Kolumne Macht: Die Grundrechte gelten

Wer nach dem Polizeieinsatz in der Kölner Silvesternacht auch nur wagte, Fragen zu stellen, wurde beleidigt. Eine Debatte, die totalitäre Züge trägt.

Vom „Nordafrikaner“ zum „Nafri“. Was kommt als Nächstes? Foto: dpa

Die Beachtung der Grundrechte verhindert, dass manche Verbrechen aufgeklärt werden können. Sie erschwert der Polizei und anderen staatlichen Institutionen die Arbeit. Das ist bedauerlich, aber unvermeidlich. Und eine Banalität – allerdings eine Banalität, die in den letzten Tagen aus dem öffentlichen Blickfeld geraten zu sein scheint.

Selbstverständlich wären Straftäter leichter zu überführen oder sogar im Vorfeld an ihrem Tun zu hindern, wenn es keine rechtsstaatlichen Grenzen gäbe, wenn Wohnungen sich ohne richterlichen Beschluss durchsuchen ließen und alle Leute jederzeit abgehört werden könnten. Sogar die Anwendung von Folter hat – neben vielen falschen – einige echte Geständnisse hervorgebracht. Es sind im Laufe der Geschichte nicht nur Unschuldige gefoltert worden.

Grundrechte regeln nicht die Beziehungen von Einzelnen untereinander, es sind Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Die Erkenntnis, dass der Staat eben nicht nur Schutz zu gewährleisten hat, sondern dass Menschen auch ein Recht darauf haben, vor ihm geschützt zu werden: Was für eine zivilisatorische Errungenschaft ist dieser kühne Gedanke! Sie hat allerdings ihren Preis. Die Grundrechte werden ja nicht deshalb respektiert, weil ihre Missachtung keine positiven Ergebnisse zeitigen könnte. Sondern weil sich die Gesellschaften, in denen sie gelten, dafür entschieden haben, den Vorzügen der individuellen Freiheit einen höheren Stellenwert einzuräumen als den Vorzügen des Totalitarismus.

Risiken der Freiheit

Vorzüge des Totalitarismus? So etwas gibt es? Aber ja doch. Ganz ohne Unterstützung kann sich kein Regime der Welt an der Macht halten. Und auch der Totalitarismus hat eine Gefolgschaft, vor allem in den Reihen derer, die das Risiko und die Mühsal scheuen, die Freiheit zwangsläufig mit sich bringt.

„Köln“ ist zur Chiffre geworden für Silvesternächte, die aus dem Ruder laufen. Was diesmal wirklich passiert ist und was daraus folgt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 7./8. Januar 2017. Außerdem: Die digitale Patientenkarte ist Pflicht beim Arztbesuch. Unsere Autorin will sich dem System verweigern, weil sie Angst vor Datenmissbrauch hat. Geht das? Und: Der zweite Band der neapolitanischen Saga „Meine geniale Freundin“ ist erschienen. Andreas Fanizadeh hat ihn gelesen. Das alles und noch viel mehr – am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Der alte Satz, unter Hitler habe es dies und jenes nicht gegeben, ist eine noch immer regelmäßig wiederkehrende Sentenz. Sie ruft wehmütig die Erinnerung an Zustände wach, in denen die Allgegenwart des Staates viele Grenzüberschreitungen verhinderte, die den Alltag gesetzestreuer Bürgerinnen und Bürger erschwerten. Und sei es auch nur die, sich mit abweichenden Meinungen auseinandersetzen zu müssen.

Das auszuhalten, scheint ja besonders schwierig zu sein. Wer nach dem Einsatz der Kölner Polizei an Silvester auch nur wagte, kritische Fragen zu stellen – von Urteilen ist gar nicht die Rede! – sah sich mit einer unverhältnismäßigen, persönlich beleidigenden Kampagne konfrontiert. Sie trug totalitäre Züge, und dieser Satz ist nicht leichtfertig dahin geschrieben. Federführend: die Bild-Zeitung. Die Gründe dafür hatten allerdings nur wenig mit dem Silvesterabend in Köln zu tun. Oft ist die Analyse dessen, worüber geschwiegen wird, interessanter als die Analyse dessen, worüber geredet wird. Keine Rolle spielte im Zusammenhang mit der aufgeheizten Debatte der letzten Tage: der Attentäter auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin war ein Nordafrikaner. Ist doch egal? Von wegen.

Die Vermutung sei gewagt: Unabhängig vom Verlauf des Polizeieinsatzes in Köln hätte es ohne den Anschlag in Berlin keinen Feldzug gegen die kleine Minderheit derer gegeben, die kritische Fragen stellten. Aber nach Berlin?

Nach Berlin geht jeder Angriff auf Nordafrikaner. Und auf Leute, die pauschale Angriffe auf bestimmte Bevölkerungsgruppen ablehnen. Deshalb geht es im Zusammenhang mit Köln um Rassismus, durchaus. Aber nicht nur. Sondern sogar um Totalitarismus. Ach ja: Und auch um den Kampf dafür, dass Grundrechte immer und für alle gelten.

Nicht nur für nette Leute und nicht nur bei gutem Wetter.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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