Wetter immer extremer: Retten, was zu retten ist

Stürme und Überschwemmungen werden im Norden häufiger – so wie im Süden die Waldbrände. Der EU-Kommissar für Katastrophenschutz reist an, um für Zusammenarbeit zu werben.

Schon vergessen? Pittoresk stürmischer Herbsthimmel dank Sturmtief „Xavier“. Foto: dpa

HAMBURG taz | Wenn EU Krisenschutz-Kommissar Christos Stylianides ab Montag Hamburg, Niedersachsen und Bremen bereist, tobt im Hintergrund bereits ein Streit: Stylianides will den Katastrophenschutzmechanismus an die wachsenden Herausforderungen infolge des Klimawandels anpassen. Das ist das Gebot der Stunde. Der Zyprer schlägt im taz-Interview „eine Stärkung des europäischen Solidarverbands auch im deutschen Interesse“ vor. Sein Plan: eigene Helfer-Einheiten, eine Art europäisches Technisches Hilfswerk aufbauen, Ausrüstung inbegriffen. Zudem soll die EU künftig die Kosten für Einsätze unter ihrer Regie komplett übernehmen.

Das Echo aus Frankreich und Italien darauf war wohlwollend, teils begeistert. In Deutschland hat der Vorschlag keine Freunde gefunden. Blanken Hass und pure Europafeindschaft hat er im November in Hessen und Bayern ausgelöst. Dort sieht man noch nicht einmal Gesprächsbedarf. So befürchtet CSU-Innenminister Joachim Herrmann, dass damit die „bewährten Strukturen unterwandert“ würden – als wäre Europa eine feindliche Macht, die Bayerns Feuerwehr infiltriert. Und im schrillen Tonfall eines gewöhnlichen rechtsnationalistischen Internet-Trolls hat ein Herr Peter Beuth aus Wiesbaden gepostet, es handele sich bei den Vorschlägen um „Katastrophenideen“.

Trolle in Verantwortung

„Don’t feed the troll“, heißt es ja immer, bloß bekleidet der in Hessen das Amt eines Innenministers. Es kann daher Auswirkungen haben, wenn der CDU-Mann von EU-Einheiten albträumt, „die weit weg von den Katastrophenlagen ungelenk parallel zu den eingespielten Pfaden des Katastrophenschutzes irrlichtern“ würden. Unsinnige Pläne seien das, die es zu stoppen gelte, denn, so Beuth, „wir haben in Deutschland ein effizientes und gut funktionierendes Katastrophenschutzsystem.“

Vor allem hat Deutschland geringere Risiken als beispielsweise Italien, wo Erdbeben und Vulkanausbrüche sich häufen. Und: Der Klimawandel macht sich in subtropischen Regionen heftiger bemerkbar. Doch immerhin, an der Küste sind Sturmfluten ein Begriff. Auch hat man 2002, 2006 und 2013 an der Elbe Rekordhochwasser erlebt. Und noch ist nicht vergessen, dass Anfang Oktober nach Orkan „Xavier“ Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Brandenburg plus die drei Stadtstaaten fast eine Woche lang vom Zugverkehr abgekoppelt waren, und 20 Tage später der nächste Sturm die Hauptverbindungen noch einmal still gelegt hatte.

Freilich, von den unberechenbaren Niederschlägen, die im Herbst ganze Dörfer in Griechenland weggespült haben, von der tödlichen Dürre in Italien ist man hier weit weg. Und sehr beiläufig wurde hier die dritte Waldbrandwelle Portugals registriert: Mitte Oktober, lange nach dem Ende der bisher üblichen Waldbrandsaison, starben dort noch einmal 40 Menschen im Feuer, auch weil die über den EU-Katastrophenmechanismus angeforderte Luftunterstützung fast völlig ausfiel.

Eingeschränkte Solidarität

Die europäische Solidarität funktioniert nur eingeschränkt, auch weil Deutschland die Waldbrandbekämpfung in diesem Jahr fein den Mittelmeeranrainern überlassen hat: Italien, Spanien, Frankreich haben zu den drei portugiesischen Waldbrand-Einsätzen dieses Jahres über den EU-Mechanismus 14 Flugzeuge, 56 Fahrzeuge und 298 Retter entstand und darüber hinaus noch bilateral Direkthilfe gestellt. Hessen hat stolze 113 Schutzanzüge nach Coimbra geschickt. Obrigado, Alemanha!

Weniger zurückhaltend ist Deutschland indes, wenn es darum geht, sich aus dem EU-Solidaritätsfonds Katastrophenschäden erstatten zu lassen: Seit dessen Gründung 2002 wurden aus dem europaweit rund dreieinhalb Milliarden Euro ausgezahlt – mehr als eine an Deutschland, zumal an von Stürmen und Elbfluten betroffene Bundesländer.

In Niedersachsen meint man dennoch, „in der nicht polizeilichen Gefahrenabwehr ein hohes Niveau“ zu haben, so das Innenministerium. Die Pläne aus Brüssel seien „kritisch zu bewerten“: Eine verbindlichere Organisation europäischer Hilfen „würde nur zu Lückenschlüssen in anderen Mitgliedsstaaten führen“, die ihre eigenen „Bemühungen für die Notfallplanung unterlassen“ könnten. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Niedersachsen sein – wie auch immer ermitteltes – hohes Niveau nur dank Einsatzkräften halten kann, die gnadenlos Überstunden schieben: 2016 waren es 88 pro Kopf in Wolfsburg, die Braunschweiger sind in Summe auf insgesamt fast 20.000 gekommen.

Wenig Sympathie

Auch Schleswig-Holsteins CDU-Innenminister Hans-Joachim Grote hegt wenig Sympathie für die Pläne des EU-Kommissars. Der EU-Vertrag sehe in diesem Bereich nur die „Unterstützung und Ergänzung der Tätigkeit der Mitgliedstaaten“ vor: „Der rechtliche Rahmen für eigene EU-Katastrophenschutzeinheiten ist damit nicht gegeben“, so Grotes Auffassung.

Ein wenig wirkt das aber auch so, als wäre man in Kiel verschnupft über die Neubewertung. Ende August hatte es ja tatsächlich aus Brüssel geheißen, das Katastrophenschutzverfahren funktioniere. Und Mitte Oktober sollte das nicht mehr gelten? Nur wegen Portugal? „Das Innenministerium bleibt bei der oben erwähnten Einschätzung“, heißt es aus dem Düsternbrooker Weg.

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