Fremd sind Körper und Verstand

TanztheaterMomente der Selbstreflexion: „Foreign Bodies“ in Potsdam

Schreie, Arien, Rock- und Tangoklänge. Bei „Foreign Bodies“ nahmen am vergangenen Freitag in der ausverkauften Fabrik Potsdam 50 junge Tänzer*innen das Publikum mit auf eine multimediale Reise zu dem, was uns am nächsten ist und oftmals unbekannt bleibt: zum eigenen Körper. Bereits zum dritten Mal trafen sich Mitglieder der BAI-Theaterschule Bilbao, der Associazione Culturale Bachi da Setola Polignano a Mare und der Theatergruppe Tarántula des Offenen Kunstvereins Potsdam zu einem zehntägigen Tanz- und Theaterworkshop. Nach Vorstellungen in Italien und Spanien jetzt in der brandenburgischen Landeshauptstadt unter der Leitung von Ulrike Schlue und Clara Pujalte. Das Ergebnis ist eine knapp einstündige, tänzerisch und musikalisch ausdrucksstarke Performance, die sich dem ambivalenten Verhältnis von Physis und Psyche nähert.

Das schwierige Verhältnis zwischen Körper und Wille zeigt sich gleich zu Beginn. Lautes, fast erdrückendes und immer schneller werdendes Atmen, bis es nicht mehr geht. Was folgt, ist explosiv: raumgreifende Sprungelemente zu Deep-Bass-Klängen, animiert durch grafische Equalizermotive im Hintergrund. Die Musik wird abgelöst durch ein lautes Ticken. Tänzer*innen gehen suchend durch den Raum, betrachten ihre Hände, beobachten und erkunden sich und ihr Gegenüber. Stille Momente der Selbstreflexion, die über das ganze Stück hinweg im Wechsel mit lauten Passagen stehen.

Maskierte Organe

Animation und Musik sind dabei stets Begleiter des Tanzes, nur selten dominieren die Projektionen im Hintergrund die vordergründige Darbietung, wie es in den nachfolgenden Bildern der Fall ist: Am Bühnenrand sitzen drei Laborant*innen mit Petrischalen, Seife und Wasser und symbolisieren auf triviale Weise mit der Teilung von Zellen den Ursprung und Kern eines jeden Organismus, während die bis eben parallel dazu tanzende Gemeinschaft unter membranartigen Riesenfolien verschwindet und kurzerhand später mit Primatenklängen und Vogelgezwitscher wiedererwacht.

Die Szene bildet den Übergang für das, was darauf folgt. Es geht nun um Schmerz. Ein tänzerischer Kampf zwischen Leib und Seele wird ausgefochten, indem mit großen Fratzen maskierte Organe stampfend den verängstigten Rest des Körpers bedrohen. „Do you like drugs?“, wird das Publikum schließlich gefragt, und die Zu­schau­er*in­nen erleben mit einem musikalischen Hitmedley von „Old MacDonald had a farm“ bis „Halleluja“ den Absturz von grenzenloser Euphorie in die Qualen des Deliriums.

Dass es bei der Fremdheit, mit der sich Körper und Verstand oft gegenüberstehen, nicht bleiben muss, zeigt das letzte Bild, in dem beide durch Vorsicht und Neugier wieder zueinanderfinden. Auch wenn durch die Synchronität und die darstellende Harmonie der Tänzer*innen deutlich wird, dass dies nicht die erste Vorstellung des Projekts ist, bleibt der Darbietung und Choreografie eine spannungsvolle Spontaneität erhalten, die Wiederholungen in Tanz und Animation verkraften lässt. „Foreign Bodies“ entlässt den Zuschauer mit der Frage: „Do you know your body?“ Ein Appell zur Selbsterkundung.

Marvin Rosé