Hautärztin über Sonnencreme: „Ein Schnapsglas muss drauf“

Was der Lichtschutzfaktor bedeutet, wieso Karotten helfen, und warum Hellhäutige nicht südlich des Schwarzwalds Urlaub machen sollten, erklärt Yael Adler.

Gerötete Haut an Stellen, wo keine Kleidung war

Sonnenschutz hätte helfen können Foto: photocase / cydonna

taz am wochenende: Frau Adler, es ist Sommer, die Sonne strahlt uns vom Himmel an – und wir müssen uns einschmieren. Aber wie schützt uns Sonnencreme überhaupt vor Sonnenbrand?

Yael Adler: Sie hat physikalische sowie chemische Wirkstoffe. Die physikalischen bestehen aus fein gemahlenem Zinkoxid und Titandioxid, diese Partikel bewirken einen Sonnenschirmeffekt.

Was bedeutet das?

Überall da, wo die Partikel auf der Haut liegen, dringt das Licht nicht durch. Es gibt aber keinen hundertprozentigen Schutz, da eben nie die komplette Haut bedeckt ist.

Und was machen die chemischen Filter?

Die wandeln die in die Haut eingedrungenen UV-Strahlen in andere Energieformen wie Wärme um.

Die Frau

Yael Adler, 44, ist Dermatologin und Autorin. Sie führt eine Praxis in Berlin und tritt in verschiedenen Wissens- und Gesundheitsmagazinen im Fernsehen als Expertin auf.

Das Buch

„Haut nah – Alles über unser größtes Organ“ (Droemer Knaur, München 2016) war auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Es wurde in über 25 Sprachen übersetzt.

Chemische Filter gelten als nicht unbedenklich. Welche sind gefährlich?

Es ist für den Verbraucher und oft auch für den Hautarzt fast unmöglich, anhand der chemischen Begriffe auf der Flasche zu erkennen, ob das ein harm­loser oder ein böser chemischer Lichtschutzfilter ist. Namen wie Methylene-Bis-Benzotriazolyl-Tetramethylbutylphenol kann sich ja kein Mensch merken. Da muss man sich dann im Internet kundig machen. Allerdings sind die meisten in Deutschland erhältlichen Sonnenschutzcremes ziemlich sicher.

In Hawaii sollen demnächst mehrere Sonnencremesorten verboten werden, weil unter anderem der chemische Stoff Oxybenzon zur Korallenbleiche beitragen soll. Ist da was dran?

Auf jeden Fall. Oxybenzon ist bekannt als äußerst schädlich und verursacht Umweltschäden und Hautreizungen. Es geht in die Haut über, was chemische Filter nicht tun sollen. In guten Produkten ist der Stoff gar nicht mehr enthalten. Solche nachweisbar schädlichen Stoffe werden durch die europäische Kosmetikverordnung verboten beziehungsweise geregelt.

Also keine Panik?

Man sollte auf jeden Fall Nutzen und Risiko abwägen. Die Leute, die immer schreien „Oh Gott. Wir schmieren uns jetzt was Böses auf die Haut“, tun sich wesentlich Schlimmeres an, wenn die mit ihrer käsigen Haut nach Malle fliegen und sich da in die Sonne knallen.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Aber es gab doch Untersuchungen …

Es gab Untersuchungen, dass die chemischen Filter womöglich eine Hormonwirkung haben, also wie Östrogene wirken und zum Beispiel Brustkrebs stimulieren oder die Gebärmutter verändern könnten. Aber das sind Laboruntersuchungen. Dafür sind 10 Milliarden mal höhere Konzentrationen nötig als wir uns mit der Sonnencreme auf die Haut schmieren. Die normalen Östrogene, die wir produzieren oder über die Nahrung aufnehmen, sind um ein Vielfaches höher dosiert. Phyto­östro­gene etwa essen wir den ganzen Tag, sie sind in vielen Obst- und Gemüsesorten enthalten.

Auf Sonnencremetuben stehen viele Abkürzungen: LSF, UVA, UVB – was ist da noch mal was?

LSF ist der Lichtschutzfaktor. Der bezieht sich auf den UVB-Schutz. Die UVB-Strahlung ist die aggressivere Sonnenstrahlung, die sehr schnell Sonnenbrand macht und Hautkrebs verursacht. UVA-Wellen sind länger und gehen tiefer in die Haut, sie sind unter anderem für die Sonnenallergie verantwortlich. Wenn um das UVA auf der Sonnencremeflasche ein Kreis drumherum ist, erkennt der Verbraucher dass der Schutz ausreichend hoch ist. „LSF 50 plus“ und „UVA“ im Kreis: Mehr können Sie derzeit nicht rausholen.

Was bedeutet denn Lichtschutzfaktor 50?

Der Lichtschutzfaktor zeigt an, um welchen Faktor der Eigenschutz verlängert wird. Ein Beispiel: Als hellhäutige Person haben Sie eine Eigenschutzzeit von etwa 10 Minuten in der Sonne. Danach würde die Haut also rot werden oder schon mal Hautkrebsvorstufen in den Zellen entwickeln. Mit einem Lichtschutzfaktor 50 plus ist der Eigenschutz theoretisch um das 50-Fache verlängert, und Sie können 8,3 Stunden in der Sonne bleiben – wozu aber kein Arzt raten würde.

Wie sehr beugt Sonnencreme Hautkrebs vor?

Sonnenbrand, das ist bewiesen, steigert das Hautkrebsrisiko. Sonnencreme reduziert es. Für Hautkrebs sind auch Genetik, Hormone, Anzahl und Typen der Leberflecken und sicher auch noch nicht gänzlich Erforschtes wie die Ernährung verantwortlich. Aber ganz wesentlich ist die Sonne.

Was kann Biosonnencreme?

Einiges. Aber längst nicht so viel wie chemische. Angesichts rasant steigender Hautkrebs­raten und auch im Falle von Babys würde ich immer raten, zur chemischen Abwehr zu greifen und das am besten mit dem höchsten Lichtschutzfaktor, den Sie kriegen können.

Was ist der Grund für den Anstieg der Krebsraten?

Unser Freizeitverhalten. Wir haben unsere genetischen Breitengrade verlassen. Eigentlich sollten Hellhäutige nicht über den Schwarzwald hinaus in den Urlaub fahren.

Und weil wir es trotzdem machen, wurden höhere Lichtschutzfaktoren entwickelt?

Genau. In den 1980ern gab es Lichtschutzfaktor 1, und das blonde Piz-Buin-Model auf den Plakaten war dunkelbraun. Mit den Spätfolgen der Naivität haben wir bis heute zu kämpfen. Täglich kommt jemand mit Hautkrebs in die Praxen der Hautärzte. Übrigens ist „Arschgesicht“ in diesem Fall ein Kompliment: Wenn man sich die Popos anguckt, die immer im Badehöschen stecken, sieht man wie glatt und faltenfrei die im Vergleich zum Gesicht sind. Das zeigt, wie die Sonne wütet und wer sich wie geschützt hat.

Gewöhnt sich die Haut eigentlich an die Sonne?

Die Haut hat Eigenschutzmechanismen, auf die man bauen darf. Zum Beispiel, dass sie bräunt und die Bräunung Melanin bildet. Melanin legt sich vor die Zellen, als wäre es ein physikalischer Sonnenschutz, und wirkt damit wie ein All-in-one-Filter gegen UVA und UVB. Es ist aber auch genetisch bedingt, wie stark Melanin gebildet werden kann. Wenn der Käseweiße mit der geringen Melaninproduktion trotzdem nach Gran Canaria reisen will, dann macht er etwas, was die Evolution für ihn nicht vorgesehen hat.

Vorbräunen reicht nicht?

Nein. Relevant ist aber die Verdickung der obersten Hautschicht. Das nennt man Lichtschwiele. Wenn man sich also drei Wochen vor dem Urlaub im tiefen Süden oft draußen aufhält, dann bildet sich in dieser Zeit eine Lichtschwiele und damit eine gewisse Barriere.

Geht das auch im Solarium?

Nein. Das ist eine Überdosis UVA-Strahlung. Die ist 1.000-fach höher als die der Sonne. Das macht keine Lichtschwiele, sondern Hautkrebs, und gehört verboten. Solarien haben keinen Nutzen und sind schwerste Körperverletzung.

Reicht einmal eincremen?

Ein Erwachsener muss ein bis anderthalb Schnapsgläser voll Sonnencreme auftragen. Hat er geschwitzt, gebadet oder Kleidung getragen, muss er nachlegen. Damit wird der Lichtschutzfaktor allerdings nicht verlängert. Es ist nur der Versuch, ihn aufrecht zu erhalten. Aber in diesem Fall gilt: viel hilft viel.

Wie wasserfest ist wasserfeste Sonnencreme?

Die wird immer besser, durch neue Texturen und feingemahlenere Partikel. Die dringen tiefer in die obere Hautschicht ein und werden nicht so schnell ausgewaschen.

Wird man trotzdem braun?

Klar. Es kommt immer noch UV-Strahlung durch.

Hilft Karotten essen?

Ja. Ein Glas Möhrensaft am Tag mit einem Tropfen Öl. Oder Betacarotinkapseln, damit man schön orange wird. Oder rote Paprika. Wenn sie sich betacarotinreich ernähren oder mit viel Astaxanthin, legt sich das färbend in die Haut hinein. Nach vier Wochen ist die Haut von oben nach unten durchgefärbt und verlängert damit den Eigenschutz um das Zwei- bis Dreifache.

After-Sun-Produkte?

Total überflüssig. Ich empfehle, das Runterkühlen und Reparieren von innen: Tomaten essen, Tomatensaft trinken. Auch Betacarotin aus der Möhre, Omega-3 vom Fisch oder Zink und Selen aus Nüssen sind Reparaturstoffe, die von außen aufgetragen nichts nützen, von innen aber schon.

Muss ich mich beim Autofahren eincremen?

Ja. UVA-Strahlung geht auch durch Glas.

Und taugt die Sonnencreme vom letzten Sommer noch?

Solange sie gut riecht und die Konsistenz noch normal ist, können Sie die benutzen.

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