Debatte Trostfrauen in Südkorea: Zum Nutzen der Nation

Koreanerinnen wurden im Zweiten Weltkrieg in japanische Militärbordelle verschleppt. Heute wird ihr Leid politisch instrumentalisiert.

Gerhard Schröder zwischen zwei südkoreanischen Frauen

Ex-Kanzler Schröder scheut keine Holocaust-Vergleiche, um das Leid der Frauen zu beschreiben Foto: dpa

Südkorea ist eine zutiefst gespaltene Gesellschaft, deren tiefe Gräben zwischen Generationen und politischen Ideologien verlaufen. Ob im Umgang mit Nordkorea, in der Bewertung der Militärregierungen während der Nachkriegszeit oder bei der Frage nach dem Ausbau des Sozialstaats – fast jedes Thema polarisiert die südkoreanischen Gemüter zutiefst.

Überwältigender Konsens hingegen herrscht über das erfahrene Leid unter den japanischen Kolonialherren während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mehr noch, es ist einer der zentralen Eckpfeiler, auf die sich die nationale Identität stützt – übrigens auch nördlich der Demarkationslinie. Nichts symbolisiert dieses historische Leid der Koreaner derart wie das Schicksal der Trostfrauen.

Ein Rückblick: Während des Zweiten Weltkriegs errichtete die japanische Armee sogenannte „Troststationen“ – Militärbordelle, in denen zu Kriegsbeginn vor allem japanische Prostituierte sexuelle Dienste verrichteten. Das propagandistische Kalkül dahinter war die Stärkung der Moral unter den Soldaten sowie hinsichtlich der Lokalbevölkerung die Prävention gegen Vergewaltigungen.

Entführt, gelockt, gezwungen

Schon bald jedoch konnte das Japanische Kaiserreich mit Zeitungsannoncen, auf die sich immer weniger Frauen meldeten, die Nachfrage nicht mehr decken. Zunehmend wurden junge Frauen aus den Kolonien, vor allem aus Korea, in die Kriegsbordelle verschleppt. Nicht selten wurden sie entführt, unter falschen Versprechungen gelockt oder unter Gewaltandrohung gezwungen. Viele der Mädchen waren Jugendliche, manche kaum 13 Jahre alt. Die Lebensbedingungen waren sklavisch; Folter und Vergewaltigungen sind historisch dokumentiert.

Das Leid der Frauen hörte mit Ende des Krieges keinesfalls auf: Viele der Zwangsprostituierten wurden ­einfach in der Fremde ausgestoßen, andere vom Militärpersonal erschossen – wie Beweismittel, die beseitigt werden sollten. Die Überlebenden führten jahrzehntelang eine Existenz in Scham und Armut.

Erst Anfang der neunziger Jahre traute sich die erste Betroffene an die Öffentlichkeit. Seitdem erinnern bis heute jeden Mittwoch Aktivistengruppen an das Schicksal der Trostfrauen – vor der japanischen Botschaft. Dort haben NGOs eine bronzene Statue angebracht, deren Kopien mittlerweile in mehrere Länder der Welt exportiert wurden. In Seoul wird das Original rund um die Uhr von mindestens zwei Studenten „bewacht“. Erstaunlich – handelt es sich hier doch um dieselbe Generation von Südkoreanern, die sich ignorant zeigt gegenüber den nordkoreanischen Insassen in den Arbeitslagern nur wenige hundert Kilometer entfernt.

In ihrer Anklage gegen Japan verweisen die Südkoreaner gern nach Deutschland: Sie fordern eine Kniefall-Geste à la Willy Brandt in Warschau. Es ist kein Zufall, dass am Dienstag ausgerechnet Gerhard Schröder als bisher erstes Exstaatsoberhaupt ein Altenheim für überlebende Trostfrauen besuchte. „Die Aufopferung und den Schmerz, den diese Personen erlitten haben, sind nicht anders als die des Holocausts“, wird Schröder von der Tageszeitung Hankyoreh zitiert.

In dieser Frage liegt jedoch ein entscheidendes Problem: Die japanische Kolonialherrschaft war keinesfalls vergleichbar mit dem industrialisierten Genozid am jüdischen Volk. Alles andere würde das Schicksal der sechs Millionen im KZ vergasten Juden verhöhnen.

Die japanische Kolonialherrschaft war keinesfalls vergleichbar mit dem industrialisierten Genozid am jüdischen Volk.

Es wäre zu wünschen, dass die Debatte um die Trostfrauen aufrichtiger geführt wird. Der Geschichtsrevisionismus der japanischen Rechten ist zweifelsohne inakzeptabel. Gleichzeitig lässt auch die südkoreanische Seite einen reflektierten Diskurs darüber vermissen, inwieweit das Leid der Trostfrauen für eigene nationalistische Zwecke instrumentalisiert wird. Besonders die linke Zivilgesellschaft zeigt sich in ihrem absoluten SchwarzWeiß-Denken resistent.

Dies hat die Professorin Park Yu Ha von der Seouler Sejong-Universität persönlich zu spüren bekommen. In ihrem 2013 erschienen Buch „Comfort Women of the Empire“ wies sie darauf hin, dass viele der Menschenhändler, die für die Japaner Frauen rekrutierten, selbst Koreaner waren und als Komplizen vom System profitierten. Ebenso zweifelt sie das vorherrschende Narrativ an, dass es sich bei den Frauen ausschließlich um „Sexsklavinnen“ gehandelt hat. Einige von ihnen wussten laut Park sehr wohl, worauf sie sich einließen, sie hätten sich aus Armut, jedoch aus freien Stücken den Militärbordellen angeschlossen. Die Historikerin interviewte zudem Trostfrauen, die später japanische Soldaten heirateten und die Zeit als Sexarbeiterinnen nicht nur als Leid empfanden.

Park Yu Has streitbare Thesen legen nahe, dass die Wahrheit komplexer ist als die südkoreanische Gesellschaft wahrhaben will. Ihre kontroversen Denkanstöße brachten sie auf die Anklagebank, Anfang 2017 wurde sie nur knapp freigesprochen. Ihr Ruf entspricht seither ungefähr dem eines Holocaust-Leugners in Deutschland.

Anschaffen für Devisen

Es hinterlässt einen bitteren Beigeschmack, dass praktisch nicht über die Verbrechen der südkoreanischen Armee im Vietnamkrieg gesprochen wird. Auch damals gab es systematische Zwangsprostitution unter der Lokalbevölkerung, wenn auch in wesentlich geringerem Ausmaß.

In Ansätzen lassen sich sogar Parallelen zu den Bordell-Camps entlang der US-Militärbasen in den 60er und 70er Jahren ziehen. Damals wurden Frauen von der südkoreanischen Regierung als „gute Patriotinnen“ dazu ermutigt, mit ihren Körpern Auslandsdevisen für die Wirtschaft heranzuschaffen. Die vom Staat durchgeführten gesundheitlichen Zwangsuntersuchungen waren denen der japanischen Armee nachempfunden. Dass viele Frauen unter Gewalt und Zwang von Zuhältern gehalten wurden, sorgte weder damals für Aufsehen, noch wird darüber heute ernsthaft diskutiert. Tatsächlich zeigt sich die südkoreanische Polizei immer noch erstaunlich blind, wenn es um Zwangsprostitution und Menschenhandel geht.

Dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, lässt bezweifeln, dass es Südkorea ausschließlich um das konkrete Leid der Trostfrauen geht.

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Seit 2019 China-Korrespondent mit Sitz in Peking. Arbeitete zuvor fünf Jahre lang als freier Journalist für deutschsprachige Medien in Seoul, Südkorea. 2015 folgte die erste Buchveröffentlichung "So etwas wie Glück" (erschienen im Rowohlt Verlag), das die Fluchtgeschichte der Nordkoreanerin Choi Yeong Ok nacherzählt. Geboren in Berlin, Studium in Wien, Shanghai und Seoul.

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