Ideologie der Blockchain: Die ineffizienteste Datenbank der Welt

Blockchains werden gehyped, aber wenig gebraucht. Rechte interessieren sich dafür, weil sie den etablierten Institutionen misstrauen.

Ein Hand hält einen golden schimmernden Stift. Sie trägt etwas in ein Buch ein. Die andere Hand hält eine Lupe.

Eine Blockchain funktioniert wie ein Haufen miteinander vernetzer, verschlüsselter Grundbucheinträge. Sie kostet Zeit, Rechenkraft und Ressourcen Foto: João Silas/unsplash

Die Blockchain wird derzeit überall als neue Wundertechnologie gepriesen. Sechsmal kommt das Wort im Koalitionsvertrag vor, immer im Kontext neuer, vielversprechender Digitaltechnologien.

Doch was steckt dahinter?

Die erste populäre Anwendung, die Blockchaintechnologie nutzte, war Bitcoin. Bitcoin basiert darauf, dass alle Transaktionen, die mit der digitalen Währung gemacht werden, in einer Art Grundbuch vermerkt werden. Nur liegt dieses Grundbuch nicht bei einem zentralen Grundbuchamt, sondern auf den Computern aller Bitcoin-Nutzer. Jeder hat eine identische Kopie aller Transaktionen. Und jede neue Transaktion wird mehr oder weniger gleichzeitig in all diesen Büchern vermerkt. Erst wenn der Großteil aller Bücher die Trans­aktion aufgeschrieben hat, gilt sie als vollzogen. Dabei wird jede Transaktion mit den vorhergehenden kryptografisch verkoppelt, sodass ihre Gültigkeit für alle nachprüfbar ist. Schiebt nun etwa jemand eine gefälschte Transaktion dazwischen, dann stimmen die Berechnungen nicht mehr, und das System schlägt Alarm. Am Ende hat man eine Speichertechnologie, die kein Einzelner kontrollieren oder manipulieren kann.

Schon früh räumten selbst Bitcoin-Skeptiker ein, dass unabhängig von der digitalen Währung die zugrunde liegende Blockchaintechnologie das eigentliche Zukunftspotenzial berge. Seitdem zerbrechen sich viele Menschen den Kopf, wo man sie noch anwenden könnte.

Komplette Dezentralisierung

Das Internet galt immer als eine besonders dezentrale Technologie, doch das stimmt für die meisten Dienstleistungen schon lange nicht mehr. Sie alle nutzen eine Suchmaschine (Google), ein soziales Netzwerk (Facebook) und einen Nachrichtendienst (WhatsApp). Diese Dienste basieren darauf, dass sie zentral unsere Daten halten und organisieren. Die Blockchaintechnologie scheint einen Ausweg zu weisen: Alle Dienste, die bislang über zentrale Datenbanken funktionierten, könnten nun auch mit einer solchen verteilten Blockchain organisiert werden. Ein Zentrum bräuchte es dann nicht mehr.

Die Ideen gehen so weit, komplexe Geschäftsprozesse in Blockchains ­abzubilden. Beispielsweise automatisierte Auszahlungen an ein Konto, wenn eine Aktie einen bestimmten Wert erreicht. Das nennt sich dann „Smart Contracts“.

Der Hype um die Blockchain ist fast so alt wie der um Bitcoin, wir reden also bereits seit sechs bis sieben Jahren über die Unabwendbarkeit dieser Technologie. Hunderte, ja Tausende Start-ups haben sich seitdem gegründet. Ebenso viele Anwendungszwecke der Blockchain wurden seither behauptet.

Warum, so fragt sich der interessierte Beobachter, gibt es neben den Kryptowährungen (die selbst hauptsächlich Spekulationsblasen ohne wirkliche Anwendung sind) dann noch keine einzige populäre Anwendung? Warum hat noch keine auf Blockchain basierende Suchmaschine Google bedroht oder ein blockchainbasiertes sozia­les Netzwerk Facebook? Warum sehen wir keine Fahrtenvermittlung auf Blockchainbasis und keine Wohnungsvermittlung, obwohl genau diese Zwecke so oft angepriesen wurden? Warum verbleiben alle Blockchaintechnologien in der Projektphase, und keines findet einen Markt?

Die Antwort ist: Blockchain ist mehr Ideologie als Technologie. Ideologie meint hier, dass dahinter eine Vorstellung steht, wie Gesellschaft funktioniert und wie sie funktionieren sollte.

Vertrauen zwischen Unbekannten

Eines der ältesten Probleme der Sozialwissenschaft ist die Frage, wie Vertrauen zwischen Unbekannten hergestellt werden kann. Gesellschaft funktioniert erst, wenn dieses Problem hinreichend gelöst ist. Der Ansatz unserer modernen Gesellschaft ist es, Institutionen zu etablieren, die als vertrauensvoller Dritter Interaktionen absichern. Denken wir an Banken, das Rechtssystem, Parteien oder Medien. All diese Institutionen bündeln Vertrauen und sichern so soziale Handlungen zwischen Unbekannten ab.

Diese Institutionen allerdings erlangen durch ihre zentrale Rolle eine gewisse gesellschaftliche Macht, die Anhängern einer bestimmten Denkrichtung schon immer ein Dorn im Auge war: nämlich den Libertären, oder auch Anarchokapitalisten. Sie glauben zum Beispiel, dass es keinen Staat geben solle, der sich in die Angelegenheiten der Menschen einmischt. Der Markt – als Summe aller Individuen, die miteinander handeln – solle das von sich aus regeln. Libertäre sind entsprechend sehr kritisch gegenüber Institutionen wie Zentralbanken, die Währungen ausgeben. Die Zentralbanken – und Banken überhaupt – aus der Gleichung zu streichen ist schon der Grundgedanke hinter Bitcoin.

Hinter Blockchain verbirgt sich der libertäre Wunsch einer Gesellschaft ohne Institutionen. Statt Vertrauen in Institutionen sollen wir Vertrauen in die Kryptografie haben.

Hinter Blockchain verbirgt sich der libertäre Wunsch einer Gesellschaft ohne Institutionen. Statt Vertrauen in Institutionen sollen wir Vertrauen in die Kryptografie haben. Statt unserer Bank sollen wir auf die Unknackbarkeit von Verschlüsselungen vertrauen, statt Uber oder einer Taxi-App sollen wir einem Protokoll vertrauen, das uns einen Fahrer vermittelt.

Deswegen sind Bitcoin und die Blockchaintechnologie so beliebt bei den amerikanischen Rechten, die eine lange libertäre Tradition haben und den Staat ablehnen. Deswegen kommen sie auch bei deutschen Rechten sehr gut an, zum Beispiel bei Alice Weidel von der AfD, die nun die Keynote auf einer großen deutschen Bitcoin-Konferenz halten wird und ein eigenes Blockchain-Start-up gründet. Wer gegen „Lügenpresse“ und „Altparteien“ wettert, steht im Zweifel auch allen anderen Institutionen kritisch gegenüber.

Naives Misstrauen

Wenn man also in Blockchain investiert, macht man eine Wette gegen das Vertrauen in die Institutionen. Und das ist auch der Grund, warum diese Wette noch nicht ein einziges Mal gewonnen wurde. Denn die Ideologie des Anarchokapitalismus ist naiv.

Rein technisch kann eine Blockchain dasselbe, was jede Nullachtfuffzehn-Datenbank schon lange kann – tendenziell eher weniger. Das einzige Feature, das die Blockchain auszeichnet, ist, dass niemand einer zentralen Instanz vertrauen muss. Statt einer Datenbank braucht es Millionen Datenbanken. Statt eine Transaktion einmal aufzuschreiben, muss sie Millionen Mal aufgeschrieben werden. All das kostet Zeit, Rechenkraft und Ressourcen.

Wenn man also die libertäre Grundannahme, dass die Menschen den Institutionen misstrauen sollen, nicht teilt, dann ist die Blockchain nur die ineffizienteste Datenbank der Welt.

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ist Kulturwissenschaftler, Autor und beschäftigt sich seit 13 Jahren mit Netzthemen. Der Text erschien zuerst auf seinem Blog.

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