Debatte Rechtspopulismus in Europa: In die Identitätsfalle getappt

Die Rechten brachten den „kleinen Mann“ zurück in die Politik. Die Linke hat darauf keine Antwort. Eine Replik auf Christian Volks taz-Essay.

Die Figur einer Maus sitzt vor einer Falle, in der Käse liegt, daneben steht jemand

Identität ist manchmal ganz schön Käse Foto: dpa

Dirk Jörke und Nils Heisterhagen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wie zuvor schon mit großem Echo Mark Lilla in der New York Times, werfen der postmodernen akademischen Linken vor, mit ihrer liberalen Identitätspolitik, ihrer Vielfaltseuphorie und ihrem Insistieren auf politisch korrekter Sprache die soziale Frage verabschiedet und damit die spektakulären Erfolge des Rechtspopulismus mit verschuldet zu haben. Christian Volk konterte diese Kritik in der taz vom 25./26. Februar mit einem zur Sentenz verkürzten Adorno-Zitat: Der normative Kern linken Denkens sei nicht soziale Gerechtigkeit, sondern „die Idee einer freien Gesellschaft“.

Ob man derart essenzialistisch über „den normativen Kern linken Denkens“ diskutieren sollte, sei dahingestellt. Das Statement klingt jedenfalls ein bisschen wie „Freiheit statt Sozialismus“. Für die Jüngeren unter den LeserInnen: Das war die wichtigste Parole der CDU bei der Bundestagswahl 1976. Und Adorno wird es auch nicht gerecht. Dieser ist nämlich noch so weit Marxist, dass er in seinen Reflexionen zu Freiheit und Unfreiheit in der „Negativen Dialektik“ ausführt, die Freiheit des Individuums in der bürgerlichen Gesellschaft sei „primär die eines solchen, das eigene Zwecke verfolgt“. Und im Übrigen setze sich „über den Kopf der formal freien Individuen das Wertgesetz durch“.

Dieser gesellschaftskritische Hinweis auf verselbstständigte Handlungsfolgen in einer ökonomischen Konkurrenzgesellschaft ist über Fragen der Adorno-Exegese hinaus nicht ganz ohne Bedeutung für die publizistisch ausgetragene Kontroverse zwischen Jörke und Volk. Er belegt zum einen, dass Adorno, auch wenn er von Freiheit spricht, kein Liberaler war. Dar­über hinaus deutet er an, dass eine Antidiskriminierungspolitik, die für die Gleichstellung benachteiligter Gruppen eintritt, nicht unbedingt quer liegen muss zur Unterordnung der Gesellschaft unter die vermeintlich objektiven Zwänge der kapitalistischen Ökonomie.

Tatsächlich haben die New Democrats der beiden Clintons in den USA, New Labour unter Tony Blair in Großbritannien und die deutschen Sozialdemokraten seit Schröder es bestens verstanden, die Weichenstellungen zur Deregulierung der Finanzmärkte und der arbeitsmarktpolitischen Anpassungsreformen als alternativlose Modernisierung wirkungsvoll zu entpolitisieren, während sie gleichzeitig versuchten, ihre Wählerbasis durch die Öffnung gegenüber frauenpolitischen Forderungen sowie den Rechten kultureller und sexueller Minderheiten zu verbreitern.

Die Macht der kleinen Leute

Dieses Bündnis zwischen ökonomischen und kulturellen Liberalen ist in Großbritannien und den USA an seiner Kehrseite gescheitert, nämlich an der gesellschaftlichen und politischen Marginalisierung derjenigen, die sich als die eigentliche Basis der Gesellschaft sehen, der sogenannten kleinen Leute. Sie sind von Rechtspopulisten in den politischen Raum zurückgebracht worden, und im Ergebnis werden nun Ökonomie und soziale Frage von rechts (re)politisiert. Heute demonstrieren Theresa May in Großbritannien und Donald Trump in den USA, dass die ökonomische Globalisierung nicht nach naturgesetzlichen Notwendigkeiten abläuft, sondern – so oder so – politisch gesteuert wird.

Anders gesagt: Die Politik meldet sich zurück, aber nicht als Primat der Demokratie über die Ökonomie, sondern in Gestalt des Populismus und des autoritären Nationalismus.

Politik, die vor allem auf Identitäten setzt, eröffnet keine gemein­samen Handlungsfelder

Insofern haben Jörke und andere recht: Die Linke ist in die Falle der Identitätspolitik gelaufen und hat das Feld gesamtgesellschaftlicher und insbesondere wirtschaftspolitischer Alternativen dem Rechtspopulismus überlassen. Weniger überzeugend ist allerdings der Vorschlag von Jörke und Heisterhagen, eine Moralisierung der Politik durch eine andere zu ersetzen und zu glauben, der Rechtspopulismus ließe sich allein durch die erneute Dramatisierung „sozialer Gerechtigkeit“ wirkungsvoll bekämpfen.

Hier macht Volk in seinem taz- Beitrag einen wichtigen Punkt: Die Mobilisierungserfolge der Rechtspopulisten sind nicht zuletzt auf ihre Fähigkeit zurückzuführen, durch die Entgegensetzung von korrupten Eliten und „wahrem“ Volk ein vermeintlich handlungsfähiges kollektives Subjekt zu konstituieren. Die Linke spricht zwar gern und oft von „empowerment“, aber eine Politik, die in erster Linie auf die Affirmation ethnischer und sexueller Identitäten setzt, kann keine gemeinsamen Handlungsperspektiven eröffnen. Im Gegenteil, sie wird, wie es in den USA geschah, eine Identitätspolitik der kleinbürgerlichen Mehrheitsgesellschaft provozieren.

So sind es seit Längerem schon die Rechtspopulisten, die denjenigen, die sich gesellschaftlich und politisch an den Rand gedrängt und kulturell verachtet fühlen, Aufwertung und politische Wirkung in Aussicht stellen.

Zurück im politischen Raum

Etwas Vergleichbares kann aufseiten der politischen Linken nicht durch die Forderung nach einer längeren Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I entstehen. Die Rückkehr der sogenannten Modernisierungsverlierer in den politischen Raum wird nur dann nicht dem Rechtspopulismus zugute kommen, wenn es gelingt, auf der Ebene der politischen Repräsentation eine gesellschaftspolitische Alternative sichtbar zu machen, die diese Gruppen einschließt.

Dazu bräuchte es mehr als eher kosmetische Korrekturen an der Politik marktkonformer Strukturreformen. Dazu bedürfte es einer Wiederbelebung des gesellschaftsverändernden Anspruchs der Politik und einer Neuformulierung allgemeiner, gemeinwohlorientierter Ziele, mit denen der rechtspopulistische Volksbegriff herauszufordern wäre.

Dem steht leider viel entgegen: die Unklarheit über die Zukunft Europas, die Frage nach der wirtschaftspolitischen Rolle des Nationalstaats, nicht zuletzt aber auch die kulturelle Kluft, die sich zwischen dem unteren Drittel der Gesellschaft und dem Milieu der akademischen Linken seit Längerem schon auftut. Solange Letztere ihre Identität und ihr Gefühl moralischer Überlegenheit nicht zuletzt aus der Abgrenzung gegenüber der Lebensweise und den Werten dieser Bevölkerungsschichten gewinnt, wird diese Kluft kaum zu überbrücken sein.

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