Jahrestag der Hinrichtung: Die Weiße Rose und ihr Henker

Vor 75 Jahren tötete der Scharfrichter Johann Reichhart die Geschwister Scholl. Wer war der Mann, der für die Nazis tausende Menschen hinrichtete?

Ein Mann senkt seinen Blick

Der ehemalige deutsche Henker Johann Reichhart auf der Anklagebank in München (Archivbild 1947) Foto: dpa

BERLIN taz | „Es lebe die Freiheit!“ Das waren die letzten Worte von Hans Scholl, als er am 22. Februar 1943 – heute vor genau 75 Jahren – zur Guillotine geführt wurde. „Die Verurteilte wirkte ruhig und gefasst“, heißt es im Protokoll über die Hinrichtung seiner Schwester Sophie Scholl. Der Mann, der die Geschwister auf staatlichen Geheiß umbrachte, hieß Johann Reichhart und war ein geübter und altgedienter Henker.

Die Münchner Studentengruppe Weiße Rose um die Geschwister hatte das Verbrechen begangen, auf Flugblättern gegen den Krieg und die Nazi-Herrschaft zu agitieren. „Jedes Wort, dass aus Hitlers Mund kommt, ist Lüge: Wenn er Frieden sagt, meint er den Krieg, und wenn er in frevelhaftester Weise den Namen des Allmächtigen nennt, meint er die Macht des Bösen, den gefallenen Engel, den Satan“, heißt es in ihrem ersten Flugblatt, das Mitte März 1942 verbreitet wurde.

Ihr fünftes Flugblatt erinnerte die Deutschen an dem Massenmord an den Juden. Es rief zum Widerstand gegen das Regime auf, wollte man nicht „dasselbe Schicksal erleiden, das den Juden widerfahren ist“.

Das sechste Flugblatt wurde der akademisch geprägten Gruppe zum Verhängnis. Am 18. Februar 1943 legten Hans und Sophie Scholl die Blätter stoßweise in den Gängen der Münchner Universität aus. Vom 2. Stock aus nahm Sophie einen Stapel und warf ihn über die Brüstung in den Innenhof. Doch der Hausschlosser der Universität hatte sie dabei beobachtet und hielt sie fest. Danach übernahm die Gestapo den Fall von Landesverrat.

Todesurteil nach vier Tagen

Nur vier Tage später begann in München der Prozess des Volksgerichtshofs gegen die Geschwister und ihren Freund Christoph Probst. Vollstreckt wurde das Todesurteil wegen Vorbereitung zum Hochverrat, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung noch am gleichen Tag gegen 17 Uhr.

Für Johann Reichhart war diese Hinrichtung Routine. Der Henker von München hat im Auftrag des Regimes mehrere Tausend Menschen umgebracht – die Konsequenzen für ihn nach dem Krieg hielten sich in Grenzen. Reichhart durfte zeitweise gar weiter Menschen hinrichten.

Für ihn war das Nazi-Regime gleichbedeutend mit goldenen Zeiten. Schließlich kassierte jeder Scharfrichter im NS-Regime nicht nur ein jährliches Salär von 3.000 Mark. Zudem erhielten die freiberuflich tätigen Nazi-Henker und ihre beiden Gehilfen auch noch pro Mann eine „Sondervergütung“ für jeden Hingerichteten in Höhe von 60 Mark. Da kamen leicht mehrere Zehntausend Mark pro Jahr zusammen.

Henker ohne Skrupel

Reichhart kannte keine Skrupel und hatte sich an seine Tötungsarbeit gewöhnt. Schon seit 1924 stand er Bayern als Scharfrichter zur Verfügung. Die Zahl der Hinrichtungen hielt sich in der Weimarer Republik freilich in Grenzen, so dass sich der Mann zusätzliche Einnahmequellen suchen musste. Er arbeitete zeitweise als Kneipier, vertrieb religiöse Traktate und war als Gemüsehändler tätig.

Nach dem Krieg wurde Reichhart noch im Mai 1945 von den Amerikanern festgenommen und an seiner alten Wirkungsstätte – dem Gefängnis Stadelheim – inhaftiert. Doch schon nach einer Woche war er wieder in Freiheit, denn die US-Besatzer benötigten dringend seine Dienste. In Landsberg am Lech, wo viele Nazi-Verbrecher inhaftiert waren, ging er wieder seiner alten Tätigkeit nach und brachte dort noch einmal zwischen 42 und 156 Menschen um – nun aus dem Kreis seiner ehemaligen Auftraggeber. Der Freistaat Bayern zahlte unterdessen weiter seine Jahresvergütung.

Erst im Mai 1947 wurde Reichhart schließlich inhaftiert. Der Ex-Scharfrichter brachte anschließend Zeugen bei, mit denen er beweisen wollte, dass er doch eigentlich im Widerstand gewesen sei. Das Urteil der Münchner Spruchkammer am 17. Dezember 1948 fiel milde aus. Reichhart wurde als „Belasteter“ eingestuft und zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Schließlich hatte er nur vollstreckt, was die deutsche Justiz angeordnet hatte.

Johann Reichhart ist 1972 im Alter von 78 Jahren verarmt verstorben.

Historische Gerechtigkeit

Die Flugblätter der ermordeten Geschwister Scholl aber gingen früh um die Welt. Die westlichen Alliierten bekamen noch im Krieg Wind von der Sache. Nun flogen die Worte der Geschwister Scholl zwecks „Wehrkraftzersetzung“ aus den Bäuchen der Maschinen, die über dem Reichsgebiet Propagandapapiere abwarfen.

Thomas Mann würdigte die Gruppe aus dem Exil in einer BBC-Radioansprache im Sommer 1943: In den Flugblättern hätten Worte gestanden, „die vieles gut machen, was in gewissen Jahren an deutschen Universitäten gegen den Geist deutscher Freiheit“ gesagt worden sei.

Heute hat wohl fast jeder Deutsche schon einmal etwas von der „Weißen Rose“ gehört. Johann Reichhart dagegen ist vollständig vergessen. Die Guillotine, mit der er Tausende Menschen getötet hatte, fand sich vor einigen Jahren vergessen in einem Museumsdepot in München. Kurz wurde ernsthaft darüber debattiert, sie auszustellen. Doch dann nahm man von dieser makaberen Idee wieder Abstand.

Es gibt manchmal doch noch ein historische Gerechtigkeit.

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