Linksparteitag in Leipzig: Warten auf den Donner

Partei- und Fraktionsspitze der Linken tragen ihre Konflikte auf dem Parteitag aus. Dabei geht es auch um die Frage nach „offenen Grenzen“.

Ein Teilnehmer des Parteitags der Linken schwenkt eine Fahne.

Fahnen hoch zum Auftakt des Parteitags Foto: dpa

LEIPZIG taz | Als reinigendes Gewitter hatte Linken-Parteichefin Katja Kipping die aus dem Ruder gelaufene Fraktionsklausur im Herbst bezeichnet, auf der sich Partei- und Fraktionsführung einen öffentlichen Machtkampf geliefert hatten. Gewitter sagen die MeteorologInnen auch in Leipzig voraus, wo am Freitag der Parteitag der Linkspartei begonnen hat. Die Frage ist, wen diesmal der Blitz treffen könnte.

Der ungelöste Konflikt zwischen den beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger einerseits und den FraktionschefInnen Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch andererseits wird sich am Samstag in einer Reihe von Personalentscheidungen entladen. Denn auf der Tagesordnung stehen vor allem Wahlen. Die beiden Parteivorsitzenden Riexinger und Kipping stellen sich zur Wiederwahl, zum vierten und laut Satzung möglicherweise letzten Mal.

Der Streit zwischen der Partei- und Fraktionsspitze basiert prinzipiell auf einer eher geografischen Frage: global oder national. Kämpft die Linke innerhalb einer globalisierten Welt prinzipiell für alle Menschen oder beschränkt sie ihren Radius vor allem auf den Nationalstaat und setzt sich für die hier beheimateten BürgerInnen ein. Für letzteres plädieren Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht und ihr Mann Oskar Lafontaine, die immer wieder fordern, dass die Linke umsteuern und etwa ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik und im Umgang mit AfD-WählerInnen ändern muss.

Kipping und Co. werben weiterhin für den im Grundsatzprogramm verankerten Slogan „offene Grenzen“. Der Passus taucht im Leitantrag „Partei in Bewegung“ auf, der am Samstag zur Abstimmung steht.

Emotionale Rede für „offene Grenzen“

Riexinger warb in einer ungewöhnlich emotionalen Rede am Freitagabend für diesen Kurs. „Die Linke verliert Herz und ihre Seele, wenn wir uns nur auf nationalstaatliche Verteilungskämpfe beschränken,“ rief Riexinger den rund 500 Delegierten zu. Etwa zwei Drittel des Saales stimmte ihm am Ende mit Standing Ovations zu. Selbst Sahra Wagenknecht erhob sich, nachdem sie von Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch zuvor sanft am Arm gezupft worden war.

In der anschließenden Generaldebatte schlug sich die Mehrheit der RednerInnen in der Flüchtlingsfrage auf die Seite des Parteivorsitzenden. Berlins Kultursenator Klaus Lederer teilte scharf aus: Wer meine, eine nationale Arbeiterklasse abgrenzen zu müssen von einer migrantischen oder queeren, der betreibe Sektiererei. Er schien einen Nerv getroffen zu haben, dem Applaus nach zu schließen.

Am Samstagmittag befürworteten die rund 580 Delegierten den Leitantrag der Parteivorsitzenden mit großer Mehrheit. Dieser fordert „legale Fluchtwege“, „offene Grenzen“ und die Aufnahme von Geflüchteten. (dpa)

Andere RednerInnen kritisierten die Art des Umgangs mit Fraktionschefin Wagenknecht oder verurteilten generell die personalisierte Auseinandersetzung. Die nordrhein-westfälische Landessprecherin Özlem Alev Demirel erinnerte ihre Partei daran, dass man sich schon fragen müsse, warum man es nicht schaffe, in Umfragen nennenswert zuzulegen. Die Partei liegt derzeit bei zehn bis elf Prozent.

Welchem Kurs und welchem Stil die Parteibasis tatsächlich folgen wird, wird sich in den Abstimmungen über den Leitantrag zeigen und in den Wahlen zum Parteivorstand, die sich über den Samstag ziehen.

Den Unzufriedenen bleibt nur das „Nein“

Kipping und Riexinger treten ohne GegenkandidatInnen an – deshalb werden sich die Unzufriedenheit mit der Parteiführung und der Grad der Zustimmung zu Sahra Wagenknecht in den Nein-Stimmen bei ihrer Wahl äußern. Dass Kipping und Riexinger durchfallen, gilt als unwahrscheinlich. Neun Landesvorsitzende, darunter Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, haben zwei Tage vor dem Parteitag einen Wahlaufruf für Kipping und Riexinger veröffentlicht.

Zudem wird die Kritik innerhalb der Reformerströmung „Forum Demokratischer Sozialismus“ (FDS) an der Stillhaltepolitik des Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch gegenüber den „bewussten Regelverletzungen“ von Wagenknecht lauter. Er kulminierte am späten Donnerstagabend im Austritt von vier führenden LandespolitikerInnen aus dem Zusammenschluss.

Parteichef Bernd Riexinger

„Die Linke verliert Herz und ihre Seele, wenn wir uns nur auf nationalstaatliche Verteilungskämpfe beschränken.“

Die Stimmung auf dem Treffen der FDS-Delegierten am Freitag vor dem Parteitag war entsprechend geknickt, Frontmann Dietmar Bartsch musste sich einiges an Kritik anhören.

Auch die Wahl des Bundesgeschäftsführers an diesem Samstag spielt erneut vor der Folie „Kipping versus Wagenknecht.“ Für dieses strategisch wichtige Parteiamt – die BundesgeschäftsführerIn organisiert Kommunikationsstrategien und Wahlen – kandidieren sowohl der sachsen-anhaltinische Linken-Politiker Jörg Schindler und der ehemalige Thüringer Bundestagsabgeordnete Frank Tempel. Die Parteiführung unterstützt Schindler, Tempel dagegen soll auf Drängen Bartschs ins Rennen gegangen sein.

Zahl der StellvertreterInnenposten soll erhöht werden

Für die Wahl der StellvertreterIn gibt es ebenfalls mehr KandidatInnen als Plätze. Die Parteiführung hat jedoch, um die Wogen zu glätten, einen Kniff vorgeschlagen: Die Zahl der StellvertreterInnenposten soll von vier auf sechs erhöht werden. Dann kämen alle KandidatInnen unter. Fraglich ist, ob die Basis mitgeht. Sie muss erst noch darüber abstimmen.

Was jedoch in vielen Gesprächen zu spüren ist, ist das Bedürfnis, dass die da oben sich wieder vertragen. Und die Sorge, dass das nicht gelingt. Der Linken stehen in diesem und im nächsten Jahr wichtige und schwierige Wahlen bevor. Ein Bruch Wagenknechts mit der Partei oder gar eine Spaltung wären fatale Signale nach außen.

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