Restaurant in peruanischen Arbeitsviertel: Edelfisch für den Pöbel

Die Geschwister Albornoz betreiben ein Feinschmecker-Restaurant – in einem Arbeiterviertel in Lima. Ihr Essen soll für alle erschwinglich sein.

Ein Mann und eine Frau sitzen am Tisch

Juan und Betsi Albornoz in ihrem Restaurant Foto: Knut Henkel

LIMA taz | Juan Albornoz lehnt die bunt beschriftete Schiefertafel mit den Angeboten des Tages an die offene Gittertür des Populacho. Es ist elf Uhr morgens und drinnen köchelt der Fond für die peruanische Fischsuppe Chilcano auf dem Herd. Daneben zieht auf kleiner Flamme die sämige, curryfarbene Soße für den Cau Cau Marino, einen Fischeintopf.

Im Populacho haben die Vorbereitungen für den Mittagstisch schon früh begonnen. Wie jeden Morgen ist Juans Schwester Betsi Albornoz gegen sechs Uhr zum Fischmarkt von Villa María del Triunfo gelaufen, um Meeresfrüchte und Fisch einzukaufen, und in den umliegenden Geschäften das Gemüse.

Villa María del Triunfo – das Stadtviertel mit dem klangvollen Namen ist eines der Zuwandererviertel am Rand von Lima, es ist von sandigen, mit Felsen durchsetzten Hügeln umgeben, von einfachen Klinkerbauten und streunenden Hunden geprägt.

Perus kulinarische Revolution

Fünfzehn Kilometer entfernt, im feinen Stadtteil Miraflores, befindet sich die Wiege einer kulinarischen Revolution, die Ende der 1990er Jahre begann. Damals haben junge Köche wie Gastón Acurio den Schatz von rund 3.000 traditionellen peruanischen Rezepten neu entdeckt, mit der Vielfalt an Zutaten, die das in Küste, Hochland und Amazonas unterteilte Land hervorbringt.

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Betsi Albornoz hat selbst mehrere Jahre in Miraflores als Köchin gearbeitet, auch in Kolumbien und Uruguay sammelte sie Erfahrungen. Vor zwei Jahren entschied sie sich gegen die Lohnarbeit und für die Freiheit und das Risiko. Ihr Vater bot ihr das Erdgeschoss seines Hauses an der Avenida 26 de Noviembre an, um sich gemeinsam mit ihrem Bruder selbstständig zu machen.

„Juan hat erst gezögert. Er fand das Viertel, in dem wir aufgewachsen sind, nicht gerade optimal als Standort für anspruchsvolle Küche“, sagt die 30-Jährige und schenkt ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder ein provokantes Lächeln.

Dabei ist genau das ihre Mission. „Warum soll gute Küche den Besserverdienenden vorbehalten sein?“, fragt sie. „Hier in Villa María del Triunfo leben viele Menschen, die sich hochgearbeitet haben. Sie arbeiten in Miraflores oder San Isidro und wissen, was dort gegessen und getrunken wird.“ Daher auch der Name ihres Lokals „Populacho“, auf Deutsch: der Pöbel oder das einfache Volk.

Die Ceviche zergeht auf der Zunge

Inzwischen ist es 12 Uhr mittags. Das Populacho nimmt seinen Betrieb auf. Hinter dem Küchentresen wirbelt Juan Albornoz, gerade hat er ein Trío Marino auf den Tresen gestellt. Das in Lima populäre Gericht besteht aus Reis mit Meeresfrüchten, aus Chicharrón – frisch frittierten Fischfiletstreifen – und aus dem Nationalgericht Ceviche, ein in Limettensaft und fein geschnittenen Chilischoten mariniertes rohes Fischfilet. Die Ceviche zergeht auf der Zunge, befeuert durch das Aroma der Chilis.

Die Schoten, Ají genannt, die es in hunderten von Farben und Schärfegraden gibt, gehören zu den Basics der peruanischen Küche. Juan und Betsi Albornoz nutzen rund ein Dutzend von ihnen – darunter auch eine gelbe, die dem Reis, zusammen mit Koriander und einer saftigen Limette, eine markante Note verleiht. Nicht ganz so spektakulär ist der in Teig frittierte Fisch.

Ein Fischgericht auf einem braunen Teller serviert

Leider geil: die Ceviche im Populacho Foto: Knut Henkel

Betsi Albornoz hat sich als Erste aus ihrer Familie für eine Kochausbildung entschieden. Gut zehn Jahre ist das her, damals war der Boom der peruanischen Kochschulen noch nicht absehbar. Als Juan drei Jahre später ihrem Beispiel folgte, hatten Spitzenköche wie Gastón Acurio und Virgilio Martínez bereits international auf sich aufmerksam gemacht und die ersten Gourmets buchten Reisen nach Lima.

In den einfachen Stadtvierteln ist von diesem Trend bis heute wenig angekommen. Das wollen die Geschwister Albornoz ändern: Feine Küche zu erschwinglichen Preisen soll es im Populacho geben. Das geht, weil die Geschwister Albornoz keine langen Wege haben, keine Miete zahlen und sich beim Einkauf nach günstigen Alternativen zu Fisch und Meeresfrüchten umschauen – oder eben auch mal auf Tintenfisch verzichten.

Fischgericht mit Bildungsauftrag

Die ersten beiden Jahre liefen besser als erwartet, sagt Betsi Albornoz: „Wir haben mit fünf Tischen und fünf Gerichten angefangen. Jetzt haben wir doppelt so viele Plätze und knapp zwanzig Gerichte auf der Speisekarte.“ Heute ist eines davon die Liza, die Meeräsche, einer der weniger bekannten Edelfische Perus. Die Lizas stehen im Populacho oft auf der Speisekarte. Weil sie preiswerter sind und weil Seezunge, Seebarsch und Co. seltener werden.

Ein Mann und eine Frau stehen neben einem Schild vor einem Restaurant

Unspektakulär, aber lecker: So sieht das Populacho von außen aus Foto: Knut Henkel

„Wir wollen den Kunden auch beibringen, dass weniger bekannte Fische durchaus schmackhaft sind und dass Bestände geschützt werden müssen“, sagt Juan Albornoz und stellt eine Causa Marina auf den Tisch – ein dreifarbiges Kunstwerk, das auf den ersten Blick wie ein Kuchen anmutet: Auf einem gelben, mit Ají und Zitrone abgeschmeckten Kartoffelmus ruht eine Schicht Meeresfrüchte, darauf ein grüner Deckel aus Avocadocreme.

Betsi Albornoz hat am Nachbartisch gerade Stammgästen, die in der nahe gelegenen Zementfabrik arbeiten, zwei Gläser Wein eingeschenkt. Im Populacho gibt es eine erschwingliche Auswahl an internationalen und nationalen Weinen, zusammengestellt von Betsi Albornoz’ früherem Lebensgefährten Ronald Carhuas, der als Sommelier im Lima der Besserverdienenden arbeitet. Neben dem guten Wein bietet das Populacho auch peruanisches Craftbeer und eine besondere Musikauswahl: Wo in den Restaurants von Miraflores internationale Musik dominiert, laufen hier Chicha, Cumbia und Huaynos, die populären Genres des Landes.

Die Nachbarn des Restaurants werden vom Populacho hin und wieder mit Häppchen versorgt, als Dankeschön dafür, dass sie die Gäste vor ihrer Haustür parken lassen. Denn noch sind die meisten Besucher Anwohner aus den benachbarten Vierteln oder Touristen. Doch die Zahl der Gäste aus Villa María del Triunfo nimmt zu: Tischler sind darunter und die Arbeiter aus der Zementfabrik. Für Betsi Albornoz der Beweis, dass ihr Konzept langsam Früchte trägt.

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