Debatte Journalismus und Facebook: Angst vor dem Publikum

Facebook ist ein Monopolist. JournalistInnen kritisieren jede Änderung im Newsfeed – ihre eigene Arbeit aber bleibt für sie bemerkenswert sakrosankt.

Porträt Mark Zuckerberg

Er hat die Macht, aber nicht die alleinige Verantwortung Foto: ap

Nur wenige Tage nach der Mitteilung, dass der Facebook-Algorithmus in Zukunft die Mitteilungen von FreundInnen gegenüber Posts von Nachrichtenseiten bevorzugen soll, kündigte Mark Zuckerberg am Freitag eine weitere Änderung im Umgang mit Medien in seinem Netzwerk an.

Es sei eine Befragung der NutzerInnen geplant, die ein Ranking verschiedener Medienhäuser nach Vertrauenswürdigkeit ermöglichen soll. Das Publikum werde dabei aufgefordert sein, Nachrichtenquellen nach Bekanntheit und „Trust“ zu bewerten. Das Verhältnis zwischen beiden Variablen ermögliche dann eine Einordnung und angepasste Priorisierung der Quellen. Auf diese Weise könne garantiert werden, dass die Nachrichten, die NutzerInnen in ihren Newsfeeds sehen, von hoher Qualität seien.

Das ist ein weiterer Schritt in der schwierigen und wechselvollen Beziehung des zeitgenössischen Monopolisten der Information und Kommunikation mit den traditionellen TürsteherInnen des Nachrichtenwesens. Sogleich überschwemmten Medienschaffende ihre Social-Media-Timelines bei Twitter und ja, Facebook, mit einem vielstimmigen Lamento über die bizarre Idee, das Publikum entscheiden zu lassen, welche Nachrichtenquellen „fake“ und welche „real“ sind.

Die Klage ist durchaus nachvollziehbar. Schließlich kann wohl angenommen werden, dass beispielsweise die Podcasts der „Flat Earth Society“ bei den Fans der flachen Erde als sehr vertrauenswürdige Quelle angesehen würden, wohingegen die Wissenschaftsredaktionen klassischer Medien aus dieser Richtung eher schlechte Bewertungen erwarten dürften. Ohne weitere Prüfung und Einordnung wird bei einem Publikumsvoting also vermutlich jede Menge Müll und offensichtliche Fakes bevorzugt, zumal in einer derart diversen Community, wie sie von den 2 Milliarden Facebook-NutzerInnen gebildet wird.

Anti-politische Mission

Was daran nun besser sein soll, als die bisherige algorithmische Bewertung von Likes und anderen Interaktionen, ist fraglich. Zuckerbergs Idee macht lediglich deutlich, dass er sich weiterhin der Verantwortung für die Qualität der verbreiteten Informationen verweigern möchte, die man von seinem Netzwerk angesichts der übermächtigen Monopolstellung durchaus erwarten dürfte.

Da die Beschäftigung einer Überredaktion des Newsfeeds nicht auf Zuckerbergs Agenda zu stehen scheint, sei daran erinnert, dass Facebook den Erfolg von Newsanbietern schon immer als Betriebsunfall ansehen musste und dazu die Mission des Netzwerks, wenn auch keine unpolitische, so doch eine anti-politische war. Business lebt eben nicht von Objektivität, politischer und gesellschaftlicher Verantwortung, sondern vom Verkauf.

Der Markt soll sich also selbst regulieren, nicht zuletzt in der Demokratiesimulation der Kundenentscheidung. Also ganz wie an den mit Smiley-Buttons bestückten Feedbackterminals an den Ausgängen von Baumärkten: „Wie war ihr Einkaufserlebnis heute?“

Zweifelhafte Objektivität

Ist die kritische Bewertung der Rolle von Facebook unter JournalistInnen noch nachvollziehbar und an vielen Stellen berechtigt, offenbaren die meisten Äußerungen zur Sache jedoch eine große Leerstelle – eine Analyse des Journalismus selbst, des Selbstverständnisses und der eigenen Bedeutung für die gesellschaftliche Meinungsbildung fehlt in der Regel.

So wird einerseits ohne weitere Zweifel die Existenz eines objektiv „richtigen“, „neutralen“ und „qualitativ hochwertigen“ Journalismus vorausgesetzt. Andererseits zeigt nicht zuletzt das Entsetzen über die Zuckerberg'sche Idee des Publikumsvotings, dass Fachfremden die Einordnung, was dieser gute Journalismus denn nun sei, absolut nicht zugetraut wird.

Dieses Urteil mag ganz intuitiv entstanden sein, ist doch jede Kommentarspalte eine kleine Mitte-Studie, die den alles durchdringenden Extremismus unmittelbar ans Licht bringt. Es wird unübersehbar deutlich, dass die gesellschaftliche Debatte nicht auf der Grundlage allgemein anerkannter Fakten und entlang einer zivilisierten und demokratisch prinzipienfesten Gesprächskultur geführt wird. Es tobt statt dessen ein offener Kampf um die Fakten selber, um Zivilisation und Demokratie.

Was viele JournalistInnen nicht zu sehen scheinen oder nicht wahrhaben wollen: Neutralität und Objektivität sind in diesem Kampf vielleicht nicht die wesentlichen Kriterien für „guten“ Journalismus. Guter Journalismus ist schließlich Kombattant in diesem Konflikt. Das war er schon immer, nur rückt Facebook diesen Fakt jeden Tag aufs neue schmerzlich ins Bewusstsein. Dabei hätte die Tatsache, dass die Bild einmal Europas meistgekaufte Tageszeitung war, bereits vor Jahrzehnten stutzig machen können.

Parteilich und konfrontativ

Mit Snobismus gegenüber dem Publikum lässt sich das Problem jedoch bestimmt nicht lösen. Mit der nicht zuletzt von geschäftlichen Erwägungen getriebenen Kritik an Facebook und anderen Monopolisten des digitalen Zeitalters ebenso wenig. Gehen wir jedoch davon aus, dass gesellschaftliche Realität und ihr Abbild sich gegenseitig beeinflussen, dass der Glaube der Menschen die Erde, wenn man so will, tatsächlich zur flachen Scheibe machen kann, muss „qualitativ hochwertiger“ Journalismus seinen Anteil am schrägen Abbild der Realität erkennen und in Frage stellen.

Dieser Prozess des Erkennens kann kein neutraler und objektiver sein. Er muss parteilich und konfrontativ durchschritten werden, getragen von einer Diskussion nicht nur darüber, wie die Welt wirklich aussieht, sondern wie sie idealerweise aussehen soll. Die Kritik an Facebook kann nur dann über den Jammer des Tages hinausreichen, wenn sie den Journalismus mit seinem inhaltlichen und geschäftlichen Versagen zum Ausgangspunkt hat.

Dieses Versagen findet seinen intensivsten Ausdruck in der Missachtung des Publikums, des Trägers gesellschaftlicher Realität abseits von Hintergrundgesprächen und Pressekonferenzen. Die Interaktionen auf den sozialen Netzwerken geben uns ungewollt einen Einblick in diese Realität und beeinflussen diese dazu, nicht selten zum Schlechteren. Darüber zu streiten, was aber „das Bessere“ sein könnte, mit offenem Visier und klarer Haltung – das ist die Aufgabe des Journalismus, ganz gleich ob er sich nun auf einer Kiste im Park stehend oder auf Facebook präsentiert.

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