Alternde Punks: Iro und Gehhilfe

Wie ist das, wenn man alt wird, aber einer Jugendkultur angehört? Aus dem Leben von Alfred Steinau, der als Punk bei einer Versicherung arbeitet.

Der Punk Alfred Steinau verrenkt sich vor der Kamera

Alfred „Alfi“ Steinau, 59 Jahre alt Foto: Quirin Leppert

MÜNCHEN taz | Zuerst ist da dieses Lachen, das klingt wie ein vorbeifahrender Güterzug. Es beginnt mit einem tiefen Grollen und wird immer heller, während es vorbeirauscht. Und der Zug hält nur selten an. Alfred „Alfi“ Steinau ist ein großer Mann, einer, vor dem man Angst haben kann. Seine Haare sind grau meliert und strähnig zurückgekämmt, um seine Augen hüpfen Lachfalten. Steinau ist 59 Jahre alt und Punk. Wobei man ihm das Punksein nicht ansieht. Er trägt ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „I hate your Band“, weite Jeans und Birkenstock-Sandalen.

Steinau arbeitet beim Versicherungskonzern Allianz. „Eigentlich ist es wurscht, wo man ist, Konzern ist Konzern, die nehmen sich nichts.“ Sein Büro teilt er sich mit einem Arbeitskollegen. 14 Quadratmeter für zwei Personen. „Der deutschen Biosau gesteht man mehr Platz zu.“ Hinter ihm hängt ein Plakat. Zu sehen ist ein Mann mit Elvis-Tolle, der sich zufrieden die sowjetrote Geldbörse einsteckt. Auf Russisch steht darauf: Wir werden die Steuern abschaffen, wir werden die Arbeitszeit verkürzen, das Leben ist schön, das Leben ist wirklich schön.

Ein 59-jähriger Punk, der bei einer Versicherung arbeitet, wie passt das zusammen?

Steinaus Leben als Punk beginnt in einer Sommernacht 1962 – da ist er vier Jahre alt. Weil sich ein Anwohner im Münchner Künstlerviertel Schwabing über die Lautstärke beschwert, werden fünf Straßenmusiker von Polizisten abgeführt, kurz darauf eskaliert die Gewalt. Vier Nächte lang prügeln Polizisten und Jugendliche auf-einander ein. Rund um die Leo­poldstraße werden Barrikaden errichtet, Autos demoliert, treiben berittene Polizisten die Menschen ausein­ander. Unter den Augen des kleinen Alfred Steinau, der gebannt das Treiben vom Fenster aus verfolgt, werden die „Schwabinger Krawalle“ zu einem ersten Aufschrei einer wütenden Generation. In jenen Tagen des Krawalls wird die Entfremdung zwischen Alt und Jung offenbar, sechs Jahre vor 1968.

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Den kleinen Jungen, der da am Fenster steht, fasziniert das Chaos, das sich auf der Straße unter ihm ausbreitet. Das Klirren von zersplittertem Glas, das Klappern der Hufe der Polizeipferde. Die pulsierende Masse von Menschen, die sich zum Angriff zusammenrottet und auf der Flucht auseinanderstrebt.

Punk ist alt geworden

Später wird er selbst zum Gejagten. „Als Punk muss man rennen können“, sagt Steinau. Er rennt vor der Polizei davon, flüchtet vor Nazis, die damals noch nicht Neo- waren, und flieht vor Rockern, mit deren Freundinnen er Blicke ausgetauscht hat. Einmal brechen sie ihm das Handgelenk.

Steinau steht jetzt am Fenster seiner Eigentumswohnung in einem jener Häuser, von denen es rund um den Münchner Olympiapark so viele gibt. Viel Beton und Funktionalität – nicht hässlich, aber auch nicht schön. Von der Küche blickt er in einen kleinen Garten, der in den Innenhof übergeht. Eine Wohnanlage, die aus der Zeit stammt, als der Punk langsam nach Deutschland sickerte. Als Mitte der 70er Jahre die Sex Pistols den Punk mit ihrem Song „God Save the Queen“ an die Spitze der britischen Charts katapultierten.

Neben Steinau steht ein Gitarrenverstärker, über den er Musik hört. Erst vor drei Tagen ist er vom Punk-Festival aus Blackpool im Norden Englands zurückgekommen. Einmal im Jahr wimmelt es dort von Punks aus aller Welt. Als ein Musiker fragt, wie viele denn schon über fünfzig seien, hätten mehr als die Hälfte die Hand gehoben. Der ein oder andere trägt Irokesen und läuft an einer Gehhilfe.

Punk ist alt geworden, obwohl seine Protagonisten nie alt werden wollten. Punk, das war eine Jugendkultur, die eine Zukunft negierte und dem individualistischen Exzess im Hier und Jetzt frönte – und damit auch Wegbereiter war für den Hedonismus der 80er Jahre.

Der Punk Alfred Steinau ballt die Fäuste in Richtung der Kamera

„Rebellion muss ja nicht immer heißen, ich haue jemand eine aufs Maul. Es geht darum, wie geht’s mir am besten“ Foto: Quirin Leppert

Als er zum Punk kommt, ist Steinau jung – 16 vielleicht. Diesen einen Moment, in dem sich ein Leben komplett ändert, den gebe es nicht. Der junge Steinau hört Glam-Rock, eine Musik, die dem Punk nicht ganz fern ist: Männer, die sich in hautenge Glitzerfummel zwängen und mit ihrer Weiblichkeit kokettieren. Als seine Lieblingsband Slade ihre Welttournee beginnt, lachen alle über die Plateauschuhe des Gitarristen. Als sie die Erde einmal umrundet haben und in ihre Heimat Wolverhampton zurückkommen, sind die Stiefel mit den riesigen Absätzen ausverkauft – und Slade weltberühmt.

Später hat man sich angespuckt

Was ihn am Punk fasziniert? „Aus der eigenen Haut schlüpfen. Rebellion muss ja nicht immer heißen, ich haue jemand eine aufs Maul. Es geht darum, wie geht’s mir am besten.“

Als Steinau eines Abends im Münchner Glockenbachviertel den Schwulenclub Mandis betritt, hat er die Haare zu schwarzen Stacheln aufgestellt, ein junger Bursche mit schmalem, blassem Gesicht. Auf den Plüschbänken fläzen Menschen, die so aussehen wie er. Als er ihnen die Hand entgegenstreckt, greift niemand zu. „Später hat man sich auf Konzerten angespuckt.“ Aus einem Abend werden Dutzende Abende. Einmal in der Woche findet im Mandis der erste Punkabend in München statt. Zu Beginn kommen nur wenige, über die Wochen werden es immer mehr. Als jemand das Klo demoliert, will der Wirt die nächste Veranstaltung absagen. Die Aufregung ist groß. Doch dann meldet sich einer: Er habe dem Wirt gerade einen geblasen, der Abend findet weiterhin statt.

Der Punk Alfred Steinau posiert mit einem Becher Buttermilch

Buttermilch macht alte Punks munter Foto: Quirin Leppert

Steinau spricht ein sanftes Münchnerisch, wie man es kaum mehr hört. Die Stimme liegt tief in der Brust und rollt weich nach oben. Wenn er erzählt, schwingt ein München mit, wie es einmal gewesen sein muss. Als die Fronten klarer waren: hier die Rocker, dort die Punks.

Nach seinem Realschulabschluss muss Steinau zum Arbeitsamt. Was er werden möchte, fragt ihn der Berufsberater. Steinau antwortet: Hausfrau – und bekommt eine Lehrstelle als Kaufmann. „Ist ja nicht so weit auseinander.“ Die Lehre macht er bei einer Versicherung.

Wenn er Kontakt mit Kunden hat, trägt er Anzug. „Man unterschreibt einen Arbeitsvertrag, in dem steht, was man nicht machen darf. Aber da steht ja vieles auch nicht drin.“ Als die Direktive ergeht, es sei verboten, Micky-Maus-Krawatten zu tragen, schickt Steinau einen Kollegen los, damit er Fred-Feuerstein-Krawatten besorgt. Mit seinem Job ist er in seiner Punker-Clique keine Ausnahme. „Vom Bürohengst bis zur ehemaligen Prostituierten“ sind da alle vertreten.

Von der Versicherung zum Bademeister und zurück

Das Einkommen verschafft Steinau Freiheit. 1980, mit 22 Jahren, veröffentlicht er einen Punk-Sampler „Beliebte Melodien aus deutschem Süden“. Drei Bands kommen drauf, Steinau nimmt sie in ihrem Proberaum auf, das Cover macht ein Freund – lauter Käfer mit zwei Beinen, die aussehen wie Füllfedern. Als die 1.050 Platten fertig sind, fährt er mit zwei Plastiktüten zur Spedition, um sie abzuholen. „Mit zwei Plastiktüten, ich Idiot!“ Am nächsten Tag kommt ein „Spezi“ mit dem Auto und holt all die Platten, die nicht in die Tüten passten. Den Sampler legt er in einem Plattenladen aus. Jeder, der eine Punkplatte kauft, bekommt den Sampler dazu. Schon am nächsten Tag muss er neue Platten vorbeibringen – das erste Do-it-Yourself-Album Münchens. Selbst der Bayerische Rundfunk möchte wissen, wie man das macht. Um pünktlich zum Gespräch da zu sein, trifft sich Steinau mit einem Kumpel in einer Wirtschaft in der Nähe des Senders – als das Interview losgeht, sind beide besoffen.

Als in den Niederlanden Königin Beatrix zur Königin gekrönt wird, will er „ein bisschen Krawall“ machen. „Natürlich kann man sich fragen, ob das Sinn macht, da jetzt hinzufahren“. Während andere noch grübeln, öffnet Steinau in Amsterdam mit ein paar niederländischen Punks schon das erste Bier in einer besetzten Wohnung. Die Feierlichkeiten der Krone – vollkommen egal.

Weil ihn seine Arbeit irgendwann nervt, kündigt Steinau und wird Bademeister. Wenn das Wetter schlecht ist, was in jenem Sommer häufig der Fall ist, verdient er kein Geld, weil ihm die Kollegen beim Schafkopf alles abnehmen. Wenn es schön ist, bewacht er das Seil, das den Schwimmer- vom Nichtschwimmerbereich trennt. Während er an einem Sommertag wachsam auf das Becken starrt, klettert hinter seinem Rücken ein Junge auf einen Baum und stürzt herunter. Steinau heuert bei einer Bank an.

„Die Leute gestehen mir mehr Freiheiten zu, weil ich Punk bin.“ Er könne sich nicht alles, aber mehr erlauben. „Die Leute halten mich nicht für einen Freak, die wissen, der ist halt so.“ Als er einmal mit einem Arbeitskollegen eine rauchen geht, ruft einer rüber: „Da schau her, der Anarchist und der Reichsbürger.“

„Killerquallen greifen meine Kniescheiben an“

Natürlich spürt er das Alter, so rennen wie früher kann er nicht mehr. Er lässt Konzerte ausfallen, ist nicht mehr überall dabei. Auch das letzte Konzert seiner Band FKK Strandwixer ist ein Jahr her – aber ist das schlecht? Für Steinau gibt es nichts Beständiges. Auf dem Album „Killerquallen greifen meine Kniescheiben an“ der Strandwixer werden die Besitzer aufgefordert, die Platte zum 17. 3. 2000 zu vernichten – er selbst hat sich nicht daran gehalten. Ein Ins­trument richtig zu lernen lehnt er ab: „Dann betrete ich eine Richtung, die ich nie betreten wollte.“ Er singt und schreibt Texte in der Hoffnung, dass es „nicht ganz gelingt“.

Erinnerungen, die haben die anderen. Eines der wenigen Fotos, das er besitzt, zeigt einen schwarzhaarigen jungen Mann mit Stachelhaaren und Lederjacke, der grimmig an der Linse der Foto-Kabinen-Kamera vorbeistarrt.

Worauf er damals wütend war? Auf den Job und auch auf sich selbst. Worauf er heute wütend ist? Eigentlich auf nichts. „Wenn du immer mit Wut durch die Gegend rennst, bist ja fertig. Die richtige Scheißwut, die kriegst du nicht mehr her.“

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