EU-Sondergipfel zur Asylpolitik: Keine europäische Lösung in Sicht

Beim Krisengipfel zur Flüchtlingspolitik in Brüssel konnte Merkel keinen Erfolg verbuchen. Statt um Solidarität ging es um Abschottung mit allen Mitteln.

Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, wartet auf das Eintreffen der Staatschefs bei einem Sondertreffen der EU-Staaten zur Flüchtlingspolitik in Brüssel und geht dabei an den Fahnen der Mitgliedsstaaten vorbei

Eher nationale Alleingänge als Solidarität: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel Foto: reuters

BRÜSSEL taz | Eine „europäische Lösung“ hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Flüchtlingsstreit mit der CSU versprochen. Doch beim eigens für sie einberufenen Krisengipfel am Sonntag in Brüssel war davon nichts zu sehen. Statt allen 28 EU-Ländern – wie bei regulären EU-Gipfeln üblich – nahmen daran nur 16 Mitgliedsstaaten teil. Für die gesamte EU kann diese Runde nicht sprechen, Beschlüsse gab es keine.

Und statt von europäischen Lösungen wurde vor allem von nationalen Problemen geredet. „Intensiv und nützlich“ sei die Aussprache gewesen, sagte der belgische Premier Charles Michel. „Einige Unterschiede“ räumte Merkel nach der rund vierstündigen Begegnung in der EU-Kommission ein. Es habe „viel guten Willen“ gegeben, lobte Merkel das Treffen, das sie selbst angestoßen hatte.

Doch um Solidarität mit den besonders belasteten Ländern Griechenland und Italien ging es nicht. Auch über Rückführungen von Asylsuchenden, die Merkel neuerdings besonders am Herzen liegen, wurde kaum geredet. Im Mittelpunkt stand die Abschottung mit allen Mitteln – auch uneuropäischen, wie Sammellager in Nordafrika. Details wurden nicht bekannt, denn die Runde scheute die Presse.

Merkel beschränkte sich beim Herausgehen auf eine vage, vieldeutige Bemerkung. Wo immer möglich, solle es europäische Lösungen geben, sagte sie am Sonntag vor ihrer Rückreise nach Berlin. Ansonsten müsse man jene, „die willig sind, zusammenführen“.

Doch dass dies gelingt, noch dazu unter Merkels Führung, ist fraglicher denn je. Nach den Visegrad-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei), die das Brüsseler Treffen von vornherein boykottiert hatten, stellte sich am Sonntag auch Italien quer – und präsentierte einen eigenen, radikalen Plan. Er würde eine Abkehr von der bisherigen Asylpolitik bedeuten, aber keine Hilfe für die Kanzlerin.

Bi- oder trilaterale Absprachen

Damit könnte es nun zu einer weitere Zuspitzung in der Krise um die Flüchtlingspolitik kommen. Merkel steht innenpolitisch unter massivem Druck, weil der CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer mit einem asylpolitischen Alleingang droht und andernorts registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweisen will. Aber auch in der EU sieht es nach einem Debakel aus – eigentlich wollte sie beim regulären Gipfeltreffen Ende dieser Woche eine Lösung präsentieren.

Doch daraus wird wohl nichts mehr. Bis zum EU-Gipfel, der am Donnerstag in Brüssel beginnt, werde noch keine Gesamtlösung möglich sein, räumte Merkel ein. Deshalb gehe es in den nächsten Tagen um bi- oder trilaterale Absprachen. Dazu will Merkel in den nächsten Tagen weitere Gespräche führen. Sie setzt vor allem auf die neue Regierung in Spanien, aber auch auf Griechenland.

Xavier Bettel, Luxemburg

„Es geht nicht darum, ob Frau Merkel nächste Woche noch Kanzlerin bleibt oder nicht“

Mit Italien, wo derzeit die meisten Flüchtlinge ankommen, zeichnet sich hingegen keine Verständigung ab – im Gegenteil. Der neue Ministerpräsident Giuseppe Conte präsentierte am Sonntag einen Zehn-Punkte-Plan, in dem er die Überwindung des so genannten Dublin-Systems fordert. Dieses System bindet vor allem jene EU-Länder, in denen Flüchtlinge ankommen, wie Griechenland und Italien, und entlastet andere Länder wie Deutschland oder Frankreich.

Damit will Conte Schluss machen. Er fordert ein neues System „sicherer Häfen“, zu denen nicht nur Italien zählen dürfe. Das Hauptziel müsse es sein, die illegale Migration nach Europa weiter drastisch zu reduzieren, unter anderem über Abkommen mit den Herkunftsländern und sogenannten Schutzzentren in Transitländern. Unter diesen Bedingungen würden Bewegungen innerhalb der EU dann „zur Nebensache“, heißt es in dem italienischen Papier.

Doch genau um diese „sekundären Bewegungen“ – etwa von Italien nach Österreich und dann von Österreich nach Deutschland – geht es Merkel. Um Innenminister Seehofer zufriedenzustellen und ihre Macht zu sichern, will sie die Weiterwanderung einschränken und Rückführungsabkommen schließen – auch mit Italien. Doch Conte zeigte in Brüssel kaum Neigung, auf diesen dringenden Wunsch der Kanzlerin einzugehen. Auch die anderen Staats- und Regierungschefs wollten sich nicht einspannen lassen.

Abschottung steht im Mittelpunkt

„Es geht nicht darum, ob Frau Merkel nächste Woche noch Kanzlerin bleibt oder nicht“, meinte der luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel. „Es geht nicht um den innerdeutschen Streit“, betonte auch der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, der am 1. Juli die halbjährlich wechselnde EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Kurz hatte den auf Merkels Wunsch kurzfristig einberufenen Sondergipfel vorab kritisiert, bot sich nun aber als „Brückenbauer“ vor allem mit Osteuropa an.

Um einen Kompromiss will sich auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker bemühen, der formal als Gastgeber firmierte und sogar ein fertiges Gipfelpapier präsentiert hatte, das auf Druck Italiens aber wieder zurückgezogen wurde. Im Mittelpunkt steht dabei die Abschottung der EU-Außengrenzen und die Errichtung von Auffanglagern für Bootsflüchtlinge innerhalb oder außerhalb der EU. Damit soll offenbar der Druck von Italien genommen werden.

Giuseppe Conte, Italien

„Wir kehren sehr zufrieden nach Rom zurück“

Doch bisher hat sich kein einziges Land bereit erklärt, solche Asylzentren zu beherbergen. Auch die Frage, ob sie mit EU-Recht und humanitären Regeln vereinbar wären, steht unbeantwortet im Raum. Zusätzlich angeheizt wird der Streit durch Spannungen zwischen Frankreich und Italien. Beide Länder werfen sich gegenseitig vor, zu wenig für den Schutz von Flüchtlingen zu tun. Auch Malta ist in den Streit verwickelt. Regierungschef Joseph Muscat warnte nach dem Brüsseler Treffen vor einer Eskalation der Krise.

Nun müsse schnellstmöglich an „operativen Lösungen“ gearbeitet werden, so Muscat. Was er damit meinte, ließ er offen. Dabei liegt es auf der Hand: Es geht um das deutsche Rettungsboot „Lifeline“, das im Mittelmeer nach einem sicheren Hafen für mehr als 230 Flüchtlinge sucht. Doch weder Italien noch Malta wollen Hilfe leisten.

Merkels „europäische Lösung“ scheitert an nationalen Egoismen, der Krisengipfel hat daran nichts geändert. Im Gegenteil: Er hat die Verweigerung und Abschottung hoffähig gemacht. „Wir kehren sehr zufrieden nach Rom zurück“, twitterte Italiens Regierungschef Conte nach dem Brüsseler Treffen. „Wir haben für diese Debatte die richtige Richtung festgelegt.“

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