Adrian Schulz
Jung und dumm
: Und täglich grüßt das Pimmelspiel

Foto: Susanne Wintzenburg

Als schwuler Mann in einer Welt aufzuwachsen, die von heterosexuellen Männern beherrscht wird, ist mitunter eine seltsame Erfahrung. Oft fragt man sich dabei: Was machen die da? Zum Beispiel: Was machen die da, wenn sie, vierzehnjährig, laut darüber nachdenken, ihre Deutschlehrerin zu penetrieren? Muss ich das auch wollen? Und warum will ich das nicht?

Notgedrungen überlegt man sich also ein paar Details dazu, was für Lehrerinnen welchen Faches man wie und warum gern penetrieren würde, und hört doch nicht auf, sich zu wundern. Wenn es meine jugendlich-männliche Umwelt so eindringlich nach solchen Dingen wie weiblicher Nacktheit und gemischtgeschlechtlicher Stimulation dürstet, fragt man, selber jugendlich: Warum hört man sie nach dem Sport dann immer so laut miteinander duschen? Und warum partizipieren so viele von ihnen dabei an einem Spiel namens „Anpimmeln“, das vermutlich meint, was man vermutet? Man selber enthält sich.

Die Jahre vergehen. Und immer noch hört man nicht auf, sich zu wundern. Mit der inzwischen, zumindest nach innen, geleisteten Begriffsarbeit im Kopf fragt man: Warum komme ich im Biologieunterricht nur vor, wenn es um Sexualkrankheiten geht? Werde ich jemals glücklich sein? Und natürlich: Warum befummeln sich die Jungs um mich herum eigentlich immer noch? Massieren sich? Zeigen ihre Hoden vor?

Sind diese Leute also wie ich? Und wenn nein, warum tun sie dann ständig so? Sind das die Hormone? Ungebremster Libidoüberschuss? Oder ist dieses unablässige Angrabschen, Antäuschen, Abfälschen nicht eher der Nachweis, besonders männlich zu sein: ein Draufgänger, ein Mädchenabschlepper? Der so wenig Angst vor dem Wort schwul hat, so wenig Angst vor dem homoerotischen Kumpelgekuschel, weil er es einfach nicht ist? No homo!

Man ist immer noch schwul. Man macht nicht mit bei dem Gefummel, aus Angst, man würde entdeckt. So gerät man erst recht in Verdacht, im Ernst das zu sein, was im Spaß alle vorgeben. Und nie hört man auf, sich gefangen zu fühlen. Zu fragen: Was machen die da? Was mache ich da? Was mache ich mit meinem Körper? Was soll ich zeigen: Oberkörper? Arsch? Penis? Wem? Und was verrate ich damit? War wenigstens das früher nicht besser, als „schwul“ noch schlicht „Sünde“ bedeutete?

Die Fünftage-vorschau

Fr., 12. 10.

Hengameh Yaghoobi­farah

Habibitus

Mo., 15. 10.

Fatma Aydemir

Minority Report

Di., 16. 10.

Juri ­Sternburg

Lügenleser

Mi., 17. 10.

Anja Maier

Bauern­frühstück

Do., 18. 10.

Hannah Reuter

Blind mit Kind

kolumne@taz.de

Diese Dynamik aus Verbergen und Enthüllen, man wird nicht schlau aus ihr. Will man auch gar nicht. Ihr mögt es doch sonst so eindeutig, denkt man. Dumpfbackiges Familienglück, Vergewaltigungsporno in Thailand, gescheiterte Ehen. Nicht viel Raum für Uneigentlichkeit. Eigentlich.Und doch – bei jedem Sport, den man nicht treibt; bei jedem allzu neugierig fragenden, aber garantiert heterosexuellen Freund, mit dem man spricht; bei jedem Pinkelbecken, an dem man vorbeigeht, hört man auch heute den Hall einer Neuntklässlerstimme, die schreit: Anpimmeln! Und man flüchtet sich auf die Kabine.