Kolumne Lügenleser: Wo die wilden Antideutschen wohnen

Menschen freuen sich, wenn Ereignisse in ihr Weltbild passen. Über Antifa-Orks, die Elfen-Buchläden angreifen und andere Unwahrheiten.

Bunte Igluzelte sind nachts von innen erleuchtet.

Die Überlebenden werden in Umerziehungcamps geschickt Foto: photocase / TheGRischun-Rafael Peier

Es gibt Menschen, die freuen sich, wenn Dinge passieren, die in ihr Weltbild passen. Bei jeder neuen Gewalttat hofft der Internet-Experte, dass es sich um einen Täter aus dem gegnerischen Lager handelt.

Es gibt andere Menschen, die einfach gerne Unwahrheiten verbreiten oder sogar absichtlich lügen, um ihr Gegenüber schlecht dastehen zu lassen. Soweit das vermeintliche Fußvolk.

Es gibt auch Autoren, die einen Heidenspaß daran haben, ihre Legitimation aus dem Streit mit anderen Autoren zu ziehen. Da wird sich dann über Wochen ein Thema herausgepickt und eine Kolumne nach der anderen geschrieben, warum die eigene Meinung die richtige ist und die anderen blöde Besserwisser sind.

Und es gibt Autoren, die gerne Unwahrheiten schreiben, um eine bessere Story zu haben, welche dann von den Internet-Experten der jeweiligen Couleur fröhlich aufgegriffen und verbreitet wird. Wenn all das zusammen kommt, dann hat man es oft mit der Welt zu tun. Aber der Reihe nach.

Was wäre der Autorin am liebsten?

Was ist passiert? Ein Buchladen in Berlin-Neukölln musste schließen. Es gibt ein unstrittiges, innerlinkes Problem mit Antisemitismus. Im Internet wird oft und gerne gepöbelt, google it.

Was passiert daraufhin?

Hannah Lühmann schreibt in der Welt einen Artikel, in dem behauptet wird, wildgewordene Antideutsche und „Die Antifa“ (e. V.-Antrag liegt noch bei Jutta Ditfurth im Wahnwichtel-Ordner) vertreiben die Enkel von Holocaust-Überlebenden, weil diese das Werk des „italienischen Kulturphilosophen Julius Evola diskutieren wollten“.

Was wäre der Autorin und dem Internet-Pöbler am liebsten? Links-grün-versiffte PDS-Stalinisten beschießen zusammen mit Antifa-Orks den Buchladen von elfenhaften Neugeborenen mit Tofu-Felsen aus riesigen Katapulten, welche von Bündnis90/Die Grünen finanziert wurden. Die Überlebenden werden in sexuelle Umerziehungs-Camps geschickt, in denen niemand mehr ein spezifisches Geschlecht haben darf.

Dass der Betreiber der Presse gegenüber mehrmals deutlich macht, dass es keinen Boykott­aufruf gab, ist zweitrangig. Dass der Buchladen ganz subjektiv betrachtet, ziemlich langweilig und schlecht besucht war, ebenfalls. Auch, dass der „Kulturphilosoph“ ein Faschist war, wird in vielen Artikeln, denen Lühmanns Text als Blaupause dient, kaum bis gar nicht erwähnt.

Alt-Right. Ups!

Das Wichtigste allerdings und der Grund für die harsche und teils saublöde Kritik von irgendwelchen Internet-Larrys mit Antifa-Profilfoto, spielt gar keine Rolle: Nämlich wer bei der Veranstaltung als Referent auftreten sollte. Es handelte sich um einen US-Amerikaner namens DC Miller, seines Zeichens Alt-Right-Protagonist. Uups!

Fazit: Ein kalkulierter Skandal sorgt also für Kritik im Internet (OMG!) und der Besitzer beschließt, nach einer längeren finanziellen Durststrecke mache es nun auch persönlich keinen Spaß mehr, den Laden zu betreiben.

Fazit zwei: Dieser Text beinhaltet einen Angriff auf eine Kollegin und hat ein paar Unwahrheiten mit eingebaut, um die Story besser klingen zu lassen.

(Spoiler: Es gibt keine Antifa-Orks).

Guck Mama, ich bin jetzt auch Kolumnist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Juri Sternburg, geboren in Berlin-Kreuzberg, ist Autor und Dramatiker. Seine Stücke wurden unter anderem am Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater in Berlin aufgeführt. Seine Novelle "Das Nirvana Baby" ist im Korbinian Verlag erschienen. Neben der TAZ schreibt er für VICE und das JUICE Magazin.  

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.