Polnisch-ukrainische Beziehungen: Im Schatten der Geschichte

In der Ukraine geht die Angst um, das Verhältnis zum Nachbarn könnte sich verschlechtern. Grund ist das neue Holocaust-Gesetz in Polen.

Proteste gegen das polnische Holocaust-Gesetz am 6. Februar in Kiew

Proteste gegen das polnische Holocaust-Gesetz am 6. Februar in Kiew Foto: reuters

KIEW taz | Die Angst, Polen als wichtigsten Bündnispartner bei der Annäherung an die Europäische Union zu verlieren, wächst in der Ukraine. Nach dem am Dienstagabend von Polens Präsident Andrzej Duda unterschriebenen Gesetz zum „Institut nationalen Gedenkens“ macht sich strafbar und kann mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden, wer behauptet, Polen habe mit dem Dritten Reich kollaboriert, wer nazistische Vernichtungslager als „polnisch“ bezeichnet und die Verbrechen ukrainischer Nationalisten in Wolhynien im Nordosten der Ukraine an Polen leugnet.

In der Ukraine löst insbesondere der letzte Punkt Empörung aus. Dieses Gesetz widerspreche dem Geist der strategischen Partnerschaft zwischen der Ukraine und Polen, zitiert das Internetportal Ukrainska Prawda Präsident Petro Poroschenko. „Ich bin zutiefst beunruhigt über die Entscheidung des polnischen Parlamentes. Eine historische Wahrheit erfordert ein offenes Gespräch und einen Dialog, aber keine Verbote“, empörte sich Poroschenko. Die in dem Dokument vorgenommenen Bewertungen seien „nicht objektiv und kategorisch inakzeptabel“.

Auch Wladimir Wjatrowitsch, Chef des regierungsnahen ukrainischen „Instituts für nationales Gedächtnis“ befürchtet, dass das polnische Gesetz den bilateralen Beziehungen schaden könne. Nicht auszuschließen sei, dass das Gesetz auch rowdyhaftes Verhalten provoziere.

Der Streit über das polnische Gesetz ist nur ein vorläufiger Höhepunkt der Krise in den polnisch-ukrainischen Beziehungen, die zunehmend von Spannungen geprägt sind. Bereits im November warnte der ukrainische Fernsehsender TSN nach einem Marsch polnischer Nationalisten in Warschau vor dem Nachbarn: „Polen, das als erstes Land die ukrainische Unabhängigkeit anerkannt hatte, die Annäherung der Ukraine an Europa und die transatlantische Gemeinschaft ­unterstützt und für Sanktionen gegen Russland eintritt, stellt nun die strategische Partnerschaft infrage“.

Getrübtes Verhältnis

Es sind die dunklen Seiten der gemeinsamen Geschichte, die das polnisch-ukrainische Verhältnis trüben. Im Sommer 2016 hatte die Entscheidung des polnischen Parlamentes, den 11. Juli zum nationalen Gedenktag zu erklären, in der Ukraine zu Verstimmungen geführt.

Am 11. Juli 1943 waren bei einem Überfall ukrainischer Nationalisten der UPA (Ukrainische Aufständische Armee) und OUN (Organisation ukrainischer Nationalisten) auf Dutzende Dörfer in Wolhynien im Nordwesten der Ukraine Tausende polnische Zivilisten ermordet worden. In der Ukraine nennt man diese Ereignisse, die in Polen als „Genozid“ bezeichnet werden, wertneutral „die Tragödie von Wolhynien“.

Auch in der ukrainischen Bevölkerung wächst die Angst vor einer Verschlechterung des Verhältnisses zu dem Nachbarland, in dem 1,5 Millionen Ukrainer arbeiten und studieren. „Meine Tochter lebt im polnischen Siedlce“, sagt eine ­Rentnerin in Kiew, die auf den Bus wartet. Probleme mit Diskriminierung habe sie nie gehabt.

Doch jetzt könne sich das Verhältnis zu den in Polen lebenden Ukrainern verschlechtern, so die Frau. „Dann kann meine Tochter ihren Job verlieren.“ Sie jedenfalls habe ihr kürzlich geraten, alles in den sozia­len Netzwerken zu löschen, was irgendwie von den polnischen Behörden missverstanden werden könnte.

Neues Feindbild

Was ihre Tochter auch nervös mache, sei der Umstand, dass niemand wisse, wie dieses Gesetz angewandt werde. Ihr Mann habe auch im Krieg in der Ostukraine gekämpft. Aber das sei doch nicht strafbar.

„Die brauchen eben wieder ein neues Feindbild in Polen“ wirft ihre Nachbarin ein. „Denn damit können sie ihre eigene Bevölkerung besser kontrollieren.“ Auch sie habe von ihren Bekannten, die in Polen leben, bislang nicht gehört, dass Ukrainer in Polen nun stärker diskriminiert würden.

„Doch wenn die Propaganda gegen die Ukrainer, die angeblich alle Anhänger der Armee der Aufständischen, der UPA, sein sollen, erst einmal wirkt, dann kann das vielleicht doch Auswirkungen auf meine Verwandten haben, die in Polen leben“, sagt sie.

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Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.

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