40 Jahre taz: Krise im Iran: Iranische Optionen

Landesweit regen sich im Iran Proteste gegen das politische System. Revolutionsführer Chamenei und Präsident Rohani sehen keine Probleme.

Hassan Rohani aufgenommen am 25.09.2014 in New York am Rande der UN-Generalversammlung.

Falsches Lächeln? Präsident Hassan Rohani bemüht sich, das Volk zu beschwichtigen Foto: dpa

Die Islamische Republik Iran steckt in der schwersten wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Krise seit ihrer Gründung vor fast vierzig Jahren. Nicht einmal der achtjährige Krieg gegen den Nachbarstaat Irak stellte das Land vor derart schwerwiegende Probleme, für die es, zumindest kurz- oder mittelfristig, kaum Lösungen gibt.

Die Staatsführung versucht die Probleme herunterzuspielen. Niemand brauche sich um die Zukunft der Islamischen Republik Sorgen zu machen, sagte Revolutionsführer Ali Chamenei. „Keine Macht der Welt kann das Land gefährden.“

Auch Präsident Hassan Rohani bemüht sich, das Volk zu beschwichtigen. Er gab zwar zu, dass es wegen Wasser- und Stromknappheit sowie der Umweltverschmutzung Probleme gebe. Doch es gebe keine Gefahr für die Sicherheit, auch keine ernstzunehmenden Schwierigkeiten bei der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Konsumgütern.

Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache. Misswirtschaft, Mangel an notwendigen Reformen, die himmelschreiende Korruption und nicht zuletzt die Sanktionen haben größere Teile der Bevölkerung in die Armut getrieben.

Korruption – wichtigste Ursache der Krise

Innerhalb der vergangenen vier Monate verlor der Rial fast zwei Drittel seines Werts gegenüber dem Dollar. Die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter Jugendlichen, und die Inflation sind stark angestiegen. In zahlreichen Regionen des Landes herrscht ein dramatischer Mangel an Wasser, zahlreiche Seen und Flüsse sind ausgetrocknet, manche Orte sind unbewohnbar geworden.

Rohani hatte gehofft, mit dem Atomabkommen von 2015 und der Aufhebung von Sanktionen einen wirtschaftlichen Aufschwung einzuleiten. Das ist ihm und seiner Regierung nicht gelungen. Die Regierung verfügt nicht über ausreichend Macht, um notwendige Reformen durchzusetzen, Hardliner sowie Konservative torpedieren ihre Pläne ständig.

Zur Strategie der USA gehört auch die Unterstützung der Proteste, die seit Jahresbeginn immer wieder ausbrechen

Hinzu kommt, dass die Korruption, das größte Übel und die wichtigste Ursache der Krise, in der Islamischen Republik strukturell bedingt ist. Um sie zu beseitigen, müssten sämtliche mächtigen Institutionen wie die Stiftungen und religiöse oder militärische und paramilitärische Einrichtungen unter die Kontrolle des Staates gestellt werden. Das aber ist bei der gegenwärtigen Machtkonstellation nicht möglich.

Die Millionen Wähler, die von Rohani grundlegende Veränderung und eine Öffnung nach außen und innen erwartet hatten, sind inzwischen bitter enttäuscht. Kaum noch jemand hofft auf eine Besserung der Lage. Im Gegenteil, die von den USA neu aufgenommen Sanktionen, die im November noch härter werden sollen, lassen noch schlimmere Zeiten befürchten.

Die Folgen sind soziale Unruhen. Die Massenproteste im August waren die dritte Welle von Protesten im laufenden Jahr, die sich immer deutlicher gegen das gesamte System richten. Alles deutet darauf hin, dass weitere Unruhen ausbrechen werden. Die Unterstützung dieser Unruhen gehört zu der Iran-Strategie der USA. Außenminister Mike Pompeo sagte an die iranische Bevölkerung gerichtet: „Die Vereinigten Staaten hören eure Rufe, die Vereinigten Staaten unterstützen euch, die Vereinigten Staaten sind mit euch.“

USA wollen Druck ausüben

Einem Bericht der Agentur Reuters zufolge haben die USA eine Kampagne gestartet, um in Iran Unruhen zu stiften, die iranische Staatsführung zu diffamieren und die Probleme des Landes zugespitzt und übertrieben darzustellen. Der Druck von außen und von innen soll das Regime in Teheran zermürben, bis es zu einem Regimewechsel kommt – oder Iran die Bedingungen Washingtons akzeptiert. Das hieße, dass Iran auf das Atom- und Raketenprogramm verzichtet, sich aus der Region zurückzieht, vor allem aus Syrien, Irak und Libanon, und seine Hilfe für die libanesische Hisbollah, palästinensische Organisationen und die Huthis in Jemen einstellt.

Die zweite Phase der Sanktionen, die am 4. November beginnen soll, hat zum Ziel, den iranischen Ölexport zu boykottieren und das Land aus internationalen Finanzinstitutionen auszuschließen. Der Nationale Sicherheitsberater im Weißen Haus, John Bolton, sprach von „beispiellosem Druck“.

Tatsächlich ist der Druck auf Iran enorm. Iran hat zwar in den vergangenen Jahren seinen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten erheblich gesteigert und ist zu einer regionalen Großmacht aufgestiegen. Doch das Land steht nun einer Front gegenüber, der neben den USA auch die ehemals verfeindeten Staaten Israel und Saudi-Arabien angehören. Das hat zur Folge, dass Iran sich Russland und China angenähert hat. Aber diese Partner sind nicht verlässlich. Vor allem Russland, das durch die Erfolge im Syrien-Krieg seine Position im Nahen Osten verstärkt und ausgebaut hat, wird Iran fallen lassen, sobald seine Interessen es erfordern.

Die Frage ist nun, wie sich Iran angesichts dieser schwierigen Lage in den nächsten Monaten verhalten wird. Wird Teheran am Ende dem Druck der USA nachgeben und sich zu neuen Verhandlungen bereit erklären? Darauf hoffen die USA. Iran stehe vor einem Zusammenbruch, sagt Präsident Trump. „Sie werden mich an einem gewissen Punkt anrufen und sagen ‚Lass uns einen Deal machen‘ und wir werden einen Deal machen.“

Gang nach Canossa?

Zu diesem Gang nach Canossa wären Rohani und die Gemäßigten unter gewissen Umständen bereit. Verbal lehnte das Teheraner Außenministerium zwar das Angebot Washingtons ab. „Verhandlungen im Schatten von Drohungen (…), das können die Amerikaner vergessen“, sagte Sprecher Bahram Ghassemi. Rohani selbst äußerte sich etwas versöhnlicher. Er forderte eine „sachliche Reaktion“ auf das Angebot Trumps. Und sein Berater Hamid Abutalebi nannte die Voraussetzungen für Verhandlungen: „Rückkehr der USA zum Atomabkommen, Rücknahme der Sanktionen, Ende der Feindseligkeiten und Respekt für das iranische Volk.“

Demgegenüber verfolgen die Hardliner eine konfrontative Politik gegenüber den USA. Revolutionsführer Ali Chamenei, der bei wichtigen Entscheidungen das letzte Wort hat, schloss grundsätzlich Verhandlungen mit Washington aus. „Ich verbiete jedes Gespräch mit den USA“, sagte er.

Und General Ghassem Soleimani, Oberbefehlshaber der Al-Kuds-Brigade, einer Abteilung der Revolutionsgarden, die für Auslandseinsätze zuständig ist, warnte vor einem Krieg, bei dem Washington „alles verlieren“, Iran aber „alles gewinnen“ werde. „Wir sind ein Land, das nach Märtyrertum lechzt (…), und so einem Land will Trump mit seinen Tweets Angst machen?“, sagte er.

Chamenei unterstützt die Regierung

Welche Strategie wird sich durchsetzen? Seit dem Austritt der USA aus dem Atomabkommen ist die Regierung Rohani stark geschwächt und mit ihr die Fraktion der Gemäßigten und Reformer. Die Hardliner und Militärs wittern die Chance, die Regierung zu übernehmen.

Doch neuerdings unterstützt Chamenei die Regierung. Offenbar will er damit die Balance zwischen den Machtzentren erhalten, um weiterhin seine Position als „Alleinherrscher“ behaupten zu können. Kann er aber diese Taktik auch fortsetzen, wenn die Krise sich verschärft, der Druck von außen wächst und die Unruhen im Land größeres Ausmaß annehmen? Wohl kaum.

Sollten aber tatsächlich die Militärs über kurz oder lang das Ruder in die Hand nehmen, würde Iran höchstwahrscheinlich das Atomabkommen kündigen und sein ursprüngliches Nuklearprogramm wieder aufnehmen. Die Lage würde eskalieren und möglicherweise zu einer militärischen Konfrontation mit verheerenden Folgen führen.

Anders als damals beim Krieg der USA gegen den Irak, der seinerzeit innerhalb weniger Tage kapitulierte, hat Iran durchaus die Möglichkeit, sich zu verteidigen. „Der Frieden mit Iran wäre die Mutter allen Friedens, und der Krieg mit Iran die Mutter aller Schlachten“, sagte Rohani. Iran könne die Straße von Hormus schließen und andere Möglichkeiten nutzen, um den gesamten Ölexport aus den Staaten am Persischen Golf zu verhindern, drohte er.

Demokratische Alternative nicht in Sicht

US-Stützpunkte am Persischen Golf, auch Israel, befinden sich in Reichweite iranischer Raketen. Iran hätte auch die Möglichkeit, mit Hilfe seiner Verbündeten einen Großteil der Region in Aufruhr zu versetzen. Angesichts dieser Lage scheint ein direkter Krieg der USA gegen Iran unwahrscheinlich. Denkbar sind aber gezielte Luftangriffe, auch durch Israel, auf iranische Atomanlagen und Militärstützpunkte.

Denkbar ist auch eine militärische Konfrontation auf syrischem Territorium, bei der auch die libanesische Hisbollah und die schiitischen Milizen im Irak Iran unterstützen würden.

Bleibt noch die Option, die für die USA die angenehmste wäre: ein Sturz des Regimes durch eine Volkserhebung. Doch diese Option hat im Vergleich zu den anderen die geringste Chance. Zwar ist die Unzufriedenheit in der Bevölkerung weitverbreitet, auch größere Unruhen sind zu erwarten, aber es gibt keine organisierte Opposition, die die Streiks und Demonstrationen miteinander vernetzen könnte.

Eine demokratische Alternative zum herrschenden Regime ist nicht in Sicht. Die Amerikaner würden die alten Monarchisten mit dem Sohn des gestürzten Schahs, der in den USA lebt, als Nachfolge der Islamisten an der Staatsspitze installieren. Doch für das iranische Volk würde eine Rückkehr zu einem Regime, das unter großen Opfern gestürzt wurde, eine Demütigung, eine Niederlage bilden, die psychologisch kaum zu verkraften wäre.

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