Kommentar Asylpolitik in Deutschland: Wahlversprechen: Abschiebung

Die Parteien versuchen, aus gestrigen Debatten ein Antiflüchtlingsmenü für AfD-affine Wähler zu kochen. Von Integration ist kaum noch was zu hören.

Ein Mann und ein Kind küssen sich durch einen Zaun hindurch

Nach Deutschland kommen soll möglichst keiner mehr – syrische Flüchtlinge auf Zypern Foto: dpa

Die Flüchtlingspolitik war das Mega­thema der letzten Legislaturperio­de. Erstaunlich lange spielte sie dafür im Wahlkampf nur eine geringe Rolle. Doch auf den letzten Metern, nachdem die anderen Themen offenbar abgefrühstückt sind, verhalten sich die Parteien wie jemand, der am Samstag vergessen hat einzukaufen und am Sonntag alle Küchenschränke durchwühlt, ob nicht noch irgendwo ein paar Reste liegen.

So ähnlich ist es mit dem Asylrecht: Seit zwei Jahren kommen fast ein Dutzend neuer Gesetze zu seiner Beschränkung durch. Viel ist nicht mehr da. Also wird nun versucht, aus den Resten von gestern ein Antiflüchtlingsmenü für AfD-affine Wähler zu kochen. De Maizière und Seehofer wärmten die bislang bis 2018 befristete Aussetzung des Familiennachzugs wieder auf – für die Betroffenen eine seelische Grausamkeit.

SPD-Kandidat Martin Schulz kaut auf der schon von Gerhard Schröder angesetzten Formel herum, kriminelle Flüchtlinge „aus diesem Land raus“ zu schaffen – als ob die Große Koalition nicht gerade diesem Ziel dienende Gesetze durchgebracht hätte. Auch FDP-Chef Christian Lindner legte alte Forderungen zur Migrationspolitik auf den Tisch, vorgetragen aber in einem Tonfall, der klarmachen soll: Die AfD braucht kein Mensch, abschieben können wir selber.

Die Grünen haben sich solche Töne zwar gespart, weil sie auch von Leuten gewählt werden, denen Menschenrechte und Integration wichtig sind. Doch die Schwarz-Grün-Befürworter in der Partei haben sich klar durchgesetzt. Ihre asylpolitischen Vorstellungen sind in Baden-Württemberg zu besichtigen. Abschiebungen selbst nach Afghanistan haben sie mitgetragen.

Die Obergrenze ist faktisch eingehalten.

Sicher ist: Die Vorzeichen der nächsten Legislaturperiode werden andere sein. 133.000 Asylanträge wurden in diesem Jahr bislang gestellt. Die Obergrenze, für die die CSU sich so abgekämpft hatte, ist faktisch eingehalten, der Türkei-Deal und die Schließung der Mittelmeerroute machten es möglich.

Getrieben von der AfD, werden in der nächsten Zeit also jene Flüchtlinge, die schon hier sind, umso stärker ins Visier geraten. Die große asylpolitische Linie wird heißen: Abschiebung statt Integration. Das ist, unterm Strich, das Wahlversprechen, das die meisten Parteien derzeit geben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.