Kolumne German Angst: Oury Jalloh zurück auf der Agenda

Seit 13 Jahren verhindern Korpsgeist und Desinteresse, dass der Tod des Sierra Leoners aufgeklärt wird. Viele wollen das nicht mehr hinnehmen.

Viele Demonstrant*innen halten ein langes Transparent vor einem Gebäude stehend. Es ist Abend

DemonstrantInnen erinnerten am Sonntag in Dessau an den 13. Todestag Oury Jallohs Foto: dpa

Es könnte das Meisterstück eines großen Zauberers sein: Hände und Füße fixiert, mit dem Rücken auf einer feuerfesten Matratze, in die er ein Loch gebohrt hat und die er mit einem aus dem Nichts hervorgezauberten Feuerzeug in Brand setzt, um dann das Feuerzeug, ohne es jemals angefasst zu haben, so gut zu verstecken, dass es erst Tage später gefunden wird.

Das klingt unglaublich. Aber nicht für die deutschen Behörden. Für sie war immer klar: Oury Jalloh, Asylbewerber aus Sierra Leone, hat sich auf genau diese Weise selbst getötet. Das Verfahren wurde 2017 eingestellt. Die Geschichte ist mittlerweile bekannt – das aber nur deswegen, weil 13 Jahre nach dem unaufgeklärten Tod in Polizeiobhut nicht nur ein paar AktivistInnen nicht lockerließen, sondern weil auch ein Mann von den zuständigen staatlichen Stellen vom „Anfangsverdacht eines Mordes“ sprach (und seinen Job loswurde).

Der Fall Oury Jalloh ist, neben dem des NSU-Terrornetzwerks, einer der zentralen Justizskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte. Und zwar mit allem, was dazugehört: verschwundene Beweismittel, ein abgebrochenes Dokumentationsvideo aus der Zelle, Versetzung, Entmachtung und Einschüchterung von KritikerInnen aus den eigenen Reihen.

Seit 13 Jahren läuft das so. Und 13 Jahre ohne Ergebnis, das bedeutet auch, dass eine Aufklärung nie erwünscht war, dass der vielbeschriebene Korpsgeist bei der Polizei lebendig ist, dass es sehr viele Deutsche analog zum NSU nicht stört, wenn der Tod von Nichtdeutschen oder der Mord an ihnen weder aufgeklärt noch geahndet wird. Erkenntnisse über das, was am 7. Januar 2005 passiert ist, gibt es nur deshalb, weil wenige engagierte Menschen gegen viele Widerstände dafür gekämpft haben. Die Behörden, deren Aufgabe das gewesen wäre, taten sich lediglich durch Verschleppung hervor.

Und während nun andernorts wieder von „Döner-Krieg“ geschrieben wird, weil Rassismus auch nach 745 rassistischen Morden seit 1990 nicht als Tatmotiv gilt, haben in Dessau 5.000 Menschen im Gedenken an Oury Jalloh mit der Forderung nach Aufklärung demonstriert. Vor 13 Jahren waren es 200. Sie galten als Verrückte, die die Polizei verunglimpfen – und auch heute wird von „Leichenfledderei zu Propagandazwecken“ (André Poggenburg, AfD Sachsen-Anhalt) und einer „Hetzjagd auf Polizeibeamte“ (Jens Kolze, CDU Sachsen-Anhalt) gesprochen, wird der gewaltsame Tod zum ­Suizid eines nach dem rassistischen Klischee gefertigten „renitenten“ schwarzen Drogendealers.

Am Sonntag waren es nun ein paar Tausend, die nicht hinnehmen wollen, dass die mutmaßlichen Mörder unentdeckt bleiben. Und auch wenn fast alle um 18 Uhr die Stadt wieder verließen, so haben sie eines erreicht: mehr Rückhalt für jene, die etwas zur Aufklärung beitragen können. Wenn wir uns anstrengen, wird dieser Druck nicht schwinden – bis die Ermittlungen wiederaufgenommen werden.

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