Pro und Contra zu Catherine Deneuve: #metoo? Non, merci!

Die französische Schauspielerin sieht die Kultur des Flirts durch die feministische Debatte bedroht. Hat sie einen Punkt?

Der Schauspieler Vincent Lindon gibt Catherine Deneuve einen Handkuss. Beide sitzen im Rang eines Theaters

Kein Handkuss mehr dank #metoo? Das fürchtet jedenfalls Catherine Deneuve Foto: imago/Starface

Neben Catherine Deneuve haben mehr als 100 andere prominente französische Frauen vor einer medialen „Schnelljustiz“ gegen Männer, „puritanischen Säuberungswellen“ und dem Verlust der sexuellen Freiheit durch die aktuelle #MeToo-Debatte gewarnt. Mon Dieu! Ist dieser Alarm berechtigt? Zwei Antworten.

Ja, sagt Jan Feddersen

Die Intervention französischer Frauen in die #MeToo-Debatte hinein ist von provokantester wie erfrischendster Art. Dass dieser Text, veröffentlicht in der liberalen Tageszeitung Le Monde, überhaupt Gehör finden und nicht von den auch im #MeToo-Fahrwasser sich bewegenden Moralist*innen abgetan und entwertet werden kann, liegt gewiss auch an der Göttin des französischsprachigen Kinos – an Catherine Deneuve. Ihr Privileg der Berühmtheit schützt das Anliegen des Textes vor Missachtung und Diskreditierung. Gut so! Mit über 100 anderen, von denen in Frankreich alle Rang und Verdienst haben, schreiben sie: „Vergewaltigung ist ein Verbrechen. Aber hartnäckiges oder ungeschicktes Flirten ist kein Delikt und eine Galanterie auch keine chauvinistische Aggression.“

#MeToo habe in der Presse und den sozialen Netzwerken eine „Kampagne der Denunziation und öffentlicher Anschuldigungen“ ausgelöst. Alle Beschuldigten seien auf eine Stufe mit sexuellen Aggressoren gestellt worden, ohne antworten oder sich verteidigen zu können. „Dieses Fieber, die ‚Schweine‘ zur Schlachtbank zu führen, dient in Wahrheit den Interessen der Feinde sexueller Freiheit, der religiösen Extremisten, der schlimmsten Reaktionäre und derjenigen, die meinen, dass Frauen ‚besondere‘ Wesen sind, Kinder mit Erwachsenengesicht, die nach Schutz verlangen.“

Catherine Deneuve

„Dieses Fieber, die ‚Schweine‘ zur Schlachtbank zu führen, dient in Wahrheit den Interessen der Feinde sexueller Freiheit, der religiösen Extremisten “

Damit skizzieren diese Frauen eine Differenzierung der Debatte über sexuell ausgenutzte Machtverhältnisse. Diese Differenzierung ist in den vergangenen Wochen oft verloren gegangen; zuweilen wurde aber auch absichtsvoll der Unterschied zwischen ungebetenem Flirt und einer Straftat wie einer Vergewaltigung verwischt.

Denn das kann ja keineswegs der Zweck der (globalen) #MeToo-Diskussion sein: Sexuelles oder Erotisches ins Gehege des Bürokratischen, des schriftlich zuvor Vereinbarten einzuhegen. Das wäre zwar der Traum religiöser Fundamentalisten und überhaupt Menschen, für die Sexuelles insgesamt unter Schuldverdacht steht – aber wahr bleibt ja auch: Männer sind keine Schweine, Frauen ebenso wenig. Und Machtmenschen wie Harvey Weinstein haben sich, stimmen die Vorwürfe, mit ihrem Tun strafbar gemacht. Aber sexuelle Anbahnung im erotischen Sinn unter Generalverdacht zu stellen, dient der Prüderie und keiner Emanzipation.

Nein, sagt Patricia Hecht

„Säuberungswelle, Männerhass, Klima einer totalitären Gesellschaft“ – ­Catherine Deneuve und rund 100 weitere französische Frauen rüsten verbal ziemlich auf, um klarzumachen, was sie von #MeToo halten: nichts.

In einem Gastbeitrag für Le Monde kritisieren sie ein „Fieber“, in dessen ungezügeltem Verlauf Männer als „Schweine“ gebrandmarkt und zum Schlachthof geführt worden wären. Sie seien in der Ausübung ihrer Berufe sanktioniert worden, obwohl ihr einziges Vergehen darin bestehe, einen Kuss erhaschen zu wollen. Im Namen der Männer fordern sie die „Freiheit“ ein, „lästig zu werden“. Das Denunzieren von Männern führe zu einem Puritanismus, der religiösen Extremisten in die Hände spiele. Wie absurd. Und wie traurig.

Die Unterzeichnerinnen gerieren sich als Hüterinnen des Patriarchats. Aber das hat ihre Unterstützung gar nicht nötig, es wehrt sich schon ganz gut selbst. Der Begriff von „Freiheit“ ist bizarr verdreht: Nur das „lästig werden“ rette die sexuelle Freiheit, nur das Stillschweigen und Hinhalten der Frauen also die offene Gesellschaft. Noch mal kurz zurück zum Urschleim: Bei #MeToo geht es weder um Sex noch ums Flirten, sondern um Sexismus, sexuelle Gewalt und den Missbrauch von Macht. Freiheit wäre an dieser Stelle, wenn sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch so geächtet wären, dass wir #MeToo nicht bräuchten.

Auch laizistischer Nationalstolz darf nicht fehlen: Die 100 Frauen bemühen die Verteidigung der säkularen Gesellschaft. Das „Anprangern“ – also die Kritik an sexueller Gewalt – führe dazu, dass religiöse Sittenwächter übernehmen. So grotesk es ist: Nur indem Sexismus und Machtmissbrauch weiter möglich sind, heißt das übersetzt, verteidigen wir unseren Sex gegen christliche Moralisten und islamistische Fundamentalisten. Und die sind viel schlimmer als liberale Männer – die Burka lässt grüßen.

Dass auch Frauen frauenfeindlich sein können, ist keine neue Erkenntnis

Dass der Backlash gegen #MeToo auch von weiblicher Seite kommen würde, war zu erwarten. Und dass auch Frauen frauenfeindlich sein können, ist keine neue Erkenntnis. „Wir erkennen uns nicht“ im Feminismus von #MeToo, schreiben die Unterzeichnerinnen. Aber mit Feminismus hat das, was sie schreiben, ohnehin wenig zu tun – es ist vor allem ein großer, rückwärts­gewandter Irrtum.

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war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erscheint mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.

Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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