Berlin würdigt Musiker Julius Eastman: Immer kompromisslos

Als Homosexueller und Schwarzer in den USA der 60er sah er Musik als Weg zu sich selbst. Das MaerzMusik-Festival ehrt Eastmans Werk.

Eastman schreibt etwas auf Papier

1978 und 1979 entstanden „Evil Nigger“, „Gay Guerilla“ und „Crazy Nigger“: der Musiker Julius Eastman Foto: C. Donald/W. Burkhardt

„Was ich mir wünsche, ist, in vollen Zügen das zu sein, was ich bin – in vollen Zügen schwarz, in vollen Zügen Musiker, in vollen Zügen Homosexueller“, formulierte Julius Eastman sein Ziel. Diese Kompromisslosigkeit prägt sein gesamtes Leben. Der Pianist und Komponist, Sänger und Choreograf hat mit seinem Beharren auf Selbstverwirklichung manchen Widerspruch als scheinbaren enttarnt. Als schwarzer, offen homosexueller Mann fand er Ende der sechziger Jahre seinen Platz in einer dominant weißen Szene – der Avantgarde Neuer Musik in Buffalo und New York.

Eastmans Werk ist emotional, spirituell und grenzüberschreitend in vieler Hinsicht, wenn es auch gegen Homophobie und Rassismus aufbegehrt. Dennoch geriet es beinahe in Vergessenheit.

Als einer von zwei schwarzen Studenten wurde Eastman 1959 mit neunzehn Jahren am renommierten Konservatorium Curtis Institute of Music in Philadelphia zum Studium von Klavier und Komposition zugelassen. Sein künstlerischer Durchbruch kam 1968 mit dem Umzug nach Buffalo – damals eine Hochburg der musikalischen Avantgarde. Eastman wurde dort Teil der Creative Associates, einer der innovativsten und kontroversesten Gruppen junger Komponisten und Virtuosen der USA.

1975 verursachte Eastman im Rahmen des Festivals „June in Buffalo“ einen Eklat. Als Sänger trug er mit der Gruppe S.E.M. Musik aus John Cages Song Book vor – einer Sammlung loser Spielanweisungen, auf deren Basis die Interpreten unabhängig voneinander ein Programm entwickeln. Eastman referierte mit homoerotischen Untertönen über ein „neues System der Liebe“ und entkleidete einen jungen Mann auf der Bühne. Cage soll beleidigt ausgerufen haben: „Die Freiheit in meiner Musik bedeutet nicht die Freiheit, unverantwortlich zu handeln!“

Bisweilen unangenehm direkt

Musik, ungeachtet welcher Form, sah Eastman als Weg zu sich selbst. Mit den Gruppen The Space Perspektive und Birth­right spielte er Jazz, den er als unmittelbaren Ausdruck von Gefühl verstand. Genres zählten für ihn so wenig wie andere normative Grenzen. Auch materieller Besitz war ihm gleichgültig. Er galt als großzügig und gebildet, als gutaussehend und auratisch anziehend, bisweilen als unangenehm direkt.

16. März, Ausstellungseröffnung „Let Sonorities Ring“, SAVVY Contemporary, Berlin; 17. März, Haus der Berliner ­Festspiele, Konzert; 22. März, SAVVY Contemporary Berlin, Live Performance

1976 zog Eastman nach New York. Rastlose Jahre folgten: Überall habe er komponiert, erinnern Bekannte. Als Interpret arbeitete Eastman mit zahllosen Größen der Neuen-Musik-Szene zusammen, etwa mit ­Pierre Boulez. Gleichzeitig liebte er auch die Discokultur New Yorks und ging in der Szene um den Club The Kitchen auf, in dem Künstler aus Minimal Music und Jazz auf Vordenker von No Wave und Disco trafen und ihren Teil zum Aufweichen der Grenzen zwischen Hoch- und Popkultur beitrugen. In diesem Kontext lernte Eastman auch Arthur Russell kennen. Im gemeinsamen Kollektiv Dinosaur L schwebt Eastmans sonorer Bariton mit dem gewaltigen Stimmumfang über pulsierender, verschrobener Tanzmusik zwischen Disco und Avantgarde.

1978 und 1979 entstanden die Stücke „Evil Nigger“, „Gay Guerilla“ und „Crazy Nigger“ für vier gleiche Instrumente. „Organische Musik“ nannte Eastman ihren minimalistischen Kompositionsstil: Kleine Motive werden motorisch wiederholt und verwandeln sich bruchlos – neue Elemente werden eingewoben, alte laufen aus. Während viele Werke bekannter Minimal-Music-Vertreter wie Steve Reich ein fast maschinengleicher Puls ausmacht, prägt diese Stücke ihre Emotionalität. Nichts wirkt abstrakt. In furioser Getriebenheit baut sich etwa „Evil Nigger“ aus einem winzigen Element zu einer dichten, gewaltigen Klangmasse auf, in der unzählige Gefühle einander zu bedrängen scheinen. Dann zählt eine Stimme: 1, 2, 3, 4 – und in einem wilden Ausbruch stürmen vier Klaviere plötzlich hervor. Sie greifen an, sie rütteln auf.

Synonym für fundamentalen Wandel

Das Berliner MaerzMusik-Festival hat die drei Kompositionen für ein Konzert gewählt und zeigt dazu eine Ausstellung. Als Eastman die Kompositionen 1980 in der Northwestern University in Chicago auf die Bühne bringen wollte, durften ihre Titel nicht im Programmheft abgedruckt werden. Während der herabwürdigende Begriff „Nigger“ durch Aneignung und Umdeutung, etwa im HipHop an subversiver Kraft verloren hat, wurden Eastmans Titel noch 1980 als rassistische Beleidigung empfunden. In seiner Einleitung zum Konzert erklärte Eastman damals, dass „crazy nigger“ ein Synonym für fundamentalen Wandel und Widerstand sei. Vor dem gegenwärtigen Hintergrund wachsender Fremdenfeindlichkeit entwickeln seine Ideen wieder neue Relevanz.

Im Verlauf der achtziger Jahre verlor der exzentrische Eastman durch seinen nun von Akohol- und Drogenmissbrauch gezeichneten Lebenswandel zunehmend an Balance. Er verdiente kaum mehr Geld, wurde immer unzuverlässiger, Beziehungen zerbrachen. Schließlich wurde er aus seiner Wohnung geworfen. Um den Verbleib seines Besitzes, einschließlich seiner Partituren, kümmerte er sich nicht. Eine Weile lebte er auf der Straße. Am 28. Mai 1990 starb Eastman mit nur 49 Jahren an Herzstillstand in Buffalo.

1998 begann die Komponistin Mary Jane Leach akribisch nach Eastmans Musik zu suchen. Sie machte Mitschnitte und Partituren ausfindig und versuchte, die teils kryptischen Aufzeichnungen zu dechiffrieren. 2005 erschien schließlich „Unjust Malaise“ – drei Alben voll verschollenen Aufnahmen. Die Veröffentlichung erfuhr unerwartet große Resonanz – mit der Wiederentdeckung Julius Eastmans wurde die bis dahin sehr weiße Geschichtsschreibung der Neuen Musik in den USA nach 1945 endlich um einen ihrer wichtigsten schwarzen Protagonisten ergänzt.

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