Lars Klingbeil über Große Koalition: „Führung muss Orientierung geben“

Der Generalsekretär der SPD schätzt Juso-Chef Kevin Kühnert – und will für die Ergebnisse der Verhandlungen mit der Union werben.

Porträt Klingbeil

Der Generalsekretär vor dem großen Vorsitzenden Foto: dpa

taz: Herr Klingbeil, die SPD will vor dem Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag „die diskursive Bandbreite der Debatte abbilden“, so der Beschluss beim Parteitag in Bonn. Was heißt das konkret?

Lars Klingbeil: Wenn ein Koalitionsvertrag zu Stande kommt, wird es vor dem Mitgliedervotum eine Reihe von Veranstaltungen für die SPD-Mitglieder geben. Da wird die Parteispitze natürlich die Ergebnisse der Verhandlungen darstellen – aber wir werden auch Raum für ein sachliche, kontroverse Diskussionen schaffen.

2013 hat der Parteivorstand ein paar Hunderttausend Euro für eine Pro-Groko Anzeige in der Bild-Zeitung ausgegeben. Nicht gerade Waffengleichheit. Wird es wieder solche Anzeigen geben?

Nein, solche Anzeigen passen nicht zu dem neuen Diskussionsstil, den wir in der SPD gerade leben.

2013 war dem Abstimmungszettel Werbung der Parteiführung für den Koalitionsvertrag beigelegt. Wird das 2018 auch so?

Es ist Aufgabe des Parteivorstands, den Koalitionsvertrag zu bewerten.

Ist es fair, die Argumente für die Koalition in dem Brief mit dem Abstimmungszettel zu verschicken?

Die SPD-Führung muss Orientierung geben. Dafür ist sie gewählt.

, Jahrgang 1978 ist Generalsekretär der SPD.

Haben die Jusos auch die Möglichkeit, ihre Gegenargumente dort zur Geltung zu bringen?

Nicht in der Bewertung des SPD-Parteivorstands, nein. Die DL21 (die Demokratische Linke 21, in der ein Teil des linken Parteiflügels organisiert ist A.d.R) verschickt schon vor Abschluss der Verhandlungen Argumente gegen die Große Koalition. Da hat mich auch niemand gefragt, ob ich meine Argumente für einen möglichen Koalitionsvertrag beilegen möchte. Es wird genügend Gelegenheiten für gemeinsame Diskussionen geben.

Die Jusos fürchten, dass der Parteivorstand den Apparat in Bewegung setzt, um die 440.000 GenossInnen von der Groko zu überzeugen – sie aber noch nicht mal Mails an die Mitglieder schreiben können. Verstehen Sie diese Sorge?

Ich kümmere mich jetzt erstmal darum, dass wir einen guten Koalitionsvertrag bekommen und möglichst viele sozialdemokratische Forderungen durchsetzen. Die Debatte über das Ergebnis kommt dann danach.

Verstehen Sie die Sorge der Jusos?

Ehrlich gesagt nein. Mein Eindruck ist, dass die Jusos und ihre Position in der innerparteilichen Debatte und auch in den Medien sehr präsent sind.

Die Groko-Gegner haben, anders als 2013, ein Gesicht. Fürchten Sie Kühnert?

Nein. Kevin und ich schätzen uns gegenseitig und arbeiten in vielen Bereichen gut zusammen. Es ist toll, dass wir so eine lebendige Jugendorganisation haben.

Sie waren vor zehn Jahren mal Vize-Jusochef. Hätten Sie auch so agiert, wie Kühnert jetzt?

Ich hätte mich wahrscheinlich, jedenfalls in dieser Situation, darauf konzentriert, sozialdemokratische Forderungen im Koalitionsvertrag durchzusetzen.

Manche finden die „Tritt ein, sag nein“ Kampagne der Jusos gefährlich. Karl Lauterbach glaubt, dass „SPD-Hasser kurz eintreten, um der Partei zu schaden“…

Natürlich will ich nicht, dass Leute eintreten, abstimmen und wieder austreten. Aber wir sollten nicht ängstlich sein. Aus den Ortsvereinen und Kreisverbänden höre ich, dass die allermeisten, die derzeit zur SPD kommen, ein echtes Interesse haben bei uns mitzuarbeiten. Weil wir lebendig und spannend über Gesellschaftspolitik diskutieren.

Die SPD beteuert, sich zu erneuern. Was heißt das?

Wir müssen unsere Strukturen öffnen. Berufstätige, junge Väter und Mütter, die wenig Zeit für Parteiarbeit haben, müssen sich digital viel besser beteiligen können. Und wir müssen für Frauen und Jüngere attraktiver werden.

Ist die SPD eine Machopartei?

Das ist eine verbreitete Kultur in der SPD, die wir ändern müssen. Wir brauchen offenere Debatten, die nicht breitbeinig und bevormundend geführt werden.

Sie sind nur mit 70 Prozent zum Generalsekretär gewählt worden. Weil viele unzufrieden waren, dass die SPD zwar verkündet weiblicher und jünger zu werden – dann aber wie immer ein Niedersachse, der zum rechten Seeheimer Kreis gehört, den Job bekommt.

Moment. Wir haben gesagt: Die SPD soll jünger, weiblicher und digitaler werden. Ich erfülle, mit 39 Jahren noch gerade so, zwei dieser Kriterien. Und ich werde hart daran arbeiten, dass die Partei weiblicher wird.

Wie?

Das fängt zum Beispiel damit an, dass es kein vom Willy-Brandt-Haus organisiertes Podium mehr geben wird, auf dem nur Männer sitzen. Wir werden eine Stabsstelle für Gleichstellung einrichten, in allen Bereichen der Parteiarbeit auf diese Themen achten wird.

Damit ist die SPD aber ganz schön spät dran.

Die SPD muss sich an vielen Stellen modernisieren, und wir arbeiten hart daran, dass das gelingt. Das SPD Präsidium besteht nun zur Hälfte aus Frauen. Das Team, das den Koalitionsvertrag verhandelt, ist zu fünfzig Prozent weiblich. Und die SPD wird, sollten wir in die Bundesregierung gehen, auch die Ministerposten zur Hälfte mit Frauen besetzen. All das gehört zum Erneuerungsprozess.

Die SPD verordnet sich seit 30 Jahren nach Wahlniederlagen immer Strukturreformen und verspricht Erneuerungen – an die sich nach einem Jahr niemand mehr so richtig erinnern kann. Warum soll das diesmal anders sein?

Die SPD hat bei der Bundestagswahl 20,5 Prozent bekommen. Alle in der Partei müssen begreifen, dass sich etwas ändern muss. 2013 wurden Änderungen versprochen und wenig gehalten. Ich bin Generalsekretär geworden, damit wir diesmal ernst machen.

Gehört zur Erneuerung, dass die SPD ernst macht mit Umverteilungspolitik? Die Schere geht bei den Vermögen immer weiter auseinander…

Das stimmt. Deshalb muss die SPD wieder ein Ort der Debatte über Verteilungsgerechtigkeit werden. Und vor allem über die Digitalisierung, die die Arbeitswelt radikal verändert. Wir haben darüber in den letzten Jahren viel zu wenig diskutiert, auch nicht über sozialdemokratische Alternativen zum bedingungslosen Grundeinkommen. Wir haben nach der Bundestagswahl 2013 keinen programmatischen Vorrat aufgebaut. Das war auch ein Problem unseres Wahlkampfes.

Wie verstehen Sie ihren Job als Generalsekretärs – wie einst Franz Müntefering als Angreifer, oder diskursiv wie Katarina Barley?

Ich bin eher diskursiv. Ich will überzeugen, nicht erzwingen.

Und wer tritt dann der Union mal vor das Schienbein?

Ich werde schon darauf hinweisen, wo die Unterschiede zur Union sind. Aber die Zeit der Macho-Generalsekretäre ist vorbei. Mich nerven Politiker, die in Talkshows immer nur draufhauen, nur den Konflikt suchen. Das ist ein überholter politischer Stil.

Wirklich? Wir dachten, dass die SPD, anders als in der letzten Großen Koalition, auf Abgrenzung zur Union gehen wird?

In der letzten Bundesregierung ist ab und zu der Eindruck entstanden, dass SPD und Union die besten Freunde sind. Das werden wir ändern. Aber nicht über Krawall. Sondern indem wir uns als eigenständige fortschrittliche Partei präsentieren.

Ein Problem der SPD ist noch immer, dass sie sich ihre Niederlagen schönredet. Beim Familiennachzug für Flüchtlinge hat sich eindeutig die Union durchgesetzt. Trotzdem feiert Martin Schulz das als Erfolg…

Es werden 12.000 Angehörige von Flüchtlingen im Jahr kommen können, plus Härtefälle. Das ist ein Fortschritt, verglichen mit der jetzigen Situation. Mehr war mit der Union nicht drin. Schauen Sie sich die Mehrverhältnisse im Bundestag an. Die Alternative lautete: 12.000 plus Härtefälle oder null.

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