Gesellschaftskritik von Randy Newman: Selbst die Bullen haben Angst

Randy Newman entfaltet auf seinem neuen Album „Dark Matter“ noch einmal das große US-amerikanische Komponistenhandwerk.

Randy Newman im Porträt

Behauptet von sich, keine Hits schreiben zu können: Randy Newman Foto: ap

Randy Newman ist ein schlauer Hund. 2013 veröffentlichte er den Song „I’m Dreaming“, der quasi die Ereignisse vorwegnahm, die drei Jahre später über die USA und die Welt hereinbrachen und die natürlich auch sein neues Album bestimmen. „I’m dreaming of a white president“, sang er zum Piano. „Just like the ones we always had / real life white men know the score/ how to handle money / and start a a war / […] He won’t be the brightest / but he’ll be the whitest / and I vote for that“.

Wer wäre mehr als der 73-Jährige berufen, das Album zur Lage zu machen? Und irgendwie ist „Dark Matter“ auch das Album zur Lage. Noch viel mehr ist es aber das neue Randy-New­man-Album. Wie immer widmet er sich auch der Tagespolitik. Allerdings hat er den Song über den Penis des POTUS, von dem in der Presse zu lesen war, in letzter Sekunde vom Album genommen. Übrig bleibt unter anderem: „Putin“.

Schon in diesem Song werden wir daran erinnert, dass es sich Newman niemals leicht macht. Er ist ein großer Dialektiker, lässt viele Stimmen gegeneinander debattieren. Überhaupt ist die vorherrschende Textform auf diesem Album das Gespräch – der Monolog, der Dialog, die Diskussion. In „Putin“ überlässt er den Refrain den begeisterten „Putin Girls“, die der Titelheld selbst angeblich hasst, „cause he hates vulgarity“.

Dann blendet der allwissende Narrator über in einen Monolog, den der russische Präsident hält, während er mit seiner Exfrau „along the shore of the beautiful new Russian Black Sea“ flaniert, und der ist düster und voller Selbstzweifel: „Lenin couldn’t do it / Stalin couldn’t do it / why do you think I can?“ Die Antwort haben die verhassten Putin-Girls: „Cause you’re the Putin man“.

Randy Newman: „Dark ­Matter“ (Nonesuch/WEA).

Ja, es ist alles nicht so einfach, wie es scheint und wie es schön wäre und nötig, um sich mit ein Paar schnittigen Slogans des Diskurses wieder zu bemächtigen. „We need some answers to some complicated questions“, leitet der Moderator im achtminütigen Eröffnungsopus „The Great Debate“ einen Showdown zwischen Wissenschaft und Christentum ein.

Ein bekennender Atheist

Doch als es nach den Fragen zu den Themen Dunkle Materie und Giraffen zwei zu null für die Religion steht, ergreift plötzlich ein Mann das Wort, der behauptet, mit beiden Seiten zu sympathisieren, und dass Mr. Newman diesen Song doch nur kreiert habe, um Typen wie den Moderator zu diskreditieren, schließlich sei er ein bekennender Atheist und ein „commonist“.

Ein Song über den US-Präsidenten ist auch dabei – veralbert wird allerdings nicht der gegenwärtige, sondern der legendärste: John F. Kennedy bekennt im Jahr 1961 mitten in der Kubakrise und kurz vor der Schweinebucht-Invasion gegenüber seinem Bruder Robert, dass er Kuba lieber nicht mit Krieg überziehen würde, weil er in (die Salsa-Sängerin) Celia Cruz verliebt ist.

Randy Newman ist schon lange sein eigenes Genre, ganz wie Bob Dylan oder in seinen letzten zwei Jahrzehnten Leonard Cohen. Kein A&R-Manager seiner Plattenfirma interferiert mit naseweisen Vorschlägen zur Vermarktbarkeit – man lässt solche Leute machen. Und Newman macht: Wer kann es sich schon leisten, seine Songs für großes Orchester (allein drei Fagott-Spieler!) zu arrangieren (und selbst zu dirigieren)?

Mit Rock ’n’ Roll hat das nichts zu tun

Musikalisch entfaltet sich hier noch mal das große US-amerikanische Komponisten- und Arrangeurshandwerk, das von Charles Ives und Aaron Copland genauso geprägt wurde wie von Irving Berlin und Cole Porter (und das auch von Ravel, Debussy, Schostakowitsch und Strawinsky gern Ideen übernahm). Mit Rock ’n’ Roll hat das nichts zu tun, mit Pop zunehmend weniger.

Doch überraschenderweise hat der Mann, der von sich behauptet, keine Hits schreiben zu können, einen seiner größten Hits für „Dark Matter“ neu aufgenommen: „It’s A Jungle Out There“, Titelsong der TV-Serie „Monk“, erhält hier einige zusätzliche Textzeilen, die nochmal klarmachen, wieso schon dieses Stück aus den frühen Neunzigern über einen paranoiden Meisterdetektiv die Welt beschrieb, in der wir immer noch leben: „Even the cops are scared today / so if you see a uniform / do exactly what they say / or make a run for it“.

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