Hip Hopper machen Politik: Mit Coolness gegen Drögheit

Raphael Hillebrand tritt mit seiner Partei „Die Urbane“ bei der Bundestagswahl an. Rappend, tanzend und malend will sie Brücken in die Politik bauen.

Raphael Hillebrand steht auf der Straße und grinst.

Raphael Hillebrand: Ein tanzender Strahlemann will in die Politik Foto: Frank Joung

Raphael Hillebrand sitzt mit übergeschlagenen Beinen auf dem Sofa. Um ihn herum entsteht eine Geräuschkulisse: drückender Bass, Mikrofoncheck eins, zwo, eins, zwo. Von irgendwo kommt das Scratchen einer Schallplatte. Hille­brand spricht über HipHop und Politik. Kommt er in Redefluss, legt sich eine gewisse Euphorie über seine helle Stimme. Mit strahlend weißen Zähnen sagt er dann Dinge wie: „Diese Kultur schafft Wunderbares.“ Aber schafft sie auch Politik?

Hillebrand ist Mitbegründer der ersten HipHop-Partei Deutschlands. Vor knapp sechs Monaten verspürte er erstmals den Drang, sich politisch zu engagieren. „Ich wusste einfach nicht mehr, was ich wählen soll“: So fing es an. Ein kultureller Anker müsse her, mit dem man sich in der Politik verkanten könne. Die Wahl fiel ihm nicht schwer: Es musste HipHop sein.

Um zu verstehen, worum es der Partei geht, müsse man einen Blick in die Bronx der 70er Jahre werfen, erklärt der 35-Jährige: marginalisierte Leute aus der Unterschicht, die sich durch HipHop selbst ermächtigten, Demokratisierung vorantrieben, „voice to the voice­less“, nennt er das. HipHop galt denen als Sprachrohr, die keine Stimme hatten. Viel zu vielen werde auch heute noch nicht zugehört, da könne die Rückbesinnung auf HipHop Abhilfe schaffen.

„Es geht uns um die Grundwerte dieser Kultur, die wir in die Politik tragen wollen.“ Kulturelle Vielfalt, soziale Gerechtigkeit, machtkritische Perspektiven. Rappend, tanzend und malend: mit Coolness dem drögen Politikalltag entgegenwirken.

Seriös und cool

Hillebrand will mit seiner Partei Grenzen verschwinden lassen. Er wirkt nicht wie ein typischer HipHopper, ist aber auch alles andere als ein typischer Politiker. Unter seinem Sakko trägt er ein weißes T-Shirt mit dem Parteilogo. Auf orangefarbenem Grund steht in weißen Lettern der Parteiname „Die Urbane“ mit dem Zusatz „Eine HipHop Partei“. Es ist auf Streetart mit Schablone und Sprühdose orangefarben designed. Dazu trägt er schwarze Sneakers und eine dunkle Anzughose. Sein Auftreten wirkt wie ein Mittelding: dekadent und leger, seriös und cool. HipHop und Politik.

Am 1. Mai dieses Jahres gründete sich „Die Urbane“. Heute hat die Partei 284 Mitglieder und neben Berlin Landesverbände in Niedersachsen, Hamburg und Sachsen.

Wahlkampf geht hier so: Breakdancebattles, Rapchallenges, Theaterspielen und Graffiti-Workshops. Zwischendurch unterhält man sich über Politik. Man wolle so Brücken bauen, nicht nur für junge Leute, meint Hillebrand. „Unser ältestes Mitglied ist 71. Der trägt keine Baggy Pants und hat mit Sicherheit auch keine Rap-Platten zu Hause. Aber er kann sich mit den Werten identifizieren.“ Die HipHop-Partei hofft auf mindestens 0,5 Prozent.

Fokus auf Bildung und Kultur

Bei der Frage, was HipHop sei für ihn, funkeln Hillebrands Augen. Kurze Pause. Dann sprudelt es heraus. Euphorisch spricht er von der „tollsten Kunstform, die es gibt“ und der „facettenreichsten Kultur“. Er ist in Berlin mit HipHop aufgewachsen. „Ich bewege mich wie ein Roboter, drehe mich auf dem Kopf und renne Wände hoch. Das sind Sachen, die ich lebe und die sowohl zu meiner als auch zur Identität der Partei gehören“, sagt er, der selbst Choreograf und Breakdancer ist.

Wie das genau aussehen soll, beschreibt das 31-seitige Wahlprogramm, das – das Rapklischee durchbrechend – nicht mit Worten fern der bürgerlichen Kinderstube übersät ist. Zusammengefasst liest es sich wie folgt: Waffenexporte und Kriege stoppen, Fokus auf Bildung und Kultur. Heißt konkret: Ausstieg aus der Nato, somit Kriege eindämmen, Rüstungskosten einsparen und das frei gemachte Budget im Bundeshaushalt in Bildung und Kultur investieren.

So weit die Rechnung. Da steht also Großes auf der Fahne. In den Schulen dann auch bitte den HipHop präsenter miteinbeziehen. Breakdance im Sportunterricht, Graffiti in Kunst und Rap-Lyrics als Literatur.

Ist HipHop in der Politik glaubwürdig?

Aber genau wie Rapper es schwer haben, in die Charts zu kommen, wird es die HipHop-Partei schwer in der Politik haben. Ist es nicht zunächst einmal die Aufgabe, Glaubwürdigkeit und Seriosität hineinzubekommen? Zu zeigen, dass sich hier kein frustrierter Haufen Halbstarker, aufmuckend mit großer Schnauze, gegen die ungerechte Welt aufzulehnen versucht, so wie es in den Siebzigern begann: als Widerstand gegen soziale Benachteiligung?

Um Zweifel an der Glaubwürdigkeit gehe es überhaupt nicht, findet Hillebrand: „Wir stehen für Werte ein, die einfach jeden betreffen. Wir bieten bloß einen anderen Zugang. Auch denen, die von Politik abgeschreckt sind.“

Dieser Zugang mag aber auch untypisch für die HipHop-Kultur wirken, die sich so oft das Originelle patentiert, das Gegen-den-Strom-schwimmen als Stimme gegen die Mehrheit. Warum begibt man sich dann in ein solches Schema, institutionalisiert sich und macht es eigentlich denen gleich, die man gerade noch kritisiert hat?

Raphael Hillebrand denkt kurz nach und holt dann mit ernster Stimme aus: „Natürlich verlässt man so ein bisschen das, wo man hergekommen ist. Aber HipHop ist nicht mehr gegen den Strom, wir sind der Strom geworden.“ Pathetisch fährt er fort: „Wir müssen uns so weit strecken, wie es geht, ohne dass wir den Kontakt zur Wurzel verlieren.“ Also: Keep it real, yo!

Daher ist zunächst die größte Aufgabe, die Grenze zwischen HipHop und Politik aufzulösen und die ernst zu nehmenden Berührungspunkte herauszuarbeiten. Vielleicht schafft Die Urbane es ja so tatsächlich, Trendsetter zu sein für coole Politik. Mit Parteimitgliedern, die nicht mehr nur Lindner, Spahn und Grütters heißen. Sondern auch mal SirQlate, MKOne und DJ Hype.

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