Bremer Brechmittel-Opfer: Inititative fordert Entschädigung

Vor 13 Jahren starb Laye Condé durch Brechmittel-Folter. Eine Gedenk-Initiative sowie Grüne und Linke fordern Entschädigungen.

Eine Teilnehmerin der Gedenkkundgebung 2017 legt Rosen vor einem Portrait Laye Condés nieder.

Eine Teilnehmerin der Gedenkkundgebung 2017 vor einem Portrait Laye Condés Foto: Allegra Schneider

BREMEN taz | Die „Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé“ fordert von Bremen eine Entschädigung für die Opfer von Brechmittelvergaben durch die Polizei in den Jahren 1992 bis 2004. Anlässlich des 13. Todestages des Sierra Leoners Condé erklärte die Initiative, dadurch würde anerkannt, dass in jedem einzelnen Fall den Opfern ein Leid zugefügt worden sei, dass sie bis heute verschmerzen müssten. „Ein solches Zeichen fehlt bis heute“, so Gundula Oerter von der Initiative. Die Fraktion der Linken und der Grünen schlossen sich dieser Forderung an.

Laye Condé war Ende 2004 am Sielwall-Eck von PolizistInnen kontrolliert und des Drogenhandels verdächtigt worden. Wie heute trafen die Kontrollen dort vor allem Menschen mit schwarzer Hautfarbe. In Polizeigewahrsam wurde Condé das Brechmittel Ipecacuanha zwangsweise eingeflößt und literweise Wasser über einen Schlauch in ihn hinein gespült. Die Prozedur wurde fortgesetzt, auch nachdem Condé ein paar zuvor verschluckte Drogen-Kügelchen erbrach, für die er eine Geldstrafe bekommen hätte. Insgesamt dauerte die Brechmittel-Folter fast zwei Stunden. Condé fiel ins Koma und starb am 7. Januar 2005.

Anderthalb Jahre später, im Juli 2006 stufte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Brechmittelvergabe als „unmenschliche und erniedrigende Behandlung“ ein, die gegen das Folterverbot verstoße.

Nach Angaben des Senats wurde in den Jahren 1997 bis 2004 die Brechmittel-Prozedur in Bremen in 820 Fällen durchgeführt. In einem Artikel des Weser Kuriers vom März 1995, der bereits damals über die wiederholte Kritik des Anti-Rassismusbüros an der Prozedur berichtete, erklärte der damalige Polizeipräsident Rolf Lüken zudem, dass zwischen 1992 und 1994 Brechmittel etwa 400 Mal eingesetzt wurden.

Laut Condé-Initiative, die sich seit Jahren um die Aufarbeitung der Brechmittel-Zwangsvergabe bemüht, war Bremen damit von 1992 bis 2004 das Bundesland, wo diese Prozedur am häufigsten angewendet wurde. „Wir gehen davon aus, dass es mehrere Dutzend Betroffene sind, die heute noch in Bremen leben“, sagte Gundula Oerter von der Initiative. „Wie die Familie von Laye Condé sollten sie eine Entschuldigung erhalten. Und damit diese auch ernst gemeint ist, sollte das mit einer Entschädigung einher gehen.“ Die Initiative wisse, dass das juristisch nicht einklagbar sei, sondern „eine politische Entscheidung.“

13 Jahre lang Menschenrechtsverletzungen

Als Referenz für die Höhe verweist Oerter auf das EGMR-Urteil von 2006. Dem Kläger Abu Bakah J. waren damals 10.000 Euro Schmerzensgeld von der Bundesregierung zugesprochen worden. „Wichtig ist aber vor allem die Anerkennung, dass die Brechmittel-Folter noch sehr viel mehr Menschen als Laye Condé betraf“, sagte Oerter. Sie erinnerte an die Aussagen des ehemaligen Bürgermeisters Henning Scherf (SPD), der 2013 als Zeuge vor Gericht davon sprach, der Einsatz von Brechmitteln sei damals „Beweissicherungs-Alltag“ gewesen. „Bremer Institutionen haben 13 Jahre lang Menschenrechtsverletzungen betrieben“, sagte Oerter.

Gundula Oertel, Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé

„Wichtig ist vor allem die Anerkennung, dass die Brechmittel-Folter noch sehr viel mehr Menschen als Laye Condé betraf“

Auch eine Große Anfrage der Grünen bringt eine Entschädigung der Brechmittel-Opfer ins Spiel. Eingereicht wurde sie kurz vor Weihnachten und gefragt wird der Senat nach der „Verantwortung und Konsequenzen“ aus der menschenrechtswidrigen Brechmittelvergabe. Inwieweit es nach Ansicht des Senats angemessen wäre, die Opfer der Brechmittelvergabe in Bremen in Würdigung der EGMR-Entscheidung entsprechend zu entschädigen, wollen die Grünen wissen. Ob die beteiligten Personen noch ermittelt werden könnten, wie viele der Betroffenen noch in Bremen leben und ob der Senat mal versucht hat, sie zu kontaktieren.

Die SPD ist gegen einen Gedenkort

Die Grünen verweisen in ihrer Anfrage auf die Bemühungen des Polizeipräsidenten Lutz Müller, der eine Broschüre zur Aufarbeitung zusammengestellt hat, auf eine Entschuldigung des ehemaligen Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD), und darauf, dass sich auch dessen Vorgänger Scherf mittlerweile von den Vorgängen distanziert. Diesen anerkennungswürdigen Gesten stehe gegenüber, „dass bezüglich einer Aufarbeitung der über ein Jahrzehnt andauernden Brechmittelvergabe als Ganzes bis heute viele Fragen offengeblieben sind.“

Es sei ein grundsätzliches Thema, wie die politische Abwägung zu Stande gekommen sei, die zum Tod eines Menschen geführt hat, sagt der Abgeordnete der Grünen, Matthias Güldner. Auch nachdem in Hamburg Achidi John an Brechmitteln gestorben war, gab es in Bremen eine Mehrheit dafür, die Brechmittel-Vergabe fortzuführen. Es gehe darum, Lehren für zukünftige Entscheidungen zu ziehen. Detailliert fragen die Grünen daher auch nach Entscheidungswegen innerhalb der Verwaltung. „Die Frage ist, ob sich der Senat der Herausforderung des Nachdenkens darüber stellt, wie solche Entscheidungen zu Stande kommen, die ein Menschenleben kosten“, so Güldner.

Wie erfolgreich die Forderung nach Entschädigung und Aufarbeitung sein wird, bleibt abzuwarten. Die Anfrage stellten die Grünen ohne ihren Koalitionspartner SPD, für Anträge gibt es bei diesem Thema keine gemeinsame Linie. Von Seiten der Bremer Sozialdemokraten wird die Brechmittel-Vergabe zwar als Fehler gesehen und Condés Tod als „tragischer Fall“ bedauert, aber für einen Gedenkort gibt es in der SPD-Fraktion keine Mehrheit – weil Condé als mutmaßlicher Dealer unterwegs war. Jahrelang bemühte sich die Initiative um einen Gedenkort, heute steckt die Umsetzung irgendwo zwischen dem Beirat Mitte und der Bürgerschaft fest.

Mobiles Gedenken im Theater Bremen

„Wir warten drauf, dass der Beschluss des Beirats in die Tat umgesetzt wird, einen Gedenkort zu errichten“, sagte Oerter. Vor einem Jahr hatte die Initiative vorläufig einen eigenen, mobilen Gedenkort auf Reisen geschickt. Mittlerweile existiert eine zweite, digitale Version, die seit Oktober 2017 in der Zentralen Stadtbibliothek steht. Eine Gedenktafel und Audioaufnahmen erinnert dabei auf deutsch, englisch und französisch an die Praxis der Brechmittelvergabe und den Tod Condés.

Auch Interviews mit weiteren Betroffenen hat die Initiative dokumentiert, eingesprochen von Schauspielern des Theater Bremens. Im Kulturzentrum Lagerhaus, im Schlachthof und in der unteren Rathaushalle war der Gedenkort schon aufgestellt. Derzeit steht er vor dem Sielwallhaus, nächste Woche zieht er wieder um: in die Kassenräume des Theater Bremens .

Gedenkkundgebung zum 13. Todestag von Laye Condé, Samstag, 6. Januar, 12 Uhr, Sielwall-Eck

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