Wahrnehmung von Musik: Chart- und Heartbreaker

Musikwissenschaftler Volkmar Kramarz hat ein Buch darüber geschrieben, wie Hits entstehen. Für die taz hat er drei Hits analysiert.

Ein Junge mit einem Helm

Ein neues Daft-Punk-Mitglied? Junge in Australien, 2013 Foto: dpa

Luis Fonsi ft. Daddy Yankee: „Despacito“ (2017)

3:47 Minuten | YouTube: 4,64 Mrd. Aufrufe | Charts: 17 Wochen auf Platz 1 in D | Verkäufe (digital): mehr als 10 Mio.

Wir hören mit dem Meeresrauschen und dem Möwengeschrei eine Strand-Soundscape, wir erkennen einen spanischen Flamenco-Einschlag – und wenn wir das Video dazu nehmen, dann sehen wir eine Umgebung, die man mit Sommer und Ferien verbindet – also ganz auf Sommerhit getrimmt. Übrigens: Der Einsatz der Hauptmelodie erinnert fatal an das „Lummerlandlied“ bei Jim Knopf.

Diese Songs sind nach dem Motto „Bloß nicht stören“ gemacht, bis ins letzte Detail perfekt und extrem glatt produziert. „Despacito“ hat eine konsequent wiederholte Folge mit vier Harmonien, der sogenannten 4-Chord-Formel: Die Tonart ist D-Dur und enthält noch h-Moll, G-, D- und A-Dur. Eingebettet ist das Ganze in einen 4/4-Takt, der Harmoniewechsel findet immer auf der 1 statt. So wie bei praktisch allen Popstücken.

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Was bleibt von dem Song in 50 Jahren? Die Leute werden sagen: „Ach, weißt du noch, der Sommer 2017 …“ Und vielleicht wird dabei auch von der Refrainmelodie, von einzelnen Textpassagen und seiner Sommerferienmachart ein wenig in Erinnerung geblieben sein.

Daft Punk – Get Lucky (2013)

4:08 Min. (Single Version) | YouTube: 180,65 Mio. Aufrufe | 2 Wochen auf Platz 1 der dt. Charts | Mehr als 9 Mio. (digitale) Verkäufe.

Das geht sehr funky los, man hört perfekt intonierte Vocal- und Instrumentallinien. Das Video dazu hat eine völlig durchgestylte Glamour-Atmosphäre.

Die Musik enthält im Vergleich zu anderen Charthits eine kleine Dissonanzhürde, da der Song zwar durchweg in Moll gesetzt ist, aber innerhalb dieser Kadenz Dur-Akkorde aufweist. Auch hier hat man eine durchgehaltene Harmonie-Formel mit insgesamt vier Akkord-Elementen, der Song verbleibt im 4/4-Takt.

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Die Loops hat man fast immer bei den heutigen Pophits. Das ist gewissermaßen eine Fortsetzung der repetitiven Elemente, die mit dem Blues und den afroamerikanischen Elementen in die europäische Musik gekommen sind. Und die früher von der Elterngeneration durchweg als „Dschungelmusik“ verschmäht wurden. Man musste sich entscheiden: sich zu den immer gleichen Abfolgen treiben lassen und in Trance oder Ekstase geraten – oder irre werden.

In 50 Jahren könnte der Song wie einige andere symbolisch für unsere Epoche stehen – menschliche Maschinenmusik in aalglattem Gewand.

Metallica – Nothing Else Matters (1991/Single-VÖ: 1992)

6:28 Minuten | 165,45 Mio. Aufrufe bei YouTube | Charts: Platz 9 in D | Verkaufszahl unbekannt.

Heute wirkt dieses Lied schon fast wie ein oldfashioned Song. Im Video dazu sieht man entsprechend die Musiker im Studio bei ihrer aufwendigen handwerklichen Arbeit, die – anscheinend – authentisch dargestellt wird. Im Vergleich zu den beiden anderen Stücken ist der Song ein wenig komplexer: Die einzelnen Parts haben unterschiedliche Akkordabfolgen, die Struktur ist mehrteilig und insgesamt etwas vielfältiger. Konkret kommt innerhalb der zentralen Smash-Chord-Formel – einer sehr typischen Akkordfolge mit e-Moll, D und C, an sich eine Dur-Kadenz mit fehlender Tonika G-Dur – zwischendurch eine Dur-Subdominante vor. Der Zwischenteil wird dadurch harmonisch in einer Art Folktradition aufgepeppt.

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Insgesamt gilt: Wenn andere Hits eher wie massenhaft gefertigte Reihenhäuser oder Doppelhaushälften gebaut werden, dann wäre das hier schon eine Villa mit Balkon und Erker – wenn auch nur eine neben vielen anderen Villen in ähnlicher Machart. In 50 Jahren werden sich wohl vor allem die Fans und heutigen Liebhaber an dieses Stück unverändert mit warmem Herzen und leiser Melancholie erinnern.

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