OB-Wahl in Meißen: Ein Schlichter in Angriffslaune

Weil er Pegida in die Landeszentrale für politische Bildung lud, stand Frank Richter in der Kritik. Jetzt will er Bürgermeister werden.

Frank Richter steht vor vielen Mikros und zwei Namenschildern, auf denen „Bachmann“ und „Oertel“ steht

Frank Richter gewährte Pegida 2015 in der Landeszentrale für politische Bildung Asyl Foto: dpa

DRESDEN taz | Ob er liest, auf einer Bühne steht oder beim Wein plaudert: Frank Richters Körpersprache und sein Tonfall verraten nach wie vor den früheren Seelsorger, den katholischen Pfarrer. Wie er beim Zuhören den Oberkörper leicht vorbeugt. Wie er beim Nachdenken die Fingerspitzen beider Hände aufeinanderpresst: Richter ist der geborene Schlichter und Moderator.

Am kommenden Sonntag will Richter Oberbürgermeister der Elbestadt Meißen werden, der ursächsischen Hauptstadt, wenn man so will. Eine völlig neue Herausforderung für ihn, die er in Konsequenz seiner bisherigen Rolle aber auch gesucht hat.

Zum öffentlich bekannten Vermittler wurde Richter am Abend des 8. Oktober 1989. Nach nächtelangen Demonstrationen in Dresden entschied sich an diesem Abend das Schicksal der Revolution in der DDR. Einige tausend Demonstranten wurden an diesem Sonntagabend auf der Prager Straße eingekesselt.

Die Einsatzleitung folgte dem Vorschlag Frank Richters, aus der Menge spontan 20 Vertreter zu nominieren, die am nächsten Morgen mit Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer sprechen sollten. Die Kundgebung löste sich ohne Übergriffe auf. Diese „Gruppe der 20“ und der in dieser Nacht höchst aktive SED-Bezirkschef Hans Modrow stellten die Weichen für den friedlichen Verlauf der legendären Leipziger Demonstration mit 70.000 Teilnehmern am 9. Oktober.

Bruch mit dem Kirchendienst

Der 1960 in Meißen geborene Richter war zu diesem Zeitpunkt gerade erst vor zwei Jahren zum Priester geweiht worden. Als Kaplan an der Dresdner Hofkirche wurde er nicht nur schnell populär, sondern saß auch auf dem vielversprechendsten Aufstiegsplatz im Bistum Dresden-Meißen. Das Amt als dessen Jugendseelsorger ab 1994 schien solchen Ambitionen noch zu entsprechen. Das Trockenbrot als Pfarrer im erzgebirgischen Aue nicht mehr. Frank Richter quittierte 2001 den Kirchendienst und wechselte als Referent für Religion und Ethik ins sächsische Comenius-Bildungsinstitut. 2005 ließ er sich laiisieren, um zu heiraten.

Auf vier Jahre „Westerfahrung“ folgte ab 2009 jene Phase, die ihn mehr und mehr auch über die sächsischen Landesgrenzen hinaus bekannt machte. Die sächsische Union meinte wohl, mit dem Parteimitglied Richter einen treuen Vasallen an der Spitze der Landeszentrale für politische Bildung zu installieren. Doch der neue Direktor erwies sich stilistisch und inhaltlich als ausgesprochen eigenständig und hartnäckig. Originelle Formate wie Kabarettabende am 1. April oder eine Radtour zu Stätten historischer Friedensschlüsse hielten Einzug. Die sächsische Landeszentrale avancierte zu einem Zentrum der Gegenwarts­debatten.

Spricht man den ehemaligen Pfarrer Frank Richter auf sein pastorales Grundmotiv an, nickt er bedächtig. Für ihn gibt es keine verlorenen Schafe

Spricht man Frank Richter auf sein pastorales Grundmotiv an, nickt er bedächtig. Für ihn gibt es keine verlorenen Schafe. Aber damit begann spätestens Ende November 2014 auch die Ambivalenz seines Wirkens. Auf den plötzlichen Zulauf zu Pegida antwortete er noch mit einer Diskussion über das beschworene „christliche Abendland“. Sechs Wochen später, im Januar 2015, gewährte er allerdings auch den Pegida-Exponenten Kathrin Oertel und Lutz Bachmann „Asyl“ für eine Pressekonferenz in der Landeszentrale, weil ihnen niemand sonst einen Raum zur Verfügung stellen wollte.

Bemüht, niemanden auszugrenzen, verlor er manchmal das Gespür für ethische Grenzen der Meinungsfreiheit. Weil in den von ihm moderierten Diskussionen fast jede Inszenierung möglich war, genießt Richter auch bei der Neuen Rechten einen Bonus.

Kandidatur soll AfD stoppen

Etwas von dieser unbedingten Redefreiheit klingt auch in seinem Hundert-Seiten-Büchlein „Hört endlich zu“ an. Zu ungezählten Lesungen ist der Autor eingeladen worden. Dabei bekennt er sich glasklar zu Menschenwürde und gegenseitiger Achtung, glaubt unerschütterlich an die Besserungsfähigkeit von Menschen und Gesellschaften. Was ihn wiederum nicht hindert, in populäre Politikerschelte einzustimmen.

Nun will er selber Politiker werden, will es besser machen. Die OB-Kandidatur in seiner Heimatstadt begreift er auch als Gelegenheit, sich selbst beim Wort zu nehmen. Über die Neue Rechte hat er inzwischen mehr gelernt. Er sagt es nicht öffentlich, aber seine Kandidatur soll auch den AfD-Kandidaten Michael Keiler stoppen. Und die Verhältnisse in einer „festgefahrenen Stadt“ aufbrechen, „in der keiner mehr mit keinem redet“. Da ist er wieder, der Moderator. Ob er neben seinen hehren Zielen auch das kommunale Alltagsgeschäft richtig einschätzt, steht dahin. Bei der Vorstellung seines Wahlprogramms Mitte August machte er zumindest auch in Sachfragen keine schlechte Figur.

Unterstützt wird der nach seinem CDU-Austritt 2017 parteilose Frank Richter von einer Bürgerinitiative, deren Vorläufer nach dem Brand eines geplanten Flüchtlingsquartiers 2015 entstand. Auch Linke, SPD und Grüne sprechen sich für den unabhängigen Kandidaten aus, während ihn seine ehemalige CDU und der wohl schärfste Konkurrent Olaf Raschke heftig attackieren. Er selbst wagt keine Prognose, welchen Stimmenanteil sein guter Ruf bringen wird. Seine zahlreichen Kontaktversuche mit Bürgern bei Spaziergängen, Besuchen und Diskussionen unterstreichen, was er energiegeladen und mit hintergründigem Lächeln auf der Bürgerversammlung äußerte: „Ich habe überhaupt große Lust!“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.