Zahl der Flüchtlinge in Deutschland: Scheindebatte um Abschiebung

Die Zahl der anerkannten Flüchtlinge hat sich verdoppelt. Die Diskussion um zu wenige Abschiebungen bleibt ohne Grundlage.

Menschen gehen in langer Schlange hinter einem Polizeifahrzeug her

Die Mehrheit derer, die 2015 nach Deutschland kamen, erhielt 2016 einen Schutzstatus Foto: dpa

BERLIN taz | Die Zahl der anerkannten Flüchtlinge in Deutschland hat sich im Jahr 2016 verdoppelt. Wurden Ende 2015 noch rund 300.000 Menschen nach Grundgesetz, Genfer Konvention oder als Kriegsflüchtlinge geschützt, sind es Ende 2016 knapp über 600.000 Menschen. Hinzu kommt eine nur sehr leicht gesunkene Zahl von rund 153.000 Geduldeten, die zwar keinen Anspruch auf Schutz erhielten, bei denen aber wichtige Gründe gegen eine Abschiebung sprechen. Die Zahl jener, die abgeschoben werden müssten, stieg degegen nur marginal von 49.000 Menschen Ende 2015 auf 54.000 Menschen Ende 2016.

Die Zahlen stammen aus Angaben des Bundesinnenministeriums in der Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei (pdf) im Bundestag, die regelmäßig die Zahl der Geflüchteten mit unterschiedlichem Schutzstatus abfragt. Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke, die die Anfrage stellte, kritisierte, dass öffentlich immer wieder behauptet würde, die Zahl der abgelehnten Asylsuchenden steige rasant: „Das ist reine Augenwischerei, nicht die Zahl der Ausreisepflichtigen, sondern die Zahl der Schutzbedürftigen steigt. Die anstehende Aufgabe lautet also: Integration, nicht Abschiebung.“

Der Antwort des Innenministeriums zufolge lebten Ende 2016 gut 1,47 Millionen Menschen mit Flüchtlingsstatus, laufendem Asylverfahren oder Duldung in Deutschland. Ein Jahr zuvor waren es 1,25 Millionen Menschen. Das heißt nicht, dass 2016 220.000 Flüchtlinge einreisten. Jährlich reisen viele Flüchtlinge auch in andere Länder weiter oder in ihre Heimatländer zurück, zahlreiche werden auch abgeschoben und manche eingebürgert. Die Differenz ist also ein Saldo der Ein- und Ausreisen, beziehungsweise verschiedener Statuswechsel.

Den Angaben zufolge hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im vergangenen Jahr einen enormen Rückstau bearbeitet: Die Zahl der Menschen, die als eingereist registriert sind, aber noch keinen Asylantrag stellen konnten hat sich drastisch verringert, von 300.000 Ende 2015 auf nur noch rund 25.000. Die Zahl jener Flüchtlinge, die noch auf eine Entscheidung über ihren Antrag warten, ist dagegen um 200.000 gestiegen: Mehr als eine halbe Million Menschen haben noch keine Klarheit über ihr Schicksal.

Schon im vergangenen Jahr war auffällig, dass die meisten einreisenden Flüchtlinge letztendlich einen Schutzstatus erhalten. 2015 hatte sich der Zahl der anerkannten Schutzsuchenden bereits verdoppelt, wie auch in diesem Jahr. Derzeit kommen die meisten aus Syrien, Irak, Afghanistan, Eritrea und dem Iran. Das waren schon im Vorjahr die wichtigsten Herkunftsländer.

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Dabei bekommen die Antragstellenden häufiger einen Schutzstatus als in der Vergangenheit. Laut BAMF wurden 2014 nur 29 Prozent der Antragsteller nach Grundgesetz, Genfer Konvention oder als Kriegsflüchtlinge geschützt. Diese Quote stieg 2015 auf 49 Prozent und 2016 sogar auf bei 58 Prozent. Kurz: Fast zwei Drittel aller Asylantragssteller sind erfolgreich, weitere gut 3,5 Prozent werden aus anderen Gründen geschützt. Wie auch in den vergangenen Jahren werden etwa 25 Prozent abgelehnt.

Verärgert zeigte sich Linke-Politikerin Jelpke auch über Prognosen der Bundesregierung. Diese hatte in einem Gesetzentwurf im Herbst 2016 davon gesprochen, dass Ende des Jahres 310.000 „Ausreisepflichtige“ in Deutschland leben würden. Damit ist die Summe jener Menschen gemeint, die abgeschoben werden sollen, und der Geduldeten, bei denen wichtige Gründe eine Abschiebung ausschließen. Die Summe dieser zwei Gruppen lag Ende 2016 aber bei 207.000, also weit unter der Prognose. Der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) sagte vor wenigen Tagen sogar, Ende 2017 würden 500.000 Ausreisepflichtige in Deutschland leben. „Diese Prognose ist völlig haltlos“, sagte Jelpke. „Aber der Union war bislang noch keine Zahl zu heikel, um damit nicht weitere Verschärfungen im Umgang mit Geflüchteten zu fordern.“

(Hinweis zu fehlenden Jahren der Statistik: Die Zahlen werden von Die Linke seit 2006 abgefragt. Laut Linke wurden bei der ersten Anfrage auch die Zahlen der vorherigen Jahre erfragt, waren aber nicht verfügbar oder nur aufwändig zu rekonstruieren. Die Zahlen für 1997 gab es trotzdem.)

Update 14.03.: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, im Jahr 2016 hätten weniger Menschen einen Schutzstatus erhalten als 2015. Tatsächlich stieg aber die Schutzquote auch 2016 weiter an. Der Artikel ist nun korrigiert.

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