Neue Trennlinien in Berlin: Die Mauer ist wieder da

Am Montag ist die Mauer genauso lange weg, wie sie da gewesen war. Ein Fund in Schönholz zeigt, dass sie die Menschen noch immer beschäftigt.

Echt oder nicht echt? Das Stück Mauer in Schönholz Foto: Maurizio Gambarini

„Angry“ hat jemand auf das verwitterte Stück Ziegelmauer gesprüht, das unweit des S-Bahnhofs Schönholz in der Berliner Wintersonne vor sich hindämmert. Ein paar Waldarbeiter schlagen am Vormittag Schneisen durch das dichte Gestrüpp, laut heulen die Kettensägen. Dazwischen begutachten vereinzelt Menschen die Ziegelwand.

Ende Januar hatte die Nachricht des selbsternannten Pankower Heimatforschers Christian Bormann hohe Wellen geschlagen. Er behauptete, Reste der Berliner Urmauer gefunden zu haben, jener ersten Behelfsmauer, die die DDR 1961 quasi über Nacht hochgezogen und dazu auch vorhandenen Gebäudereste benutzt hatte. Nachdem er seine Entdeckung der Öffentlichkeit preisgab, waren täglich Dutzende BerlinerInnen, ausgerüstet mit Fotokameras, aber auch mit Hammer und Meißel, ins Schönholzer Unterholz gepilgert. Derweil versuchten die Bezirke und das Landesdenkmalamt fieberhaft zu klären, ob die 80 Meter lange Ziegelwand an der Bezirksgrenze zwischen Pankow und Reinickendorf tatsächlich Teil der ehemaligen Grenzanlagen der DDR war.

Mauer(los) I Am Zirkeltag, Montag, dem 5. Februar 2018, steht die Berliner Mauer genauso lange nicht mehr, wie sie zwischen 1961 und 1989 die Stadt teilte, nämlich 28 Jahre, 2 Monate und 26 Tage. Zu diesem Anlass eröffnet die Stiftung Berliner Mauer ab 6. Januar die Fotoausstellung „28 I 28. Achtundzwanzig Jahre Berlin mit und ohne Mauer“.

Mauer(los) II Am Montag, dem 5. Februar 2018, ab 19.30 Uhr veranstaltet die Bundeszentrale für Politische Bildung in der Volksbühne ein Programm mit Diskus­sionen, Mauer-Kurzfilmen und Konzerten der Rockbands City und Herbst in Peking. (boe)

In einer ersten Bewertung am vergangenen Mittwoch erklärte das Landesdenkmalamt gegenüber dem Tagesspiegel, dass es sich nur um eine „grenznahe Mauer“ handeln würde. Einen Tag später revidierte die Stiftung Berliner Mauer das Urteil. Der Fund sei „echt und nicht fraglich“, sagte die Sprecherin. Um ihn vor Souvenirjägern zu schützen, soll er nun eingezäunt werden.

Was am Montag am sogenannten Zirkeltag, dem kalendarischen Datum, das dokumentiert, dass die Mauer so lange gefallen ist, wie sie zuvor die Stadt in Ost und West teilte, wie eine Hauptstadtposse anmutet, ist doch kein Witz. 28 Jahre, 2 Monate und 26 Tage nachdem die Mauer fiel und nicht schnell genug aus dem Stadtbild verschwinden konnte, ist die Aufregung über ein gefundenes Stück Ziegelwand groß. Die Mauer ist wieder da. Aber war sie jemals weg aus den Köpfen der BerlinerInnen, jedenfalls derer, die in der geteilten Stadt lebten?

Noch immer gibt es Geschichten wie die des alteingesessenen Kfz-Mechanikers aus Moabit, der nach eigener Aussage noch nie im Ostteil der Stadt war. Noch immer erinnern sich am Weddinger oder Neuköllner Kneipentresen die „Wolles“ und „Gerdchens“ an die „dolle Zeit“ mit Berlinzulage, als es Kneipen und Lohnarbeit an jeder Straßenecke gab, die Portemonnaies voll und die Mieten billig waren. Und noch immer hört man ehemalige Prenzlauer Berger und zuletzt auch Pankower schimpfen, dass ihnen die Stadt quasi „unterm Arsch weggezogen wurde“, auch lange nachdem ihre Kohleofen-Wohnungen luxussaniert und verkauft wurden.

Das ist die eine Erfahrung der BerlinerInnen mit dem Mauerfall und dem, was ihm folgte. Die andere ist ein kollektives Stadterlebnis im Hier und Jetzt, das sie tagtäglich herausfordert und die Unterschiede zwischen Ost- und Westberlin längst verschwimmen lässt. Etwa, wenn die in den Neunzigern zugezogenen StuttgarterInnen und KölnerInnen heute ebenfalls aus ihren Prenzlauer Berger Wohnungen verdrängt werden, weil sie sich die teuren Mieten nicht mehr leisten können. Oder wenn die BewohnerInnen eines Weddinger Miethauses um ihre Wohnungen bangen, weil ein Investor ihr Haus gekauft hat.

Gemeinsam erleben die BerlinerInnen auch das Clubsterben in ihrer für ihr legendäres Nachtleben bekannten Stadt, gemeinsam ertragen sie den Anblick der neuen Schießschartenarchitektur rund um den Hauptbahnhof und die Scharen von Rollkoffern, die über die Warschauer Brücke nach Kreuzberg rollen.

Zusammen stimmten sie für die größte innerstädtische Grillwiese Deutschland, das Tempelhofer Feld, reißen Witze über die nicht enden wollenden Bauarbeiten am BER, verabschiedeten einen Eisbären und begrüßten zwei Pandas. Gemeinsam halfen sie den wartenden Flüchtlingen vor dem Lageso, und ebenso gemeinsam trauerten sie um die Opfer des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz.

Die DNA von Berlin

Die neuen Trennlinien der Stadt, sie verlaufen weniger zwischen Ost- und Westberlin, sondern vielmehr zwischen Arm und Reich, Arbeit und arbeitslos, Asyl und Abschiebung und, bezogen auf die geteilte Stadt, wohl eher zwischen BerlinerInnen, die die Mauer und ihren Fall erlebt haben, und denen, die davon im Geschichtsunterricht hören.

Und noch etwas Großes verbindet die BerlinerInnen seit dem Mauerfall: Als im März 2013 Teile der East Side Gallery, eines der letzten zusammenhängenden im Stadtbild verbliebenen Mauerstücks, einem Luxusbauprojekt weichen mussten, gingen Tausende Menschen auf die Straße.

Was die Demonstranten, der Pankower Heimatforscher wie auch die Mauerspechte in Schönholz zeigen: Auch 28 Jahre, 2 Monate und 26 Tage nach dem Mauerfall möchten sich die BerlinerInnen an ihre geteilte Stadt erinnern. Daran, dass sich die Klassenfeinde vor ihrer Haustür direkt in die Augen schauten. Dass sie das Leben im Angesicht bewaffneter Grenzsoldaten unter Repressionen und den Familienmitgliedern und Freunden drüben nicht in die Knie zwang, sondern das sie in ihrer Stadt die Mauer friedlich zu Fall brachten und fortan fast drei Jahrzehnte lang als wiedervereinte Stadt Geschichte schrieben.

Die Mauer gehört zur Identität der BerlinerInnen, sie ist Teil ihrer DNA. Umso wichtiger sind nach ihrem fast vollständigen Rückbau in der Innenstadt, angesichts geschichtsvergessener Bauinvestoren und Stadtplaner und lächerlicher Grenzsoldaten-Inszenierungen am Checkpoint Charlie mehr denn je der Erhalt und die Pflege ihrer Erinnerungskultur – auch jenseits der Gedenkstätten. Der Wunsch nach lebendiger Erinnerung verbindet die BerlinerInnen. Er sollte gehört werden, solange weltweit immer neue Grenzen gezogen werden.

Ein weiterer Text zum Thema: “Ich bin ein „Wossi“

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