Die Wahrheit: Der Bonbon-Brexit

Schuld am Austritt der Briten aus der Europäischen Union ist ein Pfefferminzbonbon, dem das typische Loch verboten wurde.

Jessie war meine Freundin. Sie strahlte immer, wenn sie mich sah, denn meistens steckte ich ihr Leckereien zu. Das ist jetzt vorbei. Jessie ist ein Pferd, und manchmal bringt ihr Eigentümer sie zu uns, damit sie unsere Wiese abgrast. Jemand hatte mir erzählt, dass Pferde Pfefferminzbonbons mögen. Ich kaufte eine Großpackung Polo Mints.

Die Bonbons mit dem Loch in der Mitte feiern dieses Jahr ihren 70. Geburtstag, erklärte die Herstellerfirma. Wie feiert ein Pfefferminzbonbon? Erfunden hat sie der Rowntree-Angestellte John Bargewell 1948. Er nannte sie „Polo“, weil das wie „polar“ klingt – cool und frisch. In Wirklichkeit gab es aber schon 1939 Pfefferminzbonbons mit einem Loch, sie hießen Life Savers, weil sie wie ein Minirettungsring aussahen. Aber wegen des Zweiten Weltkriegs kamen sie erst 1947 auf den Markt, ein Jahr vor Polo.

In den achtziger Jahren probierten die Polo-Hersteller andere Geschmacksrichtungen wie Banane, Wassermelone, Kokosnuss, Pfirsichschnaps oder Zitronenmojito, doch die Kundschaft bevorzugte das Original. 1994 änderte man das Rezept und machte die Polo Mints 13,063 Prozent pfefferminziger.

Am 1. April 1995 meldete die Herstellerfirma, dass die Europäische Union eine Direktive verabschiedet habe, wonach Lebensmittel kein Loch haben dürfen. Deshalb werde man jeder Rolle Polo Mints 20 kreisrunde Stücke von sieben Millimeter Durchmesser beilegen, die von der Kundschaft in das Loch gedrückt werden müssen. Sonst mache man sich strafbar. Man werde aber gemeinsam mit italienischen Makkaroni-Fabriken vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Direktive klagen.

Der ehemalige britische Außenminister Boris Johnson war damals süchtig nach Polo Mints. Die Direktive aus Brüssel soll dem damals Dreißigjährigen einen solchen Schock versetzt haben, dass er beschloss, für den Austritt Großbritanniens aus der EU zu kämpfen. Auslöser für den Brexit ist also ein Pfefferminzbonbon!

Im Internet kursieren Warnungen, dass Pferde von Polo Mints Karies bekommen. Aber bei der Dubliner Pferdeshow im Frühsommer wurden die Bonbons eimerweise an Pferde verteilt. Ich gab Jessie dagegen immer nur vier oder fünf Stück. Wenn Jessie mich sah, galoppierte sie in freudiger Erwartung zum Zaun. Sie lutschte die Bonbons nicht, sondern zermalmte sie mit den Zähnen. Jessie war das Pferd mit dem frischesten Atem Irlands. Dennoch wies ich ihre Versuche, mich zu küssen, zurück.

Neulich hielt ich ihr wieder ein paar Polo Mints hin, doch als Jessie sie nehmen wollte, berührte der Reißverschluss meiner Jacke den elektrischen Zaun. Der Stromschlag ging durch meinen Körper bis zur Bonbonhand und traf dann Jessies Nase. Seitdem nimmt sie Reißaus, wenn sie mich sieht. Nun muss ich die Bonbons selbst essen. Immerhin habe ich nun den frischesten Atem Irlands.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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