Debatte Integration nach Fall Susanna: Nach der Aufklärung

Viele Geflüchtete aus Syrien und dem Irak haben ein streng konservatives Islamverständnis. Für unsere säkulare Gesellschaft ist das ein Problem.

Ein weißer Jesu am schwarzen Kreuz

Damit Integration gelingt, müssen wir gemeinsam die säkulare Ordnung verteidigen Foto: dpa

Der abscheuliche Mord an der 14-jährigen Susanna wird in der Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik ein Wendepunkt sein. Man könnte fragen, ob die Attacken in der Silvesternacht in Köln nicht bereits ein solcher waren. Der Mord an Susanna ist aber aus verschiedenen Gründen viel schwerwiegender: Das Opfer war ein Kind, es wurde grausam missbraucht und ermordet. Aber nicht nur das. Der mutmaßliche Täter war abgelehnter Asylbewerber, der nicht abgeschoben werden konnte. Er war aber in der Lage, Ausweispapiere und Geldmittel zu beschaffen, mit denen er mit der ganzen Familie „sicher“ in den Irak fliegen konnte.

Sicher könnten wir solche Fälle als traurige Einzelfälle einstufen. Selbst statistische Angaben, wonach Ausländer bei sexuell motivierten und schweren Straftaten als Täter überrepräsentiert sind, könnten damit relativiert werden, dass es sich bei Flüchtlingen in aller Regel um alleinstehende junge Männer handelt. Jedoch habe ich in Gesprächen den Eindruck gewonnen, dass bei vielen Menschen die Sorge um die Zukunft unseres Zusammenlebens zunimmt. Diese Annahme ist nicht unberechtigt.

Als Verfechter einer humanitären Flüchtlingspolitik ist es mir eine Verpflichtung, in die nahe Vergangenheit zurückzublicken: Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre, als das Klima in der Türkei für mich als jungen engagierten Anwalt immer prekärer wurde, war mein Magisterstudium in Deutschland sicher auch eine lebensrettende Maßnahme. Im April 1990 in Deutschland angekommen, war die deutsche Wiedervereinigung in Vorbereitung, dann begannen die Jugo­slawienkriege. Nationalistische Töne nahmen zu, das Ergebnis waren die katastrophalen Ausschreitungen von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen.

Bedrückt davon, dass ich Faschismus und Rassismus mit der Einreise nach Deutschland nicht hinter mir lassen konnte, und ermutigt von der großen Solidarität der deutschen Nachbarn und Freunde engagierte ich mich bei den Ausländerbeiräten. Ich wurde in den Ausländerrat der Stadt Heidelberg gewählt und habe 1998 den Bundeszuwanderungsrat mit gegründet. In dieser Zeit habe ich die Flüchtlinge im Alltag ehrenamtlich beraten.

Es gibt zwei Unterschiede zu den 90er-Jahren

Nicht nur die Integration von Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch in den 90er Jahren hat Deutschland geschafft. Im Jahr 2015 war das Flüchtlingsaufkommen im Vergleich zu 1992 doppelt so hoch, Deutschland ist aber wirtschaftlich, organisatorisch und erfahrungsgemäß viel besser aufgestellt als in den 90er Jahren.

Es gibt aber zwei qualitative Unterschiede der Flüchtlingsaufkommen von 2015 zu dem der 90er Jahre. Erstens haben die Deutschen noch die grausamen Bilder im Kopf, in denen die IS-Mörder Kinder abschlachten. Nach dem Einschreiten der russischen Luftwaffe im September 2015 ist ein Teil dieser Mörder über die Türkei nach Europa geflüchtet.

Vielleicht droht uns, 300 Jahre nach der Aufklärung, doch wieder ein Rollback in Glaubensangelegenheiten

Zweitens waren die Bosnier weltoffene, liberale Kulturmuslime. Nicht wenige der Geflüchteten aus Syrien und Irak haben ein streng konservatives Islamverständnis. Gepaart mit althergebrachten Gewohnheiten und Rollenverständnis wird dies für unsere Gesellschaft in Kita, Schule und am Arbeitsplatz eine Herausforderung sein.

Meine Annahme war bisher, dass sich die europäischen Gesellschaften 300 Jahre nach der Aufklärung keine Gedanken mehr über ein Rollback in Glaubensangelegenheiten machen müssen. Jedoch müssen wir uns vielleicht doch auf eine Post-Aufklärungs-Zeit vorbereiten. Dies, zumal die Politik und die Amtskirchen in dieser Sache auch in der Vergangenheit eine unrühmliche Rolle gespielt haben.

Islamunterricht war nie eine Forderung der Muslime

Beispielhaft ist der Islam­unterricht. Dieser war nie eine Forderung der Muslime in Deutschland. Die Türken, die die überwältigende Mehrheit der Muslime in Deutschland bildeten, waren mit der Religionskunde im Türkischunterricht weitgehend zufrieden. Die Amtskirchen aber wollen ihren konfessionellen Unterricht in der Schule zementieren und die Diskussionen um Religionskunde oder Ethikunterricht abwenden. Also treiben sie die Forderung nach Islamunterricht in der Schule als Gleichbehandlungssatz voran. Stets ist zu beobachten, dass als Erstes die Juristen der Kirchen unruhig werden, wenn ein konservativer Islamverband vor einem Gericht in Sachen Schwimmunterricht, Gebetsraum in der Schule etc. scheitert.

Dass die Amtskirchen mit dem Kreuz in der bayrischen Amtsstube nicht einverstanden waren, ist kein Widerspruch, sondern die Bestätigung der obigen These. Die Kirchen haben die Sorge, dass dies nicht als Maßnahme gegen die säkulare Gesellschaftsordnung, sondern als „Kreuz gegen Halbmond“ verstanden werden könnte. Dadurch schaukeln sie sich gegenseitig hoch. Das kommende Jahrzehnt wird daher nicht nur eine Herausforderung in der Angelegenheit „Integration der Muslime“ sein, sondern auch in der Angelegenheit „Verteidigung der säkularen Ordnung“.

Dazu kommt auch eine parteipolitische Herausforderung: In den 90er Jahren kamen die Rechtspopulisten als Partei „Die Republikaner“ in Deutschland in die Lokal- und Landesparlamente. Diesmal ist die AfD auf Anhieb im Bundestag und zweistellig. Und dem Bundesinnenminister Horst Seehofer sitzen sowohl die AfD als auch die eigene CSU in Bayern mit ihrer Landtagswahl im Nacken – was ihn offenbar reizt, völkerrechtliche Verträge und das Grundgesetz zur Disposition zu stellen.

Unsere Gesellschaft schafft einen guten Umgang mit Flüchtlingen nur dann, wenn wir merken, dass sich unsere wehrhafte Demokratie mit all ihren Institutionen gegen Islamisten und Rassisten gleichermaßen zur Wehr setzen und die säkulare Gesellschaftsordnung ausbauen muss.

Lassen Sie uns nicht spalten und gegeneinander ausspielen. Es ist die Zeit des Zusammenhalts und der Entschiedenheit!

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51 Jahre alt, ist stellvertretender Vor­sitzender des Bundes­zuwanderungsrates. Er kam 1990 aus der Türkei nach Deutschland und arbeitet als Jurist in Heidelberg. Zuvor war er Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen.

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