Die Wahrheit: Der wahre Messias

Die Wahrheit-Weihnachtsgeschichte: Wie einst Kurt Christus in die Welt kam und seinem Bruder Jesus das Leben als Guru schwer machte.

Illustration: Anna Zimmermann

Als es sich begab, dass bald nach Jesu Christi Geburt ein andächtiges Raunen durch die drei Weisen aus dem Morgenland ging, als nicht nur alle Engel und Hirten fromme Gesänge anstimmten, sondern auch alle Schafe, Kamele, Hirtenhunde und Stallkatzen mitsummten, als der große Weihnachtsstern, der doch all diese guten Menschen und Tiere erst zu dem freudigen Ereignis geführt hatte, so hell leuchtete, wie er nur konnte, und schützend und glänzend über dem alten Stall hing, als endlich der kräftige und heilsversprechende Schrei des niedlichen gelockten Neugeborenen aus der Krippe drang und Maria Christus und Josef Christus in Tränen des Glücks ausbrachen, als dann die gütige und fürsorgliche Mutter zuletzt den Säugling Jesus aus dem Stroh hob, um das Kind all den Huldigenden zu zeigen – da warfen sich der Ochse und der Esel einen Blick zu. Einen Blick der nicht mehr und nicht weniger besagte als: „Au weiha!“

Denn die beiden liebenswerten Gesellen hatten eine ungeheuerliche Beobachtung gemacht, und ihnen schwante nichts Gutes: Kurt Christus war genau zweieinhalb Minuten vor Jesus Christus auf die Welt gekommen und hatte schon bei seinem ersten Atemzug ein so ungezogenes Gebaren an den Tag gelegt, dass die Eltern Christi ihn schnell, bevor noch irgendwer etwas davon mitbekommen konnte, hinter einem Heuhaufen versteckten.

Hastig nahmen die frischgebackenen Eltern die Geschenke entgegen und sanken erleichtert ins Stroh, nachdem die Gäste endlich wieder abgerauscht waren. Ihr Zweitgeborener Jesus war also der Messias, wie sie soeben erfahren hatten. Und für den Erstgeborenen Kurt würde man schon auch irgendetwas Tolles finden, sobald sich dieses Brimborium um Jesus mal gelegt hätte.

Ordentliche Tischlerlehre

Die Knaben, die einander wie aus dem Gesicht geschnitten waren, wuchsen heran. Jesus machte eine ordentliche Tischlerlehre, und Kurt trieb sich zum Leidwesen seiner Eltern lieber in zwielichtigen Gassen herum. Ihn zog es zu Hütchenspielern, leichten Mädchen und Zauberkünstlern.

Als die Knaben zu Männern reiften und Jesus die seriöse Laufbahn eines erfolgreichen Gurus einschlug, indem er das Gottesreich verkündigte und mit vielen hübschen Gleichnissen ein verzücktes Publikum anlockte, das bald ganze Tempel und Berge füllte, eröffnete Kurt eine düstere Spelunke namens „Himmelreich“. Das „Himmelreich“ lag in einem anrüchigen und verrufenen Viertel, und es trieben sich nur Spitzbuben, Bösewichte, Schurken, Weihrauch-Dealer und Halunken dort herum.

Während Jesus stets schon früh am Morgen frisch gewaschen den lieben Eltern ein paar Stunden zur Hand ging, um spätestens ab Punkt elf Uhr mit seinen zwölf Aposteln durch das Land ziehen und seine Lehre verkündigen zu können, schlief Kurt immer bis mindestens um ein Uhr mittags – denn er war im „Himmelreich“ selbst sein bester Gast. Auch war er etwas wasserscheu und roch meistens ein bisschen ranzig.

Kurt schlief immer bis mindestens um ein Uhr mittags, auch war er etwas wasserscheu und roch meistens ein bisschen ranzig

Es kam, wie es kommen musste: Das „Himmelreich“ verkam mehr und mehr, und bald konnte Kurt dem grobschlächtigen Vermieter die Pacht nicht mehr bezahlen und er tauchte unter. Was nun? Kein Geld, extrem arbeitsscheu und nix Vernünftiges gelernt! Doch Kurt Christus wäre nicht Kurt Christus gewesen, wenn ihm nicht schon bald eine clevere Idee gekommen wäre: Der Messias hatte schon eine recht ordentliche Anhängerschaft angesammelt, die alles tat, was er wollte. Und Kurt könnte nach einem ausgiebigen Bad und mit einem frischen Hemd gut selbst als Jesus durchgehen …

Schmieriger Saufkumpan

Kurt besprach sich mit Lazarus, einem schmierigen alten Saufkumpanen aus dem „Himmelreich“, und bald hatten die beiden Lumpenhunde einen raffinierten Plan ausgeheckt. Fortan zogen auch sie durch die Lande. Lazarus, der immer etwas früher als Kurt in eines der Dörfer kam, gab stets einen stinkreichen Reisenden, der angeblich auf Brautschau war und behauptete, für das schönste Mädchen des Dorfes fünfzig Ochsen schlachten zu lassen. Kaum waren genug Familien beisammen, griff er sich theatralisch zuerst an die Gurgel und dann ans Herz, er krächzte „Uuuurrrghs!“ und „Krochnorx schrksz“, um dann wie ein Stein zu Boden zu stürzen und sich tot zu stellen …

Wie durch Zufall tauchte kurz danach Kurt auf, stellte sich als Jesus Christus, der Messias, vor und rief: „Lazarus, steh auf, steh auf und gehe!“ Und Lazarus stand tatsächlich auf und ging erst mühevoll, alsbald freudig tänzelnd ein paar Schritte. Na, das war jedes Mal ein Hallo! Danach verkaufte Kurt den Eingeborenen grünlich-gelbe Fläschchen mit angeblich geweihtem Wasser, das Tote wieder lebendig machen könne – und schließlich suchten beide schleunigst das Weite.

Unheiliges Treibe

Das ging ein Weilchen gut, aber es blieb nicht aus, dass der echte Jesus bald von diesem unheiligen Treiben seines Bruders Wind bekam. Zunächst zürnte er, doch dann kam ihm eine Idee: Da er durch seine nassforschen Predigten gerade selbst ein bisschen mit dem Gesetz auf Kriegsfuß stand, wollte er sich nun seinerseits die Ähnlichkeit mit seinem Zwillingsbruder zu Nutzen machen. Seine zwölf Apostel fanden schnell heraus, wo sich Kurt und Lazarus gerade herumtrieben. Jesus schickte sofort seinen Liebling Judas zu den Römern. Judas sollte den Römern erzählen, er wolle sie zu Jesus führen. Doch stattdessen führte er die Häscher zum Zwilling Kurt. Und der Plan ging auf. So kam es, dass nicht Jesus Christus, sondern Kurt Christus ans Kreuz genagelt wurde. Lazarus indessen wurde später von einem aufgebrachten Mob für seine Betrügereien am höchsten Baum von Judäa aufgeknüpft.

Jesus Christus aber ließ sich drei Tage nach dem grausamen Tod seines Bruders hier und da noch gezielt ein paar Mal blicken, um die Legende der Auferstehung anzuschieben. Bis heute lebt er ein beschauliches Leben mit vielen Kindlein und seiner netten Frau Maria Magdalena im Untergrund.

Wenn aber so mancher glaubt, dass der Messias eines Tages zurückkehren wird, um wieder auf Erden zu wandeln, dann wird er eine große Enttäuschung erfahren. Für dieses stressige Dasein ist der saubere Jesus nämlich im Gegensatz zu seinem rauborstigen Bruder Kurt einfach nicht geschaffen.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.