Studie zu finanziellen Reserven: Die wirtschaftliche Freiheit

Krankheit muss man sich leisten können. Die obersten 10 Prozent können einen Ausfall zwölf Jahre überbrücken. Die untersten haben keine Reserven.

Eine DDR-Platte

Generell sind die Vermögen im Westen wesentlich höher als im Osten, vor allem durch Immobilienbesitz Foto: dpa

BERLIN taz | Wohl dem, der ein sattes finanzielles Polster hat. Denn dies ermöglicht den Betreffenden, Einkommensausfälle, etwa durch Erwerbslosigkeit oder Krankheit, für längere Zeit kompensieren zu können. Dagegen müssen Ärmere ihr Ausgaben entweder sofort oder nach wenigen Wochen drastisch senken. Dieser offensichtliche Effekt der in Deutschland extrem ungleichen Vermögensverteilung war für das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der zum DGB gehörenden Hans-Böckler-Stiftung Anlass, den Umfang der finanziellen Sicherheitsreserven in den verschiedenen Bevölkerungsteilen zu untersuchen.

Die Wissenschaftler berechneten, wie lange das Vermögen eines Haushalts ausreicht, wenn dieser trotz eines Komplettausfalls aller Einkünfte sein Ausgabenniveau beibehält. In den beiden unteren Dezilen, den ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung also, existiert demnach überhaupt kein finanzieller Puffer. Im dritten Dezil beträgt er drei Monate, im fünften wird dann der Medianwert von 23 Monaten erreicht. Danach geht es zunehmend steiler bergauf. Die oberen 10 Prozent könnten ihren Lebensstandard im Durchschnitt immerhin zwölf Jahre und neun Monate halten, die oberen 5 Prozent sogar 21 Jahre.

Signifikante Unterschiede gibt es allerdings zwischen den verschiedenen Haushaltstypen. Singles und Alleinerziehende sind deutlich schlechter abgesichert als Paare mit und ohne Kinder. Und generell sind die Vermögen im Westen wesentlich höher als im Osten, vor allem durch Immobilienbesitz.

Für WSI-Direktorin Anke Hassel, die die Studie am Dienstag in Berlin vorstellte, zeigen die Ergebnisse die „enormen gesellschaftlichen Dimensionen der ohnehin ungerechten Vermögensverteilung“. Vermögen bedeute Freiheit und eröffne „Wahlmöglichkeiten in der Lebensgestaltung“, die großen Teilen der Bevölkerung vorenthalten würden.

Immobilien fürs Alter fördern?

Als Konsequenz fordert das WSI neue Formen der Vermögensbildung für den „unteren Mittelstand“, also jene 30 Prozent, die im dritten bis fünften Dezil der Einkommens- und Vermögenspyramide angesiedelt sind. Im Fokus steht dabei die gezielte Förderung des Erwerbs von Wohneigentum durch zinsgünstige Darlehen, Zuschüsse und Steuer­erleichterungen.

Dies, so Hassel, entspreche auch „dem Wunsch vieler Familien nach einem eigenen Haus oder einer eigenen Wohnung“. Immobilienbesitz biete zudem ein hohes Maß an Sicherheit, sowohl für die Altersvorsorge als auch für die Lebensgestaltung, die besonders in Ballungsräumen durch explodierende Mieten zunehmend bedroht sei. Daher sei eine entsprechende Förderpolitik auch ein gutes Instrument gegen die gerade in der unteren Mittelschicht weit verbreiteten Abstiegsängste.

Den Einwand, dass auf diese Weise auch die sich bereits abzeichnende Spekulationsblase auf dem deutschen Immobilienmarkt weiter befeuert würde, ließ Hassel nicht gelten. Schließlich sei die Wohneigentumsquote im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch „extrem gering“. Die WSI-Direktorin räumte allerdings ein, dass die als arm oder armutsgefährdet geltenden Menschen in den beiden unteren Dezilen mit derartigen Programmen nicht erreicht würden, da sie nicht über die notwendigen Ressourcen für einen Immobilienkauf verfügten. Daher müssten sozialer Wohnungsbau und Mietpreisbegrenzung im Bestand weiterhin hohe Priorität haben, wie auch die „armutsfeste Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme“.

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