Wahl in Nordrhein-Westfalen: Plötzlich Atomkraftgegner

CDU-Landtagsfraktionschef Armin Laschet spricht sich für den Stopp von Brennstofflieferungen in belgische Risiko-AKWs aus. Grüne sind skeptisch.

Das belgische Atomkraftwerk Tihange, vom Fluß Meuse aus fotografiert. Viel Rauch steigt in den Himmel

Muss vielleicht bald ohne deutsche Brennelemente auskommen: das belgische AKW Tihange Foto: imago/Eric Herchaft

BOCHUM taz | Im Streit um die Belieferung der belgischen Risiko-Atomkraftwerke Tihange und Doel mit in Deutschland hergestelltem Brennstoff wächst der Druck auf die schwarz-rote Bundesregierung: Alle im nordrhein-westfälischen Landtag vertretenen Parteien fordern ein Ende der Exporte aus Deutschlands einziger Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen.

Die für die Atomaufsicht zuständige sozialdemokratische Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) müsse ihr „falsches Doppelspiel“ beenden und „erteilte Genehmigungen für die Lieferung von Brennelementen für die Atomkraftwerke Tihange und Doel nach Belgien zurückzunehmen“, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme von CDU und FDP, der von deren Landtagsfraktionschefs Armin Laschet und Christian Lindner unterzeichnet ist.

Die Meiler Tihange und Doel gelten besonders in Laschets linksrheinischer Heimatregion Aachen als das Aufregerthema Nummer 1, nachdem in deren Druckbehältern Tausende kleiner Risse gefunden wurden. Nordrhein-Westfalens grüner Umweltminister Johannes Remmel hat deshalb immer wieder eine Stilllegung der „Bröckel-Reaktoren“ gefordert. Tihange liegt nur 57 Kilometer von ­Aachen entfernt. Als Vorbereitung auf einen Atomunfall hatte NRW im Dezember den Kauf von 21 Millionen Jodtabletten bekannt gegeben. Das Medikament verhindert die Anlagerung radioaktiver Partikel in der menschlichen Schilddrüse.

Zwar fordert auch Hendricks seit April 2016, die beiden belgischen AKWs vom Netz zu nehmen. Dennoch: Im Juli 2016 genehmigte das ihr unterstehende Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) Brennstofflieferungen aus Lingen nach Tihange und Doel. Von insgesamt 50 geplanten Transporten haben 17 bereits stattgefunden. Hendricks bedauert das ausdrücklich, sieht sich aber an das Atomgesetz gebunden. Das biete „keine Handhabe, die Lieferung von Brennelementen ins Ausland zu unterbinden, solange die Kernbrennstoffe dort nicht missbräuchlich verwendet werden“, heißt es in einer Stellungnahme ihres Ministeriums.

Per Gutachten lässt die Ministerin stattdessen prüfen, unter welchen Umständen eine Schließung der Brennelementefabrik Lingen und der sie beliefernden einzigen deutschen Urananreicherungsanlage im benachbarten westfälischen Gronau möglich wäre. Vorliegen soll dieses Gutachten aber erst im Sommer. Hendricks’Staatssekretär Jochen Flasbarth hat bereits angedeutet, dass über die Stilllegung von Lingen und Gronau erst nach den Bundestagswahlen im September ernsthaft verhandelt werde.

Von insgesamt 50 geplanten Trans­porten haben 17 bereits stattgefunden

AKW-GegnerInnen sehen Hendricks deshalb in der Pflicht: „Es ist völlig unverständlich und Heuchelei, dass die Ministerin Tihange und Doel erst als gefährlich einstuft, dann aber deren Belieferung mit Brennstoff genehmigt“, sagt Jörg Schellenberg vom Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie.

Und um glaubwürdig zu bleiben, sei auch Laschet gefordert, mahnt Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen – immerhin sei der auch stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender: „Laschet muss seine Bundeskompetenz ausspielen – und dafür sorgen, dass Hendricks nicht wie bisher von CDU-Seite blockiert wird.“

Die Grünen im Bundestag sprechen dagegen von „fadenscheinigem Populismus“ des CDU-Spitzenkandidaten im nordrhein-westfälischen Wahlkampf. „Fast fünf Jahre lang hat er nicht dafür gesorgt, dass Kanzlerin Merkel oder zumindest die NRW-Landesgruppe der Union sich für die Abschaltung starkmachen“, sagt deren Sprecherin für Atompolitik, Sylvia Kotting-Uhl. Die NRW-CDU im Bundestag spiele die Gefahr der belgischen AKWs herunter und setze sich „vehement für den Weiterbetrieb der Urananreicherungsanlage in Gronau ein“.

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