Militäroperation in Afrin: Opfer in einem miesen Spiel

Die türkische Offensive ist militärisch Irrsinn. Aber sie ist auch ein Ergebnis der Passivität des Westens in Syrien.

„Außenpolitik ist immer primär Innenpolitik.“ Foto: dpa

Thomas von der Osten-Sacken ist Mitgründer und Geschäftsführer der Organisation Wadi, ein Verband für Krisenhilfe und solidarische Entwicklungszusammenarbeit. Seit 20 Jahren ist Osten-Sacken im Nahen Osten tätig. Er ist außerdem freier Publizist und schreibt u.a. für Jungle World und Welt

taz.gazete: Wie verändert die türkische Militäroffenisve „Operation Olivenzweig“ die Konstellation im syrischen Bürgerkrieg?

Thomas von der Osten Sacken: Die sehr wirre Lage in Syrien wird sich verschärfen, die Kräfteverhältnisse werden sich verschieben. Russland, das teilweise Schutzmacht der kurdischen PYD von Afrin war, hat offenbar grünes Licht für die Offensive gegeben. Und die USA steht relativ hilflos daneben und sieht zu, wie einer ihrer Verbündeten in Nordsyrien von einem NATO-Alliierten angegriffen wird.

Wieso verhalten sich die USA und Russland so passiv?

Dazu muss man die Entwicklungen der letzten Jahre betrachten. Eigentlich war die Türkei nach Ausbruch des „Arabischen Frühling“ und der Massenproteste in Syrien auf Seiten der heterogenen syrischen Opposition. Sie war der Meinung, Assad müsse gestürzt werden. Erdogan ging davon aus, dass er von Europa und den USA unterstützt werden würde. Das geschah aber nicht. Der Iran und Russland intervenierten derweil militärisch, finanziell und politisch zum Schutz von Assad. Irgendwann war klar, dass die Türkei weitgehend isoliert ist. Zugleich etablierte sich an ihrer Südgrenze die kurdische PYD, die in Augen der Türkei nichts weiter als eine Schwesterpartei der PKK ist. Nach klaren Signalen aus Washington, dass man es mit dem Sturz von Assad nicht ernst meint, vor allem nachdem es auch in Folge der Giftgasangriffe Assads zu keiner Intervention kam, hat Erdogan einen Schwenk gemacht. So wurde die Türkei zum Juniorpartner der Achse Iran-Russland.

Was verspricht sich die Türkei von dieser Umorientierung?

Sie möchte ihr Stück vom Kuchen haben. Den hat sie auch schon bekommen: Mit einer Schutzzone, die sie in Dscharabulus und Al Bab einrichtete und als Mentor über die von Rebellen kontrollierten Gebieten von Idlib. Jetzt marschiert sie in Afrin ein. Es war immer klar, dass die Türkei nicht bereit ist, Geländegewinne der PYD und die Ausrufung kurdischer Selbstverwaltungsgebiete an ihrer Südgrenze zu dulden.

Was heißt das für die syrische Opposition?

Die türkische Offensive hat verheerende Folgen auf die verbleibende syrische Opposition, also den „Syrian National Council“ (SNC), dem Dachverband, der an Friedensverhandlungen in Genf und Astana teilgenommen hat. Dem gehörte auch der „Kurdish National Congress“ (KNC) an, die in Opposition zur kurdischen PYD steht. Weil jetzt der SNC die türkische Invasion nicht nur politisch unterstützt, sondern auch Einheiten der verliebenden „Free Syrian Army“ mit den Türken zusammen kämpfen, hat der KNC seinen Austritt aus dem SNC erklärt. Das heißt, die syrische Opposition ist jetzt noch gespaltener als vorher. De facto ist sie nicht mehr handlungsfähig.

Ist es so, dass die kurdische PYD bisher die erfolgreichste der Bürgerkriegsparteien war?

Die PYD agierte taktisch geschickt, strategisch jedoch nicht: Sie versuchte, sich aus dem Bürgerkrieg rauszuhalten und gute Kontakte sowohl zu den USA, als auch zu Russland zu unterhalten – obwohl beide nicht die gleichen Interessen vertreten. In diesem widerlichen Herumgeschachere um die Konkursmasse Syrien sieht es jetzt aber so aus, dass es eine Annäherung zwischen der Türkei und Russland gibt – und Russland dafür ein Bündnis mit der PYD opfert. Gleichzeitig sieht Russland mit Vergnügen dabei zu, wie die beiden NATO-Verbündeten Türkei und USA aneinander geraten, sich gegenseitig schwächen. Iran, Russland, Assad und letztlich auch Erdogan haben ein gemeinsames Interesse: Die USA soll möglichst bald aus Syrien verschwinden. Der russische Einfluss in Syrien richtet sich allerdings nicht zu sehr auf Nordsyrien, sondern eher auf die Küste und die Häfen. Es geht Russland darum, dass Assad in Damaskus an der Macht bleibt. Nordsyrien ist für die Russen Spielgeld. Ihr Bündnis mit der PYD war ein rein taktisches und kein langfristiges, strategisches.

Es war also für Russland kein Problem, die Kurden aufzugeben?

Der große Fehler der kurdischen Parteien war es immer, dass sie nicht sahen, wann sie als taktische Partner betrachtet wurden, die man schnell wieder fallen lassen kann, und wann als langfristige, strategische Verbündete. Leider passiert das in ihrer Geschichte immer wieder, dass sie da stehen und merken, dass sie geopfert worden sind, in einem miesen Spiel um diese Region. Ob es am Ende den Russen viel bringt, was sie da machen, bleibt offen. Syrien ist kein Schachspiel, bei dem Leute da sitzen und sich überlegen, was der nächste Zug ist. Dieser Bürgerkrieg hat eine eigene, unglaublich destruktive Dynamik, bei der die Beteiligten eher reagieren statt agieren. Das zeigt sich auch an der türkischen Militäroperation: Erdogan steht mit dem Rücken an der Wand und beginnt jetzt ein Militärabenteuer, dessen Ausgang ungewiss ist.

Kann die türkische Offensive zum Ende eines kurdischen Projekts führen, das von vielen als ein demokratischer Aufbruch in der Region gesehen wird?

Die PYD würde gerne den Eindruck erwecken, dass sie im Namen aller Kurden spricht, was nicht stimmt. Es gibt innerkurdische Opposition gegen den Regierungsstil der PYD, der zum Teil auch repressiv unterdrückt wird. Das ist nicht das wunderbare, demokratische Selbstverwaltungsgebiet, als das es manche deutsche Linke gerne darstellen würden.

Rojava ist kein demokratischer Aufbruch in einer weitgehend von Gewalt erschütterten Region?

Leider herrscht die PYD in Rojava recht autoritär und lässt neben sich keine oder kaum eine Opposition zu. Trotzdem war dieses Gebiet in Nordsyrien bislang – abgesehen vom IS – weitgehend nicht betroffen vom verheerenden Bürgerkrieg. Es wäre eine Tragödie würde nun auch Afrin, in das nebenbei hunderttausende Syrer geflüchtet sind, in den destruktiven Sog dieses Krieges gezogen werden.

Kann es sein, dass Russland die Türkei gewähren lässt, um die PYD zu zwingen, sich dem syrischen Regime unterzuordnen?

Immerhin hat die PYD entschieden, das nicht zu tun. Es liegen Informationen vor, dass Russland der PYD letzte Woche mitgeteilt hat, man würde sie weiterhin schützen, wenn sie sich unter die Oberhoheit von Damaskus stellen. Das hat die PYD abgelehnt. Andererseits erklärten die USA ebenso vergangene Woche, dass sie an einer langfristigen Präsenz in Syrien interessiert sind. Nachdem die USA sämtliche Bündnisse mit der Free Syrian Army und der restlichen syrischen Opposition beendet hat, sind Nordsyrien bzw. Rojava, Raqqa, Hasaka, Qamischli die einzigen Orte, an denen das noch möglich ist. Deshalb spekulierte die PYD darauf, dass die USA sie schützen würden. Die USA sagen jetzt aber: „Wir haben einen Deal mit den Russen: Wir sind mit dem PYD östlich, und die Russen sind mit ihr westlich des Euphrats verbündet. Das heißt: Afrin geht uns nichts an.“ Das haut vorne und hinten nicht hin. Aber nach dieser bizarren Logik funktioniert der Konflikt in Syrien seit Jahren.

Erdogan kündigte an, die „Operation Olivezweig“ nach Manbidsch auszuweiten, wo die USA die kurdische YPG, die Volksverteidigungseinheiten der PYD, trainiert und ausgerüstet haben. Kann es hier zur Konfrontation mit den USA kommen?

Die USA hat die PYD bisher vor der Türkei geschützt, indem sie an der syrisch-türkischen Grenze mit Militärfahrzeugen patrouillierte. Die Frage ist: Wie verhalten sich PYD/ YPG? Was ist, wenn sie wirklich Truppen, die amerikanisch ausgerüstet sind, nach Afrin schicken? Und dann im Prinzip mit NATO-Waffen gegen Nato-Waffen gekämpft wird? Dann denke ich, könnten die USA zu dem Schluss kommen, die PYD fallen zu lassen, weil ihnen langfristig der Nato-Partner Türkei strategisch wichtiger ist. Andererseits denke ich nicht, dass die Türkei Angriffe gegen US-Truppen starten wird. Das wird Erdogan nicht machen, weil der Westen zu wichtig für die Türkei ist.

Erdogan kennt seine Grenzen?

Wer die türkische Politik verfolgt, weiß: Außenpolitik ist immer primär Innenpolitik. Erdogan macht keine außenpolitischen Schritte, die nicht primär innenpolitisch motiviert sind. Die Türkei ist enorm gespalten in Anhänger und Gegner von Erdogan. Das einzige, mit dem er noch eine gesamttürkische, nationalistische Stimmung herstellen kann, ist der Kampf gegen die Kurden. Das sieht man momentan daran, dass die CHP und auch die kemalistischen Medien die „Operation Olivenzweig“ mit relativem Pathos unterstützen. Ich bezweifle aber, dass Erdogan final mit den USA brechen wird.

Gibt es Aussichten auf einen militärischen Erfolg der Türkei?

Das türkische Militär wird kein besonders gutes Bild abgeben. Sie ist schon beim letzten Einmarsch in Syrien, in Dscharabulus und Al-Bab schlecht gegen den IS dagestanden und sich de facto zurückgezogen,. Die YPG sind ziemlich kampferprobt, sie haben gute Waffen, sie kennen das Gelände. Die Türkei hat eine riesige Infanterie und viele Panzer, aber heutzutage, in asymmetrischen Kriegen, geht es darum, dass man entsprechend gut ausgebildete Sondereinsatzkommandos hat. Die Zahl macht es nicht wirklich aus. Wenn die kurdische YPG wirklich bereit ist zu kämpfen, wird das ein extrem langes und blutiges Unterfangen, bei dem sich die Frage stellt: Wie lange hält die Türkei das durch?

Erdogan kann mit dieser Militäroffensive also nur verlieren?

Er hat bisher jede Niederlage in einen Sieg umgewandelt. Außenpolitisch hat Erdogan in den letzten fünf Jahren keinen einzigen Erfolg vorzuweisen. Ein einziges Desaster. Innenpolitisch gibt es durchaus Punkte, wo man sagen kann, da hat die AKP die Türkei verändert. Nur ihre Logik ist: „Wir sind die Opfer. Es sind immer die anderen Schuld!“ Man ist Opfer einer enormen Verschwörung der USA, der Kurden, der Zionisten, der Armenier und so weiter. Und diese Haltung kann er verkaufen. Wenn am Ende der „Operation Olivenzweig“ eine kleine Pufferzone oder fünf Dörfer rausspringen, die von der Türkei kontrolliert werden, wird Erdogan das als Erfolg verkaufen.

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