Neues Album von Rapperin Haiyti: Wer wegrennt, hinterlässt Spuren

Die Hamburger Rapperin Haiyti inszeniert Glamour mit Kratzern. Auf ihrem neuen Album „Montenegro Zero“ rappt sie über Sex, Geld und Drogen.

Hayiti mit Sonnenbrille und einem schwarz-weißen Fellmantel hält sich an einem Metallseil fest und hebt die Hand

Rappt über ihr Haus in Montenegro und ihre Ängste: Hayiti Foto: Tim Brüning

Haiyti würde gerne aufhören. Aufhören, Interviews zu geben. Aufhören, sich ständig zu erklären. Aufhören, rauszugehen. Sie sei eine Person, die damit nicht klarkomme, auf der Straße oder bei Partys von Fremden erkannt zu werden. Dabei kündigt sich der nächste große Aufmerksamkeitsschub gerade erst an. Als das Gespräch mit der Hamburger Rapperin in Berlin stattfindet, steht die Veröffentlichung ihres neuen Albums erst noch bevor. Haiyti hat sich in den vergangenen beiden Jahren beständig unter die vorderen Plätze der Hoffnungstragenden im deutschsprachigen Rap katapultiert und landete nebenbei auch auf den Merkzetteln der Feuilletons. Ihr heute erscheinendes, zweites Album mit dem Titel „Montenegro Zero“ dürfte ihren Weg zum Pop-Status noch härter asphaltieren.

Dabei ist ihre Musik keine leichte Kost. 2015 beschwor sie auf ihrem in Eigenregie veröffentlichten Debüt-Album „Havarie“ auf brachial pumpenden, düsteren Trap-Beats Nächte im Drogenrausch und Geldregen. Seither perfektionierte sie ihren selbstbewussten Stil und sorgte mit mehreren Mixtapes und EPs für Furore. Aggressiv steuert sie mit Scheinen in der einen, der Wodka-Flasche in der anderen Hand auf den Porsche zu. Sie singt und rappt mit einer durch den Autotune-Effekt gestreckten Stimme Bewusstseinsströme über Drogen, Geld, Sex, teure Schlitten und Gewalt.

Haiytis Stimme wirkt oft heiser, überschlägt sich, schrammt fast schreiend mit Nachdruck an der Grenze zum Versagen entlang. Ihre Stimmlage und die besondere Intensität ihres Ausdrucks spaltet die Gemüter. Viele sehen darin das Einzigartige, andere kommen damit nicht klar. Als Jugendliche ist sie mit Dancehall aufgewachsen, später war sie von schnellem Dirty South-Sound eines Pastor Troy oder von der Crew Three 6 Mafia fasziniert. Die Beats jenes HipHop-Subgenres, wie es vor allem in den Südstaaten der USA floriert, basieren nicht wie bei Oldschool-Rap auf Samples von Soul- und Funk-Musik, sondern auf schweren elektronischen Bässen, Synthesizern und Highspeed-Hi-Hats.

Waren die Spielarten von Dirty South anfangs regionale Phänomene, die sich von den Soundsignaturen der East- und Westcoast absetzten, sind die tief rollenden Bässe und aufdringlichen Beats und Reime, die Lobeshymnen auf Reichtum singen, mit Rappern wie Migos, Gucci Mane oder Future aus dem aktuellen HipHop nicht wegzudenken. Seit einiger Zeit wird Dirty South immer mehr auch von deutschsprachigen MCs wie Haiyti in ihre jeweils eigenen Kontexte übersetzt.

Je bekannter die Rapperin wurde, die als Ronja Zschoche im Stadtteil Langenhorn an der nördlichen Peripherie von Hamburg geboren wurde und ihr Alter geheimhält, desto mehr Leute fragten sich über die HipHop-Szene hinaus, ob sie die Texte über Drogendeals, Exzesse und plastischen Materialismus denn wirklich ernst meine. Die Versuchung scheint groß, Drastik und Brutalität ihrer textlichen Vorstellungswelten über Knarren, Koks und Kohle zu abstrahieren und in einen neuen und künstlerischen, damit auch ungefährlichen, nicht so unangenehmen Sinnraum zu überführen. Dass Zschoche an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg studiert, macht die Versuchung, Haiyti als künstlerisches Projekt zu sehen, noch größer. Dabei betreibt sie Rap wie eine Rapperin, nicht wie eine Kunststudentin, die Rap performt.

Übertreibungen sind keine Ironie

Haiytis Reime erreichen immer mehr Menschen, die nicht mit den Themen und Bildern von Straßen- und Gangsta-Rap vertraut sind, geschweige denn mit der Realität, die unter Umständen dahintersteckt. Sie polarisiert, teilt HipHop-Fans und Pop-Beobachter*innen in haters und lovers und provoziert – für manche noch mehr, weil sie es als Frau tut. Übertreibungen sind dabei kein Anzeichen für Ironie, sondern gehören als Ausdrucksform dazu. „Die Aussage ‚Ich hab ein Haus in Monaco‘ regt ja eigentlich nur auf“, kommentiert sie. „Alle wissen, dass das eine komplette Lüge ist. So funktioniert aber Rap.“ Reichtum darstellen, ohne ihn zu haben. Das, was real ist, überzeichnen. Haiytis Rap-Stil ist dabei sprunghaft, assoziativ, ungeschliffen. So inszeniert sie auch ihre Videos: wackelig, nahbar, schräg, unperfekt. Haiyti zelebriert Glamour mit Kratzern.

In „Haubi“, einem Stück auf ihrem neuen Album „Montenegro Zero“, rappt Haiyti: „Ich hab vieles schon gesehen / doch wünschen tu ich’s keinem“. Sie schildert Szenen vom Hamburger Hauptbahnhof, liefert Hintergrundgeschichten zu Drogenabhängigkeit, Prostitution und sozialen Abstürzen. Sie entwirft ihre Texte oft schnell, spuckt sie ungeschliffen, manchmal überdreht ins Mikrofon. Die Unmittelbarkeit ihrer Texte liegt in den Erfahrungen in den Straßen von Langenhorn, dem Schanzenviertel, St. Pauli und St. Georg. „Ich war früher so ein It-Girl, immer die Jüngste zwischen den ganzen Freaks – Ravern, Zuhältern, Prostituierten. Da war ich auch so voll der komische Vogel, eigentlich viel zu jung und trotzdem immer mittendrin“, erzählt die Künstlerin.

„Ich will die Leute nicht überfordern. Aber ich würde die am liebsten alle wachrütteln“

Sie überdreht die Spirale der Hybris in ihren Texten und irritiert gerade dadurch, dass sie Realität und Vorstellung in einer Grauzone ineinandermischt. Obwohl sie mit ihren Reimen keine kalkulierten Ziele verfolgt, wünscht sie sich doch eine Wirkung. „Die meisten Leute führen ein angepasstes Leben. Sie haben ihre Antworten und ihre Fragen und machen, was die meisten machen, und leben in so einem Rahmen“, meint sie. „Und wenn von mir dann so ein Satz kommt wie ‚ich schmeiß ihr Scheine in die Fresse / Aber sie sieht ja eigentlich ganz nett aus‘, bringt es sie aus dem Konzept. Ich will die Leute nicht überfordern. Aber ich würde die am liebsten alle wachrütteln.“

Strandfantasien und fieberhafter Exzess

Neben beinahe klassischen Gangsta-Rap-Metaphern für schnelles Geld und turbulente Nächte thematisiert ­Hayiti auch Liebe und Einsamkeit. Dann reißt Haiyti den glitzernden Vorhang einer heilen Welt runter und schreit uns ohne jede Maske – verzweifelt – Eskalation ins Gesicht. In dem Track „Angst“ rappt sie mit brüchig-überdrehter Stimme: „Ich finde keinen Frieden, weil ich glaube an die Liebe / Gefühle überwiegen, ich fange an zu lügen / Ich hab’ Angst, ich zieh’ wieder durch die Nacht / Ich trink’ viel mehr, als ich kann“.

Die Entstehung erzählt sie folgendermaßen: „Ich hab den Beat gehört und geschrien ‚Ich hab Angst‘ und dann war der Song da. Ich wollte das den Leuten eigentlich auf keinen Fall verraten. Das sind ja Geheimnisse, das ist ja Seelen-Striptease. Ich weiß auch nicht, warum ich das eigentlich mache. Ich glaube, es geht vielen so, aber niemand spricht es so aus. Was ist die schlimmste Situation, was kommt denn nach der großen Euphorie? Allein im Regen rumgehen, weil man nicht nach Hause will. Dunkles Drama auf den Straßen. Warum soll man denn darüber nicht reden?“

Haiyti: „Montenegro Zero“ (Vertigo/Capitol/Universal). Die Tour beginnt im Februar.

Haiytis neues Album „Montenegro Zero“ klingt überraschend vielseitig. Die von den Produzenten KitschKrieg gelieferten Instrumentals klingen mal nach Dancehall, mal zitieren sie stampfenden Wave in 4/4-Beats und machen Anleihen bei Neuer Deutscher Welle, manchmal ist das Fundament auch cheesy Pop-House. Auf allen Tracks platziert Haiyti elegant und treffsicher ihre Texte über sonnendurchflutete Strandfantasien und einen extravaganten Lebensstil. Es finden sich aber auch brachiale Gangsta-Rap-Stücke über Mafia-Verwandtschaft, Ghetto-Silberketten und emotionale Trap-Songs im Kitsch-Windschatten.

Immer wieder thematisiert die Hamburgerin den fieberhaften Exzess, eine fast zwanghafte Nachtaktivität in Clubs, die sie selbst allzu gut kennt. „Darauf bin ich aber nicht stolz. Es gibt immer zwei Sorten von Leuten, die mir auf Raves begegnen: Die einen laufen vor was weg und die anderen haben’s geschafft. Ich gehör’ immer noch zu den Leuten, die vor irgendwas wegrennen“, sagt sie und schiebt nach: „Berlin versteht mich!“ Auch wenn ­Haiyti wegrennen will und es vielleicht irgendwann schaffen wird, sie wird eine Spur hinterlassen mit ihrer impulsiven Direktheit, die den vermeintlich sicheren doppelten Boden unter den Füßen wegzieht.

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