus dem Norden. „Deutschland hat am erschütternden Rückgang der biologischen Vielfalt weltweit maßgeblich Anteil“, sagte Krüger.

Ein Hauptaugenmerk richtete der Umweltverband auf den Zustand der Süßwasser. In Deutschland hätten diese sich zwar seit der Wende deutlich erholt. Es reiche aber nicht, auf nationaler Ebene zu agieren. Die Wasserproblematik etwa werde auch EU-weit entschieden, und es drohe bei Neuverhandlungen der Wasserrahmenrichtlinie unter Umständen eine Lockerung der Schutzmaßnahmen, so WWF-Sprecherin Elbe. Global sehe die Situation noch schlechter aus: Bei Tieren, die in Fließgewässern leben, gibt es dramatische Rückgänge von durchschnittlich 83 Prozent. Die Gründe seien vielfältig: Staudämme, Bewässerung, industrielle Abwässer und die generelle Übernutzung von Süßwasser.

Die Naturschutzorganisation BUND hat die Feldlerche schon zum zweiten Mal zum „Vogel des Jahres“ ernannt. Der Bestand dieses Sommer-Zwitscherers ist stark rückläufig. Die Feldlerche bevorzugt offene Landschaften und ist daher vor allem durch intensive Landwirtschaft bedroht Fotos: picture alliance

Zur möglichen Lösung des Problems betont der WWF, dass WissenschaftlerInnen die nötigen Ziele längst definiert hätten, nur hapere es an deren Umsetzung. Man erwarte, dass trotz UN-Nachhaltigkeitszielen, Pariser Klimaschutzabkommen und nationalen Nachhaltigkeitsmaßnahmen die nötigen Ziele verfehlt würden. „Der Dreh ist aber noch möglich, wir sind keine Doomsday-Prediger“, betonte Krüger und richtete die WWF-Forderungen in Richtung Politik, Konsumenten und Wirtschaft. Zu den zentralen Forderungen gehört ein internationaler Waldfonds mit mindestens 100 Millionen Euro Jahresbudget, aus dem Projekte für Waldschutz und Wiederaufforstung finanziert werden sollen. Die europäischen Agrarsubventionen müssten stärker an ökologischen Kriterien ausgerichtet werden.

Einige Tigerpopulationen sind zwar nach jahrzehntelangen Einbrüchen wieder gestiegen. Doch diese Erfolge sind sehr fragil, und einige Unterarten sind bereits ausgestorben. In Südostasien ist teilweise ein starker Rückgang zu beobachten, der neben Zerstörung der Lebensräume mit der starken Jagd zusammenhängt

Deutschland gelte zwar als fortschrittlich in Sachen Klima- und Umweltschutz, falle aber in Wahrheit immer mehr zurück. Man müsse angesichts der schwierigen politischen Weltsituation auch in Bezug auf Umwelt- und Klimaschutz „Koalitionen der Willigen schmieden“, so Krüger.

Die Bundesregierung fühlt sich von dieser Kritik nicht angesprochen. „Im Prinzip entspricht das unserer Position und stärkt diese“, sagte eine Sprecherin des Bundesumweltministeriums. Sie verwies auf das geplante Insektenschutzprogramm, das auch positive Auswirkungen auf Vögel haben werde. Zudem helfe man Entwicklungsländern im Kampf gegen Wilderei und fördere den Schutz der Wälder global mit 500 Millionen Euro jährlich. Bei der kommenden Biodiversitätskonferenz werde wohl außerdem die Biodiversitätsfinanzierung verdoppelt, hieß es.