TÜV-Siegel, wohin man schaut

KONTROLLEN Die inflationäre Gebrauch der Plakette führt zu Unklarheiten und Konflikten, nicht nur bei Brustimplantaten

BERLINtaz| Die Schadenersatzforderung aufgrund fehlerhafter Brustimplantate ist längst nicht der erste Skandal, mit dem der Technische Überwachungsverein (TÜV) in die Schlagzeilen gerät. Auffällig oft im Fokus: der TÜV Rheinland – eine Ak­tien­gesellschaft, dessen Hauptaktionär wiederum ein Verein ist.

Neben dem TÜV Süd und dem TÜV Nord gehört er zu den drei großen TÜV-Gesellschaften in Deutschland. 2015 erwirtschafteten die weltweit 20.000 Mitarbeiter des TÜV Rheinland einen Umsatz von rund 2 Milliarden Euro, eine Großteil davon im Ausland. Doch gerade dort gerät der TÜV Rheinland immer wieder in die Kritik.

Aufsehen erregte insbesondere der Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza im Jahr 2013. Ein Tochterunternehmen des TÜV Rheinland hatte damals der Fabrik im indischen Sabhar noch im Dezember 2012 eine „gute“ Bauqualität bescheinigt. Wenige Monate später stürzte der Gebäudekomplex ein und begrub mehr als 3.500 Menschen unter sich. 1.127 Arbeiter und Arbeiterinnen kamen bei dem Unglück ums Leben. Menschenrechtsorganisationen forderten daraufhin den TÜV dazu auf, 250.000 Euro an die Opfer des Einsturzes zu zahlen. Dem entgegnete der TÜV Rheinland, dass bei der Prüfung nicht die Statik des Gebäudes, sondern die Arbeitsbedingungen im Fokus gestanden hätten. Die Angaben zur Bauqualität seien aus einem allgemeinen Eindruck der Arbeitsbedingungen entstanden.

Ursache für diese Skandale scheint die gehäufte und oft unklare Nutzung des TÜV-Siegels zu sein. Die Marke „TÜV-geprüft“ gilt weltweit als Siegel für sichere und qualitative Produkte. Ihr Geld machen die Prüfungsstellen jedoch längst nicht mehr ausschließlich durch die Hauptuntersuchung von Autos und die Abnahme technischer Anlagen.

In den letzten Jahren öffnet sich das Zertifizierungsgeschäft mehr und mehr dem Dienstleistungssektor. Der TÜV Rheinland mischt dabei kräftig mit. Auch Arbeitsprozesse innerhalb eines Betriebs lassen sich viele Unternehmen immer öfter vom TÜV Rheinland und anderen zertifizieren. Von einer „Siegel-Flut“ spricht Georg Tryba von der Verbraucherschutzzentrale Nordrhein-Westfalen angesichts dieser Entwicklung. Der Verbraucher wisse oft nicht, was genau an dem Produkt oder der Dienstleistung tatsächlich geprüft sei, so Tybra.

Die TÜV-Vereine müssten sich insgesamt fragen, ob sie durch die inflationäre Verwendung des TÜV-Siegels nicht langfristig ihren Ruf aufs Spiel setzen. Daniel Böldt

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