Kommentar Doppelpass-Debatte: Knallrechte Bestrafungsfantasien

Dass nach dem Türkei-Referendum jetzt wieder eine sinnlose Doppelpass-Debatte tobt, zeigt vor allem eines: Gekränktheit.

Deutsche und türkische Flaggen

Hätten mehr Wähler einen Doppelpass, wäre das Ergebnis womöglich anders ausgefallen Foto: dpa

Nur rund eine halbe Million Menschen in Deutschland besitzen neben dem türkischen auch den deutschen Pass. Doch wegen jener, die nun für Präsident Erdoğan stimmten, drehen manche in Politik und Medien jetzt frei und stellen einen Zusammenhang zur doppelten Staatsbürgerschaft her, wo es gar keinen gibt.

In den ARD-„Tagesthemen“ klingt Sonia Mikich ganz wie der knallrechte Claus Strunz im Sat1-Frühstücksfernsehen, wenn sie fordert, Deutschtürken, die Erdoğan wählten, sollten ihren deutschen Pass abgeben.

Nach den Demonstrationen von Erdoğan-Anhängern hatten sich auch schon Jakob Augstein und Micha Brumlik gegen die doppelte Staatsbürgerschaft starkgemacht. Wer solche Linksliberalen hat, der braucht keine AfD mehr. Die schließt sich solchen Forderungen natürlich gern an, die CSU sowieso.

Da ist auch narzisstische Kränkung im Spiel. Hatten Politik und Medien den Deutschtürken denn nicht klargemacht, wie sie abzustimmen hätten? Hatte man nicht, von Cem Özdemir bis zur Bild-Zeitung, für ein „Nein“ geworben? Hatte man nicht Auftritte türkischer Minister verhindert und Erdoğan als Sodomisten verlacht? Weil das offenbar zur Demokratieerziehung nicht gereicht hat, soll nun das ohnehin ungeliebte Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft dran glauben.

Dabei ist das Gegenteil richtig. Hätten jene Hunderttausende, die sich hierzulande in den vergangenen Jahrzehnten einbürgern ließen, ihren türkischen Pass behalten dürfen, dann wären sie beim Referendum in der Türkei wahlberechtigt gewesen. Vermutlich wäre das Ergebnis dann anders ausgefallen.

Es gibt übrigens weniger Doppelstaatler mit türkischem als mit russischem oder polnischem Zweitpass. Nach deren Wahlverhalten fragt komischerweise keiner. Und rund 1,8 Millio­nen Deutsche haben bei den vergangenen Wahlen der AfD ihre Stimme gegeben. Da verbieten sich aber solche Bestrafungsfantasien – denn die will man ja zurückgewinnen.

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Daniel Bax ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz. Er schreibt über Innen- und Außenpolitik in Deutschland, über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 veröffentlichte er das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”

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