Die Macht der Witwen mächtiger Männer: Frauen in Trauer

Die Öffentlichkeit fürchtet die Witwen mächtiger Männer – wie Friede Springer oder Maike Kohl-Richter. Doch vieles wird in dieser Erzählung übersehen.

Maike Kohl-Richter steht im schwarzen Etuikleid und mit Sonnenbrille und gesenktem Kopf vor dunklem Hintergrund

Der Ruf der Witwe ist schlecht Foto: dpa

„Alles in ihrer Hand“, überschreibt die Süddeutsche Zeitung ihren Text. „Darum hat sie keinen Anspruch auf Kohls Rente“, titelt die Bunte. „Die Frau, die nie richtig Familie Kohl war“, schreibt die Welt. Und der Stern schließlich, dräuend: „Die Witwe“.

Macht man sich den Duktus der aktuellen Berichterstattung zu eigen, trägt Helmut Kohls letzte Rache seinen eigenen Namen. Und der lautet: Maike Kohl-Richter. Es ist der Name jener Frau, der viel daran gelegen scheint, jene zu demütigen, die meinen, beim Andenken an ihren Ehemann mitreden zu ­wollen, zu sollen oder gar zu dürfen. Und ja, es ist befremdlich, dass diese Frau in der Stunde des Todes eine Menge Klischees zu erfüllen scheint, die allgemein kursieren über Witwen. Witwen von Prominenten zumal.

Egal ob es sich um Friede Springer, die einflussreiche Witwe des Medienunternehmers Axel Springer, handelt oder um die Kanzlerwitwe Brigitte Seebacher-Brandt. Ob um die kühle Verleger-Witwe Ulla Unseld-Berkéwicz, die starrsinnige Margot Honecker oder aktuell um Maike Kohl-Richter – alle diese Frauen gelten in der öffentlichen Wahrnehmung als extrem geltungssüchtig und machtbewusst.

Sie werden betuschelt als Problemfrauen, die – zumeist männliche – Zeitgenossen und Weggefährten der Verstorbenen wegbeißen. Als rechthaberische, schwierige Persönlichkeiten, die mit der Kraft ihrer Weiblichkeit ihre Männer in körperlicher, wirtschaftlicher und emotionaler Abhängigkeit gehalten zu haben scheinen. Mithin furchteinflößende Torwächterinnen, die der Öffentlichkeit vorzuenthalten versuchen, was doch allen zu gebühren scheint: den Zugriff auf das Gedenken, auf die Erinnerung, auf das öffentliche Bild.

Den Witwer mächtiger Frauen kennt man noch nicht

Ob Yoko Ono oder Courtney Love, ob Imelda Marcos, Da­nielle Mitterrand oder Gail Zappa – all diese Frauen lösen spürbar Ängste aus. Und in der Folge um so mächtigere Abwehrreflexe. Es sind Reflexe, die sich in Unterstellungen, Mutmaßungen und Zuschreibungen Bahn brechen. Dies mag vor allem daran liegen, dass die umgekehrte gesellschaftliche Erfahrung bislang fehlt: die mit den Witwern mächtiger Frauen.

Erst durch die auch rechtlich verankerte Gleichberechtigung der Geschlechter im Laufe des 20. Jahrhunderts nämlich hatten Frauen die Chance, politische, wirtschaftliche und kulturelle Macht zu erlangen. Wie allerdings dereinst die Partner von Melinda Gates, Christine Lagarde oder Angela Merkel das Andenken ihrer Frauen gestalten und verwalten werden – diese Erfahrung fehlt und wird auch in Zukunft selten bleiben. Denn die Frauen sind in Partnerschaften nicht nur meist jünger, sie leben auch länger. Zuallermeist also kriegt es die interessierte Öffentlichkeit weiterhin mit trauernden Frauen zu tun.

Maike Kohl-Richter, die Witwe von Helmut Kohl, ist solch eine Frau. Sie lehrt die Öffentlichkeit nach allen Regeln der Kunst das Fürchten. Ihr Werk versieht sie stumm. Wortlos sieht man sie mit zusammengepressten Lippen die Kerzen, Karten und Blumen vor ihrem Haus in Oggersheim betrachten. Eine Frau im schwarzen Etuikleid, eine Sonnenbrille vor den Augen, die Hände fest vor dem Körper verschränkt. Eine Frau, 53 Jahre alt, in der schwersten Stunde ihres Lebens. Sprechen darf für sie einzig ihr Anwalt Stephan Holthoff-Pförtner. Kohls Nachfahren, Männer in ihrem Alter samt deren Söhnen und Töchtern, erhalten keinen Zugang zur Trauerzentrale.

Als eine Art Ziehsohn ist statt ihrer Kai Diekmann bei ihr. Der frühere Bild-Chefredakteur öffnet und schließt die schwere Haustür in Oggersheim für die der Witwe genehmen Besucher. Diekmann schaut ernst. Irgendwann, zu einem von ihr festgelegten Zeitpunkt, wird er mit ihr ein großes Bild-Interview führen. Oder nein, kein Interview. Zwiesprache werden sie halten, diese beiden wahrhaftigen Verehrer des großen Europäers Helmut Kohl. Es wird alles sehr zu Herzen gehen, sehr traurig sein. Auch pathetisch. Die Auflage wird gigantisch sein.

Wer trauert, kann nicht lächeln

Aber noch steht Maike Kohl-Richter stumm vor dem Haus in der Marbacher Straße 11. Würde man dieser Frau im schwarzen Kleid zufällig auf einem Friedhof begegnen – man sähe ausschließlich ihren Kummer. Man begegnete ihr mit stillem Respekt. Wer trauert, kann nicht lächeln. Doch sie ist nun mal Maike Kohl. Und deshalb weiß man so verdammt viel über sie. Wenig Gutes, viel Irritierendes.

Geboren wurde Maike Richter 1964 im Siegerland. Sie trat früh in die Junge Union ein. Ihre Verehrung für Helmut Kohl, für den die Volkswirtin später einmal im Kanzleramt arbeiten sollte, ist von Anfang an sprichwörtlich. Kohls Sohn Peter schilderte später einmal ihre Wohnung als „eine Art privates Helmut-Kohl-Museum“. Überall hätten Bilder von ihm gehangen. „Das Ganze sah nach jahrzehntelanger, akribischer Sammelleidenschaft zum Zwecke der Heldenverehrung aus, wie man es vielleicht auch von Berichten über Stalker kennt.“

Als Kohl-Groupie sah sie denn auch die Öffentlichkeit. Als eine Art Gottesanbeterin, als Fangschrecke, die das wehrlose Männchen ins Visier nimmt, um es, seiner habhaft, schließlich aufzufressen. Was jedoch zwischen dieser obsessiven Hingezogenheit und dem Tod des Mannes lag, wird in dieser Erzählung geflissentlich übersehen.

Helmut Kohl war ein schwerkranker Mann. Nachdem er 2008 gestürzt war, brauchte er rund um die Uhr Hilfe. Und er sollte sie bekommen von seiner zu diesem Zeitpunkt 44 Jahre alten Partnerin. Neun Jahre ist sie an seiner Seite geblieben, bis zum Ende. Als sein Zustand immer schlechter wurde, hätte jeder verstanden, wenn sie Helmut Kohl in einem Pflegeheim untergebracht hätte. Aber sie blieb und schob ihn bei den ganz seltenen Auftritten in seinem riesigen Rollstuhl durch die Öffentlichkeit. Was das bedeutet, wie viel Geduld, Respekt und Liebe zu guter häuslicher Pflege gehört, können abertausende Angehörige in diesem Land bezeugen.

Pathos und Stiefelleckerei

Es ist nicht gesagt, wie Kohls Söhne sich entschieden hätten, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie für den alten Vater ihr Privatleben aufgegeben hätten, ist vermutlich nicht groß gewesen. Maike Kohl-Richter muss ihren Mann wirklich geliebt haben. In all diesen Jahren aber muss etwas Ungutes vorgegangen sein in Oggersheim. Mag sein, dass es lästige Schranzen gab, einstige Wegbegleiter, die ihren Vorteil suchten in der Nähe zu Kohl. Leute, die auch Kohl loswerden wollte.

Am Ende dieses Prozesses aber stand ein Ehepaar, dessen einer Teil nicht mehr sprechen konnte und von dem Besucher berichteten, sie seien nicht sicher gewesen, ob Kohl den Vorgängen im Haus folgen konnte. Der andere, weibliche Teil übernahm kongruent die Führung und die Deutung. Das Ergebnis war klar: Der Staatsmann Helmut Kohl wurde in seinem Heimatland nicht ausreichend gewürdigt.

Die Süddeutsche Zeitung berichtet, wie es Kohl stark beeindruckt haben soll, wie Staatenlenker anderswo geehrt wurden. „Als Kohl 2003 ,The George W. Bush Presidential Library and Museum' in Texas besichtigte, eine Ein-Mann-Walhalla, vollgestopft mit Memorabilien, Souvenirs, Bildern und Texttafeln, weinte er vor Rührung – und wohl auch aus Enttäuschung über die Undankbarkeit zu Hause.“

Es sind diese Begebenheiten, die im Nachgang ein grelles Licht auf das Selbstverständnis von Helmut Kohl werfen. Ein Mann wie ein Baum, der lange Jahre unglaublich viel Macht in den Händen gehalten hat, bricht in Tränen aus, weil ein nicht allzu begabter ehemaliger US-Präsident Heldenverehrung genießen darf? Legt dieser alte Mann tatsächlich und ernsthaft Wert auf Pathos und Stiefelleckerei?

Witwe ist kein Beruf

Sollte dies der Antrieb für Helmut Kohls unversöhnlichen Grimm am Ende seines 87 Jahre währenden Lebens gewesen sein, muss er einem leidtun. Und sollte dies die Grundmelodie sein, die er – einsam in Oggersheim – mit Maike Kohl-Richter gesungen hat, kann auch sie einem leidtun. Dass es ein solches „wir gegen die“ gegeben hat, scheint auf der Hand zu liegen. Dafür, dass sie beide Kohl noch zu Lebzeiten zum Denkmal formen wollten, spricht einiges.

Das Paar hat erfolgreich gegen Kohls Biografen Heribert Schwan auf Unterlassung, Schadenersatz und Herausgabe der Interviewaufnahmen geklagt. In der Stunde des Todes schließlich sorgte die Witwe posthum für maximalen Dissens zwischen dem Verblichenen und dem Land, das er einst regiert hat. Europäischer „Staatsakt“ in Brüssel, Rheinfahrt im Sarg, die Grabstätte am Speyerer Dom – alles von langer Hand vorbereitet. Knapp konnte doch noch durchgesetzt werden, dass Angela Merkel in Straßburg sprechen darf. Alles ein einziger protokollarischer Affront, geboren aus der Hybris eines Sterbenden und dessen künftiger Witwe.

Was wird nun aus ihr, aus Maike Kohl-Richter? Man wird sehen. Sie ist 53 Jahre alt und bewohnt ein nicht allzu schönes Haus, vollgestopft mit Erinnerungen. Witwe ist kein Beruf. Und Verachtung keine gute Haltung zum Leben. Und dieses Leben ist noch sehr lang.

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