Eine Psychotherapeutin über Gewalt: „Wer Gewalt ausübt, ist ungeschützt“

Wie begegnet man Gewalt im therapeutischen Kontext? Familien- und Paartherapeutin Dörte Foertsch über Respekt, seine Grenzen und die Angst vor Mittäterschaft.

Man sieht eine lange blaue Couch mit vereinzelten beigen und dunkelroten Kissen darauf.

Ein langes Sofa für viele Menschen mit ernsten Problemen für lange Therapie-Sitzungen Foto: ap

taz: Frau Foertsch, als Familien- und Paartherapeutin begegnen Sie oft Menschen, die sich und anderen Gewalt zufügen. Wie gehen Sie damit um?

Dörte Foertsch: Wichtig voraus zuschicken ist, dass ich im Regelfall mit Menschen zu tun habe, die freiwillig zu mir kommen. Das schließt die Themen Gewalt, Missbrauch oder Fremdenfeindlichkeit nicht aus, aber es bedeutet, dass die Bereitschaft da ist, damit umgehen zu wollen. Wenn so jemand kommt, muss ich trotzdem oft erst schlucken.

Am Anfang wird erst mal darüber gesprochen, was die Person von mir und der Therapie erwartet, wie die Gewalt aufhören und jemand sich und andere Personen schützen kann. Denn jemand, der Gewalt ausübt, ist auch selbst ungeschützt. Wechselseitiges Vertrauen und Respekt sind die Basis dafür, dass die Therapie durchgeführt und eine Verbindung zu den Klienten und Klientinnen hergestellt werden kann.

Und wo hört der Respekt auf?

Bei Menschen, die Gewalt anwenden und sie gleichzeitig legitimieren. Als angemessene Erziehungsmaßnahme zum Beispiel. Oder auch eine Argumentation auf Grundlage der Meinungsfreiheit kann ich nicht hinnehmen. Wenn mir so jemand gegenüber sitzt, droht die Gefahr, dass ich mich ihm gegenüber selbst respektlos verhalte. Nur wenn mein Gegenüber mir die Bereitschaft signalisiert, selbstkritisch mit der eigenen Haltung umzugehen, kann ich weitermachen.

Oder wenn ich verbal angegriffen werde, auf Grund meines Geschlechts, meines Berufes oder meines Alters etwa. Das sind ja Dinge, die ich nicht ändern kann. Wenn zum Beispiel jemand sagt, er kann grundsätzlich nicht mit Frauen, dann kann ich auch mit diesem Mann nicht.

Welcher Fall ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Es kam einmal ein Paar zu mir. Der Mann sagte zu mir, er hasse Frauen. Dann habe ich gesagt: ‚Ok, ich bin eine Frau und unter diesen Bedingungen kann ich keine Gespräche mit Ihnen führen.‘ Ich fragte, ob er bei mir eine Ausnahme machen würde.

Dörte Foertsch, 59 Jahre alt, ist psychologische Paar- und Familientherapeutin und Supervisorin in Berlin. Sie lehrt zudem am Berliner Institut für Familientherapie und Systemische Beratung BIF und ist Mitherausgeberin von Kontext, Zeitschrift für Systemische Therapie und Familientherapie.

Das war der Beginn von langen und harten Verhandlungen. Am Ende weigerte er sich jedoch seine Haltung gegenüber Frauen zu hinterfragen und ich musste die Therapie abbrechen.

Gab es auch Fälle mit positivem Ausgang?

Ich hatte mal einen Jugendlichen, der der rechten Szene angehörte und gewalttätig war. Als er nach einer Zeit begann sich auf mich einzulassen, schilderte ich ihm meine persönlichen Erfahrungen und Begegnungen zum Thema Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. So konfrontierte ich ihn mit meiner eigenen Betroffenheit. Und es funktionierte, irgendwann zeigte er eine gewisse Demut. Ab diesem Zeitpunkt konnten wir darüber reden, wie er überhaupt in der rechten Szene gelandet war, mit welchen Selbstwert- oder Selbstunwertgefühlen das zu tun hatte und von wem er sich verlassen fühlte. Das hat am Ende einen guten Ausgang genommen.

Ist das nicht ganz schön persönlich?

Bücher leihen und Shoppingmalls meiden: Viele Menschen bekommen nur eine winzige Rente. Kann man so in Würde altern? Könnten 900 Euro Mindestrente etwas daran ändern? Ab wann fühlt man sich arm? Eine Geschichte über Verzicht, in der taz.am wochenende vom 4./5. Februar 2017. Außerdem: In Nicaragua tut sich Unglaubliches. Ein Reisebericht. Und: Ein Gespräch mit der Friedensforscherin Heela Najibullah, Tochter des früheren Präsidenten Afghanistans. Das alles und noch viel mehr – am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Ich werde oft gefragt, ob ich da nicht zu viel Persönliches rein gebe. Und es ist auch immer eine Gratwanderung. Aber beim Thema Gewalt kann es notwendig sein, um Vertrauen aufzubauen. Durch den geschützten Raum, in dem eine Therapie stattfindet, erzielt man damit letztlich oft größeren Erfolg.

Worin besteht die größte Herausforderung?

In Paar-Therapien beim Thema Gewalt, meistens der Mann der Frau gegenüber, aber nicht selten auch umgekehrt, wird es schwierig. Ich sage da gleich zu Beginn ganz offen, dass ich davor Angst habe, Teil des Gewaltsystems zu werden, in dem sich die Betroffenen befinden. Das kann zum Beispiel dadurch passieren, dass ich sensible Themen anspreche und damit Aggressionen provoziere, die sich dann im Anschluss an die Sitzung zu Hause entladen.

Von Sitzung zu Sitzung muss dann ein Vertrag aufgesetzt werden, dass in der Zwischenzeit nicht geschlagen wird. Werden diese Abmachungen nicht eingehalten, kann die Therapie nicht weitergehen. Andernfalls würde ich die Gewalt ja billigen.

Was hilft Ihnen?

Supervision ist besonders wichtig in solchen Fällen. Zum einen wird versucht eine Strategie zu entwickeln, die Situation zu entschärfen und den Kontakt zu den Klienten oder Klientinnen nicht zu verlieren. Zum anderen kann man über das eigene Befinden sprechen. Das hilft dabei, sachlich zu bleiben und nicht emotional zu überreagieren oder in einer Übersprunghandlung unfair zu werden.

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