Drohung am Morgen

AUS BERLIN KLAUS JANSEN

Persönlich habe man keine Probleme miteinander, versicherte Michael Sommer. „Die atmosphärischen Störungen zwischen uns haben wir schon im Februar ausgeräumt“, sagte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) gestern nach seinem morgendlichen Treffen mit CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Sommer musste auf die zwischenmenschliche Ebene ausweichen, um neben dem unvermeidbaren Händedruck überhaupt etwas Positives über die gemeinsame Runde zu verlieren: Denn inhaltlich liegen DGB und CDU knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl auf Kollisionskurs.

Bedroht fühlen sich die Gewerkschaften durch den im CDU-Wahlprogramm geforderten Ausbau so genannter betrieblicher Bündnisse, mit denen Betriebsräte, Belegschaft und Unternehmer auch ohne Absprache mit den Tarifparteien Lohnniveau und Arbeitszeiten verändern können (siehe Seite 3). Die Gefahr, dass eine schwarz-gelbe Regierung den Gewerkschaften auf diesem Weg „das Rückgrat brechen“ könnte, hatte Sommer vor dem Gespräch mit Merkel erkannt. „Wir sind weiter im Dissens“, beschied die CDU-Chefin hinterher knapp. Immerhin versprach Merkel, vor der gesetzlichen Umsetzung der Vorschläge nochmals das Gespräch mit den Gewerkschaften zu suchen.

Die befürchtete Aufweichung der Tarifautonomie macht den Gewerkschaften weit mehr zu schaffen als etwa die von der Union ebenfalls angekündigten Einschnitte beim Kündigungsschutz oder die Besteuerung von Nacht- und Feiertagszuschlägen – diese Themen kamen gestern gar nicht erst zur Sprache. Grund der Furcht: Sind tarifliche Absprachen erst ohne gewerkschaftliche Zustimmung möglich, sind diese ihrer zentralen Machtbasis beraubt. „Es würde ein Wettlauf nach unten aufgemacht“, sagte Ver.di-Chef Frank Bsirske, „die Betriebe würden sich gegenseitig im Lohnniveau und den Arbeitsbedingungen herunterschaukeln.“

Entsprechend vielfältig organisieren die Gewerkschaften bereits vor der Wahl den Widerstand gegen die Union. Eine neue Studie des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung verweist schon mal darauf, dass es bereits jetzt in jedem vierten Betrieb mit mehr als 20 Mitarbeitern vom Tarifvertrag abweichende Bündnisse gibt. Tenor: Auch mit Zustimmung der Gewerkschaften sind schon heute unternehmensfreundliche Einzelfalllösungen möglich.

Da sich die Union trotz aller Statistiken kaum von ihrem Wahlprogramm verabschieden wird, plustern sich erste Gewerkschafter bereits drohend auf. Ver.di-Chef Bsirske kündigte am Wochenende an, gegen Aufweichungen der Tarifautonomie vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen – auch wenn die Erfolgsaussichten unter gewerkschaftsnahen Experten umstritten sind. So sieht etwa der Jenaer Arbeitsrichter Michael Holthaus einen „großen Ermessensspielraum“ für die Karlsruher Richter, während der Gelsenkirchener Wirtschaftsrechtler Heinz-J. Bontrup davon ausgeht, dass die Union „mit Pauken und Trompeten“ scheitern werde (siehe Interview).

Die Chefs der Einzelgewerkschaften IG Metall, IG Bergbau und Transnet kündigten zudem bereits mehr oder minder offen an, mit Streiks auf Einschnitte in die Tarifautonomie zu reagieren. DGB-Chef Sommer hält davon zumindest zunächst noch nichts: „Noch ist die Zeit der Diskussionen und Kompromisse und nicht die Zeit der Drohungen“, sagte er. Allerdings seien die Gewerkschaften im Zweifelsfall „stark genug, ihre Positionen durchzusetzen“.