Rechtspopulismus und die Kirche: Die Reformatorin aus der Lausitz

Im Dorf der sorbischen Pfarrerin Jadwiga Mahling haben die Rechten triumphiert. Was soll da aus ihrer Kirche werden?

EIn NPD-Sticker klebt auf einer Laterne. Dahinter liegt eine Kirche

Der wuchtige Lutherschädel ist altbekannt, das wirre Lutherwort hingegen neu Foto: Rolf Zöllner

„Ich würde NPD wählen“, sagt Martin Luther mit strenger Miene. So steht es an einem Laternenpfahl. Ein Trecker donnert vorbei. Laub wirbelt auf. Der wuchtige Lutherschädel ist altbekannt, das wirre Lutherwort hingegen neu. Auch in Schleife hat die NPD den Jubilar für ihre Propaganda eingespannt. Einer der Aufkleber pappt wie Blendwerk vor der Kirche. Irgendjemand hat versucht, ihn abzureißen. Vergeblich. „Merkel wählen, Leichen zählen!“, rief es schon im Nachbardorf an den Bushaltestellen. Und damit es auch der letzte Tor begreift, wächst aus dem U von der CDU ein Minarett wie ein Horn. Gerade so, als würde die Kirche mit ihrem gedrungenen Turm demnächst in eine Moschee verhext.

Dabei predigt Sonntag für Sonntag Jadwiga Mahling dort. Ihr Talar hängt unter einer Schutzhülle im Pfarrhaus. Die Pastorin kennt die Plakate. „Immer diese Negativ-Aussagen: Der Islam gehört nicht zu Deutschland! Merkel muss weg!“, sagt sie und stöhnt. „So was ist sehr anstrengend.“ Wenn man diese Energie doch woanders hinlenken könnte.

Jadwiga Mahling, in Jeans und T-Shirt, hat im Amtszimmer, eingerichtet karg wie eine Mönchszelle, eine Kerze entzündet. Vor der Bundestagswahl gab es einen regelrechten Kampf um die Plakate, erzählt sie. Waren sie am Abend abgerissen, klebten am nächsten Morgen wieder neue an den Litfaßsäulen. So ging das hin und her. Unwidersprochen hingen sie nicht. Ihre Wirkung haben sie trotzdem entfaltet.

Gut 36 Prozent haben in Schleife für die AfD gestimmt. Dazu kommen 1,5 Prozent für die NPD, wie Mahling bemerkt. Mit einem hohen AfD-Anteil habe sie gerechnet, gesteht sie. „Aber so hoch“, sie macht eine Pause, „das hat mich schon geschockt.“ Fassungslos wirkt sie nicht, mitgenommen schon. „Dass Hass und Hetze und die ganze Sündenbockgeschichte wieder haus- und hoffähig geworden sind in der Region“, sie sucht nach Worten, legt dabei die Hände über den Kopf wie zum Schutz, „das macht wütend und es macht traurig.“

Jadwiga Mahling, die erste sorbische Pfarrerin

Jadwiga Mahling ist keine Zugereiste, es ist ihre Heimat. Sei kennt die Oberlausitz mit ihren Hügeln, den Barockkirchen, Marktplätzen, Brunnen, überhaupt die ganze böhmische Pracht. Jadwiga Mahling wurde 1983 in Bautzen, der „Hauptstadt der Oberlausitz“, in einer sorbischen Familie geboren.

An der Wand hängt der Stammbaum, ein schmuckloses Blatt unter Glas. Bis 1804 reichen die Ahnen zurück. Die Familie schreibt sich auf Deutsch Mahling, auf Sorbisch Malink. Seit acht Generationen hat sie Pfarrer hervorgebracht oder Farer, wie es auf Sorbisch heißt. Jadwiga Mahling aber ist die erste Frau in diesem Beruf – nicht nur in der Familie, sondern sie ist die erste sorbische Pfarrerin überhaupt. In Schleife, Sorbisch Slepo, ihrer ersten Stelle, ist sie seit drei Jahren. Sie wurde nicht von der Kirchenleitung geschickt, es war ihr Wunsch, vielleicht sogar ihr Traum.

Den lässt man sich nicht einfach nehmen, weil ringsum missmutige Menschen abgeschmackte Plakate kleben. Die Zahlen waren am Wahlabend kaum raus, da hat Mahling den Pastorinnen und Pastoren der Umgegend mit einer Deutlichkeit angeschrieben, als hätte sie der Heilige Geist inspiriert. Was, fragte Mahling, wird nun mit den Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, viele von ihnen Kirchenleute? Werden sie angefeindet? Und werden sich die AfD-Wähler abwenden, aus der Kirche austreten? Denn darüber macht sich Jadwiga Mahling keine Illusionen – diese Partei haben auch viele Christen gewählt.

Oktoberfest mit Dirndl von Aldi

Warum? Ein Pfarrer aus der Oberlausitz, darauf angesprochen, dass in seinem Dorf 40 Prozent für die AfD gestimmt haben, winkte ab. Die Leute redeten mit ihm nicht darüber. Funkstille unterm Kirchturm. Hat Jadwiga Mahling eine Erklärung? „Drei Dinge haben über Jahrhunderte diese Region geprägt“, sagt sie. „Das Sorbische, die Landwirtschaft und die Kirche.“ Das Sorbische ist seit Jahrzehnten auf dem Rückzug, die bäuerliche Landwirtschaft hat die Kollektivierung der DDR nicht überlebt und die Kirchen? 25 Prozent, etwa 1.700 Einwohner, sind in Schleife und den sieben Dörfern ringsum evangelisch. Ganz ordentlich für ostdeutsche Verhältnisse, aber längst keine Volkskirche mehr.

Dazu kommen die Braunkohlentagebaue, die sich tief ins Land gefressen haben. Im Süden von Schleife dröhnen Tag und Nacht die Bagger. Nach den alten Plänen sollten mehrere Dörfer abgerissen werden und auch ein Teil von Schleife. In den Jahren der Ungewissheit haben die Menschen ihre Dörfer, ihre Höfe, ihren Besitz, regelrecht hassen gelernt, hat Mahling beobachtet. Seit 2017 ist klar, dass nur noch ein Ort weichen muss.

Traditionsverlust ist die Folge. Ein Beispiel? Im Nachbardorf fand vor Kurzem ein „Oktoberfest“ statt, erzählt Mahling. „Da haben sich Frauen Dirndl angezogen und die Leute von Bayern geschwärmt.“ Mahling ist erschüttert. „Warum sind wir nicht stolz auf unsere eigene Kultur?“ Warum kauft man sich bei Aldi Lederhosen und Dirndl, wo es in Schleife eine ganz eigene sorbische Tracht gibt? Und dazu jede Menge eigener Feste? Nicht, dass Mahling statt der bayerischen Folklore eine sorbische vorschwebte. „Ich will das Selbstbewusstsein stärken“, sagt sie. „Für viele Einheimische ist das hier die letzte Ecke Deutschlands. Dabei haben wir so unendlich viel.“ Die Zweisprachigkeit, dazu die slawische Welt vor der Tür. „Es müsste nur eine Rückbesinnung mit gleichzeitiger Erneuerung geben.“

Mit Gnade und Barmherzigkeit gegen Geiz und Neid
Pfarrerin Jadwiga Mahling vor einen Christuskreuz

Kämpferisch: Jadwiga Mahling in ihrer Dorfkirche in Schleife, Oberlausitz Foto: Rolf Zöllner

Mahling redet schnell, konzentriert, es ist wie eine Stegreifrede. Ein Gedanke fügt sich an den anderen. Es müssen ureigenste kirchliche Themen aufs Tapet gehoben werden, fordert sie. Es geht um den Menschen, um das Ende von Fremdbestimmung, es geht um Selbstvertrauen und natürlich um Gott. „Wenn all die großen Begriffe wie Gnade und Barmherzigkeit mit Inhalten gefüllt werden, dann ist das der hoffnungsvollste Gegenentwurf zu Populisten irgendwelcher Parteien.“ Kurzum – die AfD hätte keine Chance. Was ist das anderes als Reformation?

„Ja, viele haben AfD gewählt“, sagt Gabriele Gojowczyk mit ruhiger Stimme. Die Vorsitzende des Gemeindekirchenrates redet überhaupt sehr ruhig. Sie hat ihr Fahrrad ans Pfarrhaus gelehnt. Auch sie hat das Wahlergebnis kommen sehen. „Wir haben alle CDU nach der Wende gewählt“, erinnert sie sich. Die Stimmung habe sich aber gedreht. „Es ist nicht alles richtig, was Frau Merkel macht.“ Handwerkern, die immer weniger Aufträge haben, würden immer mehr Abgaben aufgebrummt. Die Zahlungsmoral liege am Boden. Handwerker sehen ihr Geld viel zu oft nicht wieder. „Und wie die sich schinden müssen!“

Gabriele Gojowczyk, Anfang fünfzig, arbeitet als Röntgenassistentin. Der Staat stülpe den Menschen so vieles über. Irgendwann habe das Folgen. „Wir haben uns in der DDR auch nicht alles gefallen lassen“, fährt sie fort. Wen soll man da noch wählen? „Die Linke kann man nicht wählen“, denkt sie laut nach. „Die Grünen erst recht nicht.“ Viel Auswahl bleibt da nicht.

Chefin des Kirchenrats: Gibt's bald kein Deutschland mehr?

Gabriele Gojowczyk zögert. Es ist, als ob sie etwas erklären will. Dass ihr Glaube viel höher steht als jede Partei. Auch höher als die Kirche, zu der sie gehört. Dreißig Jahre ist sie im Gemeindekirchenrat, das ist ihr Leben. „Eigentlich müssen wir uns täglich reformieren“, beginnt sie. „Aber vielleicht reformieren wir uns so, dass sich die Kirche zerstört?“ Wie meint sie das? „Was mich so stört“, sagt sie vorsichtig, „dass die Kirche die Homosexuellen so hofiert.“ In Berlin haben im Juli Kirchenleute auf dem Christopher Street Day Kondome verteilt und für die „Ehe für alle“ geworben. „Müssen wir das mitmachen?“ Und sie ist offenbar nicht die Einzige, die so denkt. Ich trete aus der Kirche aus – ja, solche Stimmen habe sie schon vernommen.

Gabriele Gojowczyk kann so viel Parteinahme nicht verstehen. „Es gibt doch immer zwei Meinungen, beide muss man hören. Bei der Erweiterung des Tagebaus ist das doch auch nicht anders“, gibt sie zu bedenken. „Die einen wollen eben in ihrem Dorf bleiben, die anderen nicht.“ Soll die Kirche da die Richterin sein? Sollte sie nicht vielmehr vermitteln? Es scheint in diesem Moment ein bisschen zu viel Reformation für Gabriele Gojowczyk. „Es ist eine sehr aufregende Zeit“, sagt sie bestimmt. Sie überlegt. Vielleicht war sie zu offenherzig? Dann gibt sie sich einen Ruck. „Wir wissen nicht, wohin Gott uns führen wird. Vielleicht gibt es wirklich kein Deutschland mehr?“ Aus Gabriele Gojowczyk spricht allerhand Sorge und allerhand Gottvertrauen. Ihr Gottvertrauen aber ist deutlich größer.

„Pomhaj Boh!“, steht am Eingang der Schleifer Kirche, auf Deutsch: „Gott hilf!“ Darunter: „Herzlich Willkommen!“ Jadwiga Mahling, die eben noch im Pfarrhof mit Erstklässlern Insektenhotels gebaut hat, führt hinein. Ein Schmuckstück von Dorfkirche – Kanzel mit Schnitzwerk, freigelegte Fresken, blitzende Leuchter, Mikrofone, schneeweiße Wände, alles wie geputzt. Ein geradezu fröhlicher Bau, nur der Gekreuzigte überm Altar, lebensgroß, leidet schwer. Das drückt. Liegen deswegen die Polster auf den Altarstufen? Nicht doch. Bei Abendmahl gehen viele auf die Knie, erklärt Mahling. Das hat hier Tradition. Das Abendmahl, hier wird es eher als Buße zelebriert denn als Gemeinschaftsmahl. Bis jetzt.

„Da können Sie sich vorstellen, was das für eine Aufregung ist, wenn hier am 31. Oktober das Abendmahl für Kinder eingeführt wird“, sagt Mahling. Durch die Butzenscheiben dringt Sonnenlicht. Nicht, dass sie den Kniefall abschaffen will, er dürfte aber seinen Ernst verlieren. Denn in Zukunft machen Kinder beim Abendmahl mit, nicht als Statisten, sondern als vollwertige Teilnehmer mit Brot und Traubensaft. Und sicher ohne Knien. Bisher blieb ihnen das bis zur Konfirmation verwehrt. Mit dem Reformationstag ist damit Schluss. Es ist wie eine Zäsur. Gabriele Gojowczyk übrigens, die anfangs Bedenken hatte, steht jetzt hinter der Neuerung.

Mahling: „Man muss den Menschen etwas zumuten“

Mahling stützt sich mit den Händen am Altarsims ab, hüpft hoch und bläst im Sprung die Kerzen aus. Man muss den Menschen hier etwas zumuten. Es ist wie ein Anstoß, wie ein Stück Reformation. Die Welt geht nicht unter, aber sie verändert sich. So wie sie hier etwa als erste sorbische Pastorin nach Schleife gekommen ist mit zwei Kindern und Ehemann Simon, der den Familiennamen seiner Frau angenommen hat. Auch das ist für manchen in der Oberlausitz sicher etwas gewöhnungsbedürftig.

„Für viele Einheimische ist das hier die letzte Ecke Deutschlands. Dabei haben wir so unendlich viel“

Für die katholischen Sorben, sie leben in der Gegend von Bautzen, ist Mahling auch nach drei Jahren noch eine Attraktion. „Manchmal kommen Rentnerfahrten, die sich zum ersten Mal eine sorbische Pfarrerin anschauen wollen“, berichtet sie. „Da können sie mich dann alles fragen, was sie eine evangelische Pastorin schon immer mal fragen wollten.“ So wegen Kindererziehung, Arbeit und Wochenenden. Sie lacht.

Bei den katholischen Sorben, sie galten eigentlich als vollkommen immun gegenüber deutschnationalen Tönen, war das AfD-Ergebnis übrigens mit rund 20 Prozent auch noch überdurchschnittlich. Jadwiga Mahling ist selbstverständlich froh, dass die meisten Sorben, etwa 80 Prozent, vor 500 Jahren evangelisch geworden sind. Die Reformation war auch aus einem anderen Grund ein Segen für das kleine Volk. Luthers Grundsatz, dass jeder in seiner Muttersprache die Glaubensschriften lesen soll, gab auch der sorbischen Sprache einen enormen Aufschwung. Heute gehört ein Teil der protestantischen Sorben zur evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsen, der andere zur Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, die über Berlin und Brandenburg hinaus tief in das östliche Sachsen ausgreift, wo Schleife liegt.

Die Kirche ist jung, sie entstand 2004, als sich die weitaus größere Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg mit dem kleinen Gebiet der schlesischen Kirche diesseits der Neiße zusammenschloss. Es gab heftigen Widerstand in der Oberlausitz. Für viele war die große Kirche mit dem Sündenbabel Berlin in der Mitte eine Anfechtung. Für Jadwiga Mahling ist es heute ein Segen. Berlin mit all seiner Andersartigkeit, mit seinen Problemen und mit seinen Ideen strahlt bis hierher. „Das bringt so einen Hauch von Großstadt.“

Aber nicht nur das. Das Berliner Kirchenrecht ist, verglichen mit dem der sächsischen Kirche, deutlich liberaler. Trauungen für gleichgeschlechtliche Paare? In der sächsischen Kirche undenkbar. In ihrer Kirche sind sie Praxis, zumindest in Berlin. Bald auch in der Oberlausitz. In einer Nachbargemeinde hat sich für das nächste Jahr ein Paar angemeldet. Jadwiga Mahling klingt stolz, als sie das erzählt. Sie war zwölf Jahre weg aus der Oberlausitz – Heidelberg, Tübingen, Leipzig, ein Jahr Spanien, ein Jahr Libanon. Sie hat Syrien bereist, „vor dem Krieg“, ein Praktikum in Brasilien gemacht. Und sie ist, eine Ausnahme in ihrer Generation, wieder zurück. Warum? „Meine Wurzeln habe ich in der Lausitz.“

Wenn eine den Menschen hier wieder Vertrauen einflößen kann, dann Jadwiga Mahling. Als Zeichen für diese Zuversicht hat Mahling, die heute so alt ist wie Martin Luther beim Thesenanschlag, eine Lutherlinde im Pfarrhof pflanzen lassen. Noch ein mickriges Ding, die Blätter klein, die Äste dünn wie Streichholz, und Schatten wirft der Baum noch lange nicht. Doch das ist nicht wichtig. Wichtig ist etwas ganz anderes: Er hat so viel Luft nach oben.

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