Fastenbrechen mit Erdoğan

Medienpolitik Wenn der Präsident ruft, eilen Stars und Sternchen, aber auch Verleger und Chefredakteure herbei, um die erlauchte Hand zu drücken: die beste Gelegenheit, das aktuelle Level der Anbiederung zu messen

Erdoğan beim „Iftar“ mit Medienrepräsentanten am 17. Juni in Istanbul Fotos: Kayhan Ozer/AA/picture alliance

von Ali Celikkan

Der Welt seine wichtigen Gedanken mitzuteilen, lässt der türkische Staatspräsident kaum eine Gelegenheit aus. Eine der hervorragenden Gelegenheiten dazu sind die alljährlichen offiziellen Fastenbrechen im Ramadan. Wie jedes Jahr schubsen sich bekannte Stars und Sternchen gegenseitig zur Seite, um am Rande dieser Abendveranstaltungen die Hand des Staatspräsidenten drücken zu können.

Unter normalen Umständen sollen Journalisten der Regierungspartei auf die Finger schauen

Wie aggressiv sich die Stars darum bemühen, zusammen mit Erdoğan bei diesen Dinners in pompösen Räumlichkeiten abgelichtet zu werden, ist ein wichtiger Gradmesser für den aktuellen Stand der Anbiederung an die Staatsoberen. Wird hingegen die Einladung aus dem Präsidentenpalast nicht befolgt, so kann die Karriere eines Stars oder Sternchens sehr abrupt enden.

Am vergangenen Samstag folgten der Einladung zum Fastenbrechen die Journalisten des Landes. Unter normalen Umständen ist diese Berufsgruppe dafür zuständig, der Regierungspartei auf die Finger zu schauen und die Öffentlichkeit zu informieren. In der ersten Reihe saßen Medienvertreter der Boulevardzeitungen ebenso wie ihre Kollegen aus der AKP-freundlichen Berichterstattung sowie Medienvertreter, die nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 nicht nur ihre Füße im Pool der regierungsnahen Medien­gruppen nass machen, sondern mit einem Köpper nun mittendrin im regierungsfreundlichen Becken der AKP-Medien mitschwimmen.

Der Patron der Doğan-Mediengruppe, Aydin Doğan, verantwortlich für die Zeitungen Hürriyet und Posta (mit einer Auflagenstärke von jeweils mehr als 250.000) und der Inhaber der regierungsfreundlichen Mediengruppe Doğuş Grubu, Ferit Şahenk, verantwortlich für TV-Kanäle wie NTV und STAR TV, waren nur einige der hochrangigen Namen, die am großen Tisch dabeisaßen. Auch wenn die Gäste auf den Fotos mit Erdoğan zufrieden ausschauen, träumt sich jeder einzelne der Chefs wohl gedanklich woandershin. Diese Einladung ist nämlich eigentlich eine versteckte Drohung. Denn in der Villa Huber in Istanbul sprach der Staatspräsident über den Journalismus.

Andernorts wird der Staatspräsident ja angesichts der weltweit höchsten Zahl von inhaftierten Journalisten als Gefängniswärter gesehen. Trotzdem kann der Staatspräsident zum Themenpunkt „wahrhafter und unparteiischer Journalismus“ viel sagen. Nein, das war nicht ironisch von Erdoğan gemeint. Er betonte, dass die sich im Gefängnis befindenden Jour­na­list*innen nicht wegen der Ausübung ihres Berufs im Gefängnis säßen. Die Zahlen, die er frisch vom „Justiz“-Minister erhalten habe, sprächen für sich. Nur zwei der im Gefängnis sitzenden Journalisten haben den gelben Presseausweis. Einer dieser 177 sitzt wegen Mordes und die anderen wegen ihrer Verbindungen zu Terrororganisationen. Dass die westliche Welt einer Desinformationskampagne aufgesessen sei, was die inhaftierten Journalist*innen betrifft, musste er noch anfügen. Die Gruppe der Medienvertreter fragt er anschließend, ob sie statt den Lügen der westlichen Medien den Unterlagen der heimischen Ministerien vertrauen würden. Einmütiges und eindeutiges Kopfnicken bei den Gästen.

Dem Istanbuler CHP-Abgeordneten Aykut Erdoğdu zufolge ist die Einladung des Präsidenten eine Verwarnung in Bezug auf die Berichterstattung über den sogenannten Marsch der Gerechtigkeit. Nach der Verurteilung von Enis Berberoğlu, CHP-Abgeordneter und ehemaliger Journalist, formierte sich ein Solidaritätsmarsch von Ankara nach Istanbul, der sich nicht ignorieren ließ. So soll Erdoğan allen voran Aydin Doğan, dem Chef der Doğan-Gruppe, befohlen haben, den Marsch der Gerechtigkeit in keiner Weise zu covern, und setzte die Berichterstattung darüber mit Terrorpropaganda gleich. „Erdoğan hat Angst, denn die Rufe nach Gerechtigkeit, die aus Anatolien hallen, erschüttern auch den Präsidentenpalast“, so Erdoğdu.

Erdoğan instruiert die Medienchefs, über den „Marsch der Gerechtigkeit“ nicht zu berichten

Die regierungsnahen Medien hatten den Marsch der Gerechtigkeit von Anfang an diffamiert. Allerdings muss Erdoğan das Verhalten der sogenannten Poolmedien für nicht ausreichend erachtet haben, sodass er persönlich eingriff.

Für Erdoğan ist die von der CHP gestartete Aktion Terror. „Wo ist der Unterschied zwischen euch und den Putschisten vom 15. Juni? Die hatten Waffen und Panzer und griffen an, ihr seid auf die Straße gegangen, marschiert tagsüber und ruht euch abends in Karawanen aus. Natürlich können wir uns nicht den Luxus leisten, euch das zu gestatten. Die Legimität eurer Aktion ist nur der Gnade unserer Regierung zu verdanken. Gerechtigkeit gibt es nicht auf den Straßen, sondern in Justizgebäuden. In diesen muss eure Kollaboration mit der FETÖ ­untersucht werden. Jene, die die Justizanstalten attackieren, wenn ihnen das Urteil nicht gefällt, schaden diesem Land am meisten. Nicht die Straßen, sondern das Parlament ist der Ort, an dem politische Sprecher, die etwas mitzuteilen haben, auch sprechen sollten.“

Erdoğan instruiert die Chefredakteure und Medienchefs, über den Marsch der Gerechtigkeit der Oppositionspartei nicht zu berichten. Denn Erdoğan weiß besser als wir alle, wie Journalismus funktioniert.