Tourismus und Fremdenfeindlichkeit: Wir Weltensammler

Von Touristen ohne Freunde und Massen von Individualreisenden: Der globale Tourismus wächst und mit ihm der Unmut vieler Einheimischer.

eine Demonstration

Protest gegen massenhaft Touristen im spanischen San Sebastián Foto: Javi Julio

Mäkeleien über Touristen gehören schon immer zum „guten Ton“ von Eliten, die sich gern über „Massenhaftigkeit“ der niederen Stände mokieren. Den Kritikern der siebziger und achtziger Jahre galten Touristen als dumpfbackige Täter, die auf ursprünglichen Landschaften bzw. den Gefühlen Einheimischer herumtrampeln.

Demgegenüber suchten alternativ Reisende, Individualtouristen, meistens aus der bildungsbeflissenen Mittelschicht, das intensive Erlebnis. Sie wollten und wollen Ursprünglichkeit, Authentizität, Nähe, Region, Land. Die I-Begriffe: Intimität, In­trovertiertheit, Intensität und Interaktion statt der E-Begriffe: Extroversion, extrem, Eklektizismus und Exotika. Und genau diese Touristen stehen nun im Fokus der Kritik.

Es gibt diesen Überraschungsmoment, wenn das Selbstbild und die Realität auseinanderbrechen. Wenn man feststellt, dass die eigene Art, zu reisen, Unmut hervorruft, dass man selbst die Masse bildet, vor der man immer gewarnt hat: Wir, die Individualtouristen, jetten durch die Welt. Weltensammler, denn Paris ist uns näher als der Badesee und mit EasyJet und Konsorten fast genauso günstig zu erreichen.

Touristischer Overkill

Krakau, Dubrovnik, Barcelona, Berlin – die Hotspots der Welt werden geflutet. Der globale Tourismus wächst und mit ihm der Unmut vieler Einheimischer: Der touristische Overkill in den Städten beschleunigt Gentrifizierung, die Vertreibung der Menschen aus ihren Stadtteilen, das Verschwinden lokaler Geschäfte. Wir treten den Einheimischen inzwischen selbst in ihren Immobilien auf die Füße und opfern den Begriff „unter Freunden“ der gnadenlosen Kommerzialisierung.

Beschleunigung und Konsumismus sind im Tourismus eine innige Verbindung eingegangen. Wir, die Touristen, sind nicht schuld an dieser Entwicklung, aber wir sind eingebunden in die gnadenlose Kommerzialiserung der Welt. Konsumieren ist unser Lebensstil. Die Wirtschaft brummt nur dann, wenn ordentlich Produkte gekauft werden. Radfahren mag gesellschaftlich im Trend liegen, bedeutend wird es erst, wenn man dafür nach Vietnam fliegt.

Meditation mag angesagt sein, aber erst auf Bali erlebt man sie authentisch. Wir, die Dynamischen, Mobilen, Weltläufigen, wollen keinesfalls zu den Rückständigen, den ­Immobilen gehören. Fliegen ist uns eine Selbstverständlichkeit, und billig, billiger, möglichst am billigsten erkunden wir die Welt.

Wir, die Touristen, sind nicht schuld an dieser Entwicklung, aber eingebunden in die gnadenlose Kommerzialisierung der Welt

Konnten die Urlauber der Nachkriegszeit noch gemächlich ihren Erholungssommerurlaub machen, noch halbwegs das Gefühl haben, an den Stränden des Mittelmeers die kostbarsten Wochen des Jahres zu erleben und die Errungenschaften der arbeitenden Bevölkerung zu genießen, so lassen wir uns heute auf nichts mehr ein. Wir suchen rastlos Sensationen, Gefühle, Authentizitäten, regionale kulinarische Besonderheiten. Und treffen in den Zentren von Lima, Buenos Aires oder Rom auf die immer gleicher werdende kosmische Gemütlichkeit. Langeweile.

Und trotz veganer Ernährung, der Liebe zum Tier und zur Umwelt, der Leidenschaft fürs Rad hinterlassen wir einen großen ökologischen Fußabdruck, den auch der modernen Ablasshandel mit einer CO2-Abgabe fürs Fliegen kaum mindert. Nach Expertenmeinung trägt der weltweite Tourismus rund 9 Prozent zu den globalen Emissionen bei.

Großstädte werden zu Bettenburgen

Die neoliberale Tourismuswirtschaft und das Fehlen von Tourismuspolitik und -planung führen dazu, dass Großstädte zu Bettenburgen werden, zu schicken Kulissen für Touristen, Reiche und Spekulanten. Daran wird zielstrebig gearbeitet. Und wir nehmen diese his­torischen Kulissen von Rom, über Venedig bis Dubrovnik gerne an.

Doch es gibt auch Gegenwind, ein wachsendes politisches Bewusstsein bei Einheimischen, aber auch den politisch Verantwortlichen: Barcelonas Bürgermeisterin zum Beispiel, die selbst aus der Hausbesetzerszene kommt, versucht umzusteuern: Die Stadtverwaltung hat Hotelneubauten in der Innenstadt verboten und verlangt Lizenzen von den Eigentümern, die ihre Wohnungen via Airbnb vermieten wollen.

Und es gibt ein wachsendes Bewusstsein unter Reisenden dafür, dass man nicht überall gewesen sein muss, nur weil es gerade billig erreichbar ist.

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